Es bewegt sich was. Und das nicht nur ein bisschen. Das „System Schule“ verändert sich, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden. Das neue Schuljahr bringt auch im Saarland einige Veränderungen mit sich. Trotzdem bleiben viele offene Baustellen.
Nach dem Eindruck mancher Experten ist das Schulsystem gerade dabei, sich neu zu erfinden. Dem widersprechen andere Bildungsexperten, denen alles viel zu träge und unmutig vonstattengeht und zu vieles noch ungeklärt ist. In gewisser Weise haben beide Seiten gute Argumente für ihre Einschätzungen.
Die Diskussion um Entwicklung einer Schule der Zukunft ist nicht neu, aber sie scheint seit einigen Jahren ein Stück weit lebendiger ausgetragen zu werden. Was wenig verwundert, denn der Druck durch äußere und innere Entwicklungen hat massiv zugenommen.
Die Erfahrungen der Pandemiezeit haben einen enormen Digitalisierungsschub ausgelöst, die zunehmende Heterogenität der Schülerschaften erfordern neue Antworten, Pisa-Studien und andere legen Defizite offen, gesellschaftliche und politische Entwicklungen stellen auch das Bildungssystem vor neue Herausforderungen.
Das alles legt eine muntere Diskussion darüber nahe, was denn nun Schulen leisten sollen – und können. Wozu soll die junge Generation qualifiziert werden, wenn sich technologische und gesellschaftliche Entwicklung in einer zuvor nie gekannten Dynamik entwickeln und völlig offen ist, wohin diese führen?
Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel sind die bekannten Stichworte, aber was heißt das dann konkret? Zumal sich eine parallele Entwicklung zeigt, die in jüngster Zeit ebenfalls zu einer erheblichen Herausforderung gereift ist: „Komplexe Wertedynamik in der Gesellschaft“ nennen das Experten, womit sie in etwas distanzierter Art nichts anders meinen als das, was sich an Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang manifestiert.
„Die gegenwärtigen Demokratien werden außenpolitisch durch autokratische Regime bedrängt, innenpolitisch durch populistische Bewegungen infrage gestellt. Eine Demokratie benötigt für ihr Überleben und ihre Weiterentwicklung deshalb mündige Bürger*innen, die die Bedeutung eines demokratischen Wertesystems erkannt haben und dafür einstehen. Woraus sich ein klarer Auftrag für alle Schulen der Zukunft ergibt“, schreibt Clemens Kaesler, Schulleiter der Berufsbildenden Schule Neustadt an der Weinstraße. Womit auch deutlich wird, dass es um Ansprüche an alle Schulformen geht.
(Chancen-)Gerechtigkeit, Teilhabe, (demokratische) Handlungskompetenz sind einige der Stichworte, unter denen Antworten versucht werden.
Konzepte dazu gibt es etliche. Ein Leitfaden für viele ist der „OECD Lernkompass“, der ein „Rahmenkonzept des Lernens“ und eine „Vision für die Zukunft der Bildung“ formuliert hat. Das Rahmenkonzept, das von den Mitgliedsstaaten gemeinschaftlich erarbeitet und im Mai 2019 in Vancouver vorgestellt wurde, fasst die Kompetenzen zusammen, die junge Menschen für eine erfolgreiche Entwicklung benötigen. Die Crux: Schülerinnen und Schüler sollen mehr Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. Das soll Handlungskompetenz stärken und sie befähigen, ihr eigenes Leben und die Welt um sie herum positiv zu beeinflussen.
Klingt gut, will dann aber auch in der Praxis des Schulalltags ankommen.
Und da zeigt sich dann schnell, dass Schule nicht nur ein komplexes System unterschiedlichster Akteure ist, sondern auch in chronischen Ungleichzeitigkeiten steckt.
Das fängt an beim äußeren Erscheinungsbild. Mit den Digitalisierungsanstrengungen seit Corona haben zwar Laptops und Whiteboards im Klassenzimmer Einzug gehalten, gleichzeitig könnte so manche Schultoilette einigen Großeltern der heutigen Schülerinnen und Schüler bekannt vorkommen. Das Bild ist leider gar nicht so überzogen, wie es scheint.
