Deutschland soll nach 1936 in Berlin und 1972 in München zum dritten Mal Schauplatz von Olympischen Spielen werden. Im Schatten der glanzvollen Tage von Paris setzten die benötigten Parteien den Zukunftszug symbolträchtig in der französischen Hauptstadt zumindest schon einmal aufs Gleis.

Saarbrücken soll am 7. Dezember ein Meilenstein zu einer historischen Entscheidung für den deutschen Sport werden. Bei seiner turnusmäßigen Mitgliederversammlung will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) weitere Schritte zu Deutschlands nächster Bewerbung um Olympische Spiele beschließen. Dass beim „Familientreffen des deutschen Sports“ an der Saar entgegen der ursprünglichen DOSB-Planungen nicht sogar schon der „finale Startschuss“ für das ehrgeizige Milliardenprojekt fallen wird, deutet bereits auf die Komplexität der gesamten Thematik hin.

Immerhin: Im Deutschen Haus von Paris unterzeichneten die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser und DOSB-Präsident Thomas Weikert ein Memorandum of Understanding, also eine rechtsverbindliche Absichtserklärung zur Planung einer Bewerbung um Olympischen Spiele. Eine Woche zuvor hatte sich die Bundesregierung geschlossen hinter diesen Plan gestellt. „Jetzt“, sagte Faeser zu ihrer Unterschrift, „kann es richtig losgehen.“ Weikert ergänzte: „Damit ist ein Anfang gemacht.“
Doch was geht los? Ein Anfang für was genau? Die Klarheiten sind übersichtlich: An dem Vertragswerk sind außer der Regierung und der Dachorganisation des deutschen Sports auch die Städte München, Leipzig und Düsseldorf sowie die Bundesländer Berlin, Hamburg, Bayern und Nordrhein-Westfalen beteiligt. Außer den 1,8 Millionen Euro des Sports und den Beiträgen der interessierten Städte und Länder fließen fortan auch 6,95 Millionen Euro Bundesmittel zusätzlich in die Entwicklung der Bewerbung.
Viele Fragen, wenig Antworten

Das war es aber auch schon weitgehend mit dem Anfang. Vom oft romantisch beschriebenen Zauber von Aufbrüchen fehlte in Paris nahezu jede Spur. Beinahe drängte sich der Eindruck auf, Deutschland plane seine angestrebte Gastgeberrolle für die dritten Sommerspiele auf heimischem Boden nach 1936 in Berlin und 1972 in München einfach erst einmal irgendwie, irgendwann, irgendwo. Alleine in der Frage nach dem richtigen Timing, also auf welches Jahr sich die Bewerbung fokussieren soll, sorgt im Lager der neuen Vertragspartner wenn nicht für Zwist, so dann doch wenigstens für Uneinigkeit. Faeser favorisiert auch namens der Bundesregierung wie schriftlich hinterlegt 2040, weil man für Spiele 50 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ zwischen Ost und West „ein überzeugendes Konzept“ vorlegen könne: „Dazu kann die ganze Welt sehen, dass dies auch ein Symbol für Demokratie und Freiheit ist.“ Beim DOSB jedoch mag sich Weikert noch nicht so recht von der Original-Idee verabschieden, 100 Jahre nach den Nazi-Spielen von Berlin 1936, den Wandel Deutschlands zur friedlichen Nation im Herzen Europas feiern zu wollen: „Die Entscheidung, für welches Jahr sich Deutschland bewirbt, obliegt alleine dem Sport“, sagte der Verbandschef im hauseigenen Pressedienst noch unmittelbar vor dem Termin mit Faeser in Paris.

Auch über den einen zentralen Austragungsort oder mehrere regional oder im Bund verstreute Schauplätze für die geschätzt wohl rund 400 Entscheidungen besteht sicherlich noch erhöhter Gesprächsbedarf – beim Blick auf die Partner des Abkommens womöglich auch immenses Konfliktpotenzial. Will man „die Jugend der Welt“ und mehrere Millionen Touristen von allen Kontinenten mit einer Kombination von bekannten Metropolen oder sogar der beiden bisherigen deutschen Olympia-Städte willkommen heißen? Oder vielleicht doch – eingedenk nicht zuletzt der Schwierigkeiten im deutschen Bahnverkehr – in kompakter Form in einer Region wie etwa Rhein-Ruhr? Aber lässt sich im Ausland das von der Regierung für 2040 wegen seiner Symbolik angestrebte Narrativ überhaupt bei Spielen außerhalb von Berlin noch vermitteln?
Sportpolitische Entwicklungen

Ein ernsthaftes und keineswegs zu unterschätzendes Problem für die Glaubwürdigkeit einer deutschen Kandidatur zeichnet sich aber nicht zuletzt nach innen ab. Denn hatte bis Paris über die letzten Jahre das Versprechen für einen Bürgerentscheid über eine Olympia-Bewerbung als unverhandelbar gegolten, begannen die Spiele-Macher in spe schon an der Seine bei der Präsentation des Vertragswerkes mit der Aufweichung der wichtigen Grundlage. Im Papier selbst jedenfalls ist statt von Referenden lediglich von einer „breiten Beteiligung und Zustimmung der Bevölkerung“ die Rede, und DOSB-Vorstand Torsten Burmester fabulierte nach der feierlichen Unterzeichnung über „innovative Beteiligungskonzepte“. Sportministerin Faeser schließlich stellte vor ihrem Abschied aus Paris unmissverständlich klar: „Moderne Partizipation bedeutet nicht, dass man einmal nur abstimmt, sondern dass man die Menschen auf diesen Prozess mitnimmt. Ich finde deswegen großartig, wie der DOSB herangeht.“ Verschämt erfolgten vor Beendigung der Feierstunde im Deutschen Haus Hinweise auf immerhin einzeln geplante Bürgerbefragungen, wie etwa in München. Ohne ausreichend spürbaren Rückhalt in der Bevölkerung aber – so viel dürften allen bewusst sein – kann eine Olympia-Bewerbung nicht erfolgreich sein. Denn wenn keine ausreichende Begeisterung für das Sportspektakel im eigenen Land herrscht, dürften die Deutschen in der momentanen Welt- und Wirtschaftslage wohl kaum einer Regierung die Gewährung von milliardenschweren Steuervorteilen und weiteren Vergünstigungen für eine nachweislich korrupte Organisation wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) durchgehen lassen. Doch ohne Reibach besteht für den in dieser Hinsicht so ganz undeutschen IOC-Alleinherrscher Thomas Bach nicht der geringste Anlass zur Verleihung seiner Gelddruckmaschine Olympia an unwillige und widerspenstige Kandidaten.

Von höchst entscheidender Bedeutung sind außerdem die Entwicklungen auf sportpolitischem Parkett und dabei besonders die Interessen internationaler Konkurrenten. Für 2036, wenn zumindest der DOSB immer noch Olympia in Deutschland für möglich hält, haben sich als Gastgeber nach Los Angeles 2028 und dem australischen Brisbane 2032 schon Katar mit seiner Hauptstadt Doha sowie die indische Millionenmetropole Mumbai bei den „Herren der Ringe“ in Lausanne in Stellung gebracht und noch mehr eingeschmeichelt.
2040 könnte – wenn nicht plötzlich noch erstmals ein afrikanisches Land von der Olympia-Lust befallen wird – Europa wieder an der Reihe sein. Doch bereits jetzt sind andere Interessenten weiter: In Paris veranstaltete die Türkei während der Spiele unter dem Eiffelturm in ihrem Olympia-Domizil einen Istanbul-Abend und warb bei hochrangigen Gästen auch aus Bachs IOC-Clique bereits offensiv um Zustimmung für Spiele am Bosporus. Deutschland könnte dadurch schmerzhaft die Nachwirkungen der ignorant-selbstherrlichen DOSB-Politik unter Weikerts ungeliebten Vorgänger Alfons Hörmann zu spüren bekommen. Noch immer leidet der deutsche Sport auf seiner sachpolitischen Ebene unter dem Verlust früher sehr effizienter Netzwerke und aufgegebener Kontakte in unteren Bereichen. Das entsprechend blamable Aus für die Olympia-Kandidatur der Rhein-Ruhr-Region im Rennen um die Gastgeber-Rolle 2032 gegen Brisbane, das schon während „weiterer Sondierungen“ von Hörmann und Co. beim IOC für die deutschen Lobbyisten völlig unerwartet zum Ausrichter gekürt wurde, ist immer noch der peinliche Tiefpunkt in der keineswegs als gelungen anzusehenden Geschichte deutscher Olympia-Bewerbungen.
Diese Kapitel aber schlug Faeser in Paris in ihrem Schlusswort zu: „Wir wollen wieder ein Heimspiel für unsere Aktiven. Wir wollen die großen Chancen nutzen, die Olympische Spiele für unseren Zusammenhalt, für unsere Wirtschaft und unseren Sport bieten.“ In Saarbrücken soll man am 7. Dezember schon schlauer werden.