Bauen, Fachkräfte suchen, digitalisieren
Nicht umsonst hat die Landesregierung ein Schulbauprogramm aufgelegt, in dem ausdrücklich Millionen Förderbeträge für die Sanierung sanitärer Anlagen an Schulen zur Verfügung gestellt werden.
150 Millionen Euro nimmt die Landesregierung für das Programm „Bausteine“ in die Hand, zusammen mit Bundes- und EU-Mitteln über 230 Millionen (für die nächsten fünf Jahre), damit Schulgebäude auf einen aktuellen Stand gebracht werden können, ein Lernumfeld geschaffen wird, das den aktuellen Bedürfnissen gerecht wird und nicht mehr an Zeiten aus dem letzten Jahrhundert erinnert.
Was an den Gebäuden sichtbar wird, gilt aber genauso für das, was sich in der Schule abspielt. Digitalisierung und Heterogenität sind die schon erwähnten großen Linien der veränderten Entwicklungen, auf die auch die Politik reagiert. Das gilt auch für die Ergebnisse von Bildungsstudien, die in Sachen Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen) ein ziemlich ernüchterndes Bild zutage gebracht haben. Eigentlich nicht sonderlich überraschend, wenn man noch die Klagen aus der Wirtschaft (und von Hochschulen) aus der Vergangenheit im Ohr hat, was die diesbezüglichen Fähigkeiten ihrer Azubis oder Studienanfänger betrifft.
Das „Startchancenprogramm“, auf das sich Bund und Länder zu Beginn des Jahres verständigt haben, setzt an einer der großen Schwachstellen des deutschen Systems an, dass nämlich Bildungserfolg immer noch beträchtlich mit dem sozialen Status der Eltern zusammenhängt.
Das Saarland hat zuletzt bei den Vergleichen zur Chancengleichheit noch vergleichsweise gut abgeschnitten. Laut Ifo-Studie in diesem Jahr liegt das Land im Vergleich aller Bundesländer bei der Chancendifferenz auf Platz drei und beim Chancenverhältnis auf Platz vier. Aber auch hierzulande bleibt noch einiges zu tun.
Mit dem Startchancenprogramm werden gezielt Schulen mit benachteiligten Schülerinnen und Schülern gefördert, Geld unter anderem für sogenannte multiprofessionelle Teams (also etwa Schulsozialarbeit oder psychologische Unterstützung) zur Verfügung gestellt. Bund und Länder stellen für die nächsten zehn Jahre insgesamt die bemerkenswerte Summe von 20 Milliarden Euro bereit. Das Wort der Bundesbildungsministerin von einer „bildungspolitischen Trendwende“ ist nicht übertrieben. Bundesweit sollen über 2.000 Schulen (und damit etwa zehn Prozent der Schülerschaft) profitieren, im Saarland werden 55 Schulen an dem Programm teilnehmen.
Gleichzeitig hängt aber die Fortsetzung des Digitalpakts für Schulen im haushaltspolitischen Niemandsland. 1,3 Milliarden pro Jahr wären erforderlich, sagt die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot, zugleich derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, um den aus ihrer Sicht erfolgreichen Start mit dem ersten Digitalisierungspakt jetzt nicht massiv zu gefährden.
Unabhängig von diesem noch offenen Streitpunkt zwischen Bund und Ländern ist in der Politik durchaus die Bereitschaft festzustellen, trotz schwieriger Haushaltslagen mehr Geld für Bildung und damit für Personal zur Verfügung zu stellen. Das aber stößt an einen anderen limitierenden Faktor: Fachkräftemangel ist auch im Bildungssystem eine große Herausforderung. Die Diskussion um Quer- und Seiteneinsteiger zeigt, dass auch in diesem Bereich neu gedacht und vielleicht die ein oder andere bisherige Hürde beziehungsweise Anspruch überprüft werden muss. Im Saarland konnten immerhin nach Angaben des Ministeriums alle vorgesehenen Stellen besetzt werden. Zumindest für dieses Schuljahr. Die Realität zeigt sich erfahrungsgemäß in den ersten Tagen des neuen Schuljahres.