Kamala Harris und Tim Walz elektrisieren die demokratische Basis. Positive Umfragewerte ermutigen eine zuvor resignierte Partei, auf den letzten Metern in Richtung Präsidentschaftswahlen in den USA noch einmal Gas zu geben.
Der Parteitag, der in der vergangenen Woche zu Ende ging, war mehr eine Krönungsmesse. Soweit nichts Besonderes, auch im Vergleich zum republikanischen Gegenstück zuvor – mehr ist von Parteitagen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA von beiden Parteien nicht zu erwarten. Die Demokraten haben sich an ihrem Konkurrenten Donald Trump abgearbeitet, die konkreten Ziele einer Regierung Harris-Walz bilden sich langsam heraus. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden: die Freude auf Seiten der Demokraten. Beobachter sprechen von „elektrisierender“ Atmosphäre vor Ort. Damit kontrastiert die Partei gekonnt die Stimmung auf der Gegenseite, die geprägt ist von Donald Trumps düsterer Lügen- und Angstkampagne.
Atmosphärische Kontraste
Nun braucht sie jedoch politische Unterfütterung. Worum geht es Kamala Harris? Vor allem innenpolitisch sind einige Linien bereits bekannt. Harris steht wie kaum eine andere Bundespolitikerin für das Recht auf Abtreibung, das der Supreme Court nach einem Urteil wieder an die Staaten zurückverwiesen hat. Ein nationales Recht auf Abtreibung gibt es damit nicht mehr, teilweise drohen Frauen bei einer Abtreibung selbst nach Vergewaltigung oder Inzest drakonische Strafen in einzelnen Staaten.
Des Weiteren will sie sich um die Wohnungskrise kümmern – auch in den USA herrscht eklatanter Wohnungsmangel, der in den vergangenen Jahren politisch kaum beachtet wurde. Ihre Vorschläge: 25.000 Dollar als Zuschuss für Käufer, die sich zum ersten Mal im Leben ein Haus zulegen wollen. Wirtschaftlich gesehen keine gute Idee, weil dies Häuser um 25.000 Dollar verteuern wird. Gleichzeitig will sie dafür sorgen, dass drei Millionen Wohnungen zum Kauf und zum Mieten gebaut werden, gepaart mit einem Steuergeschenk für erstmalige Hausbauer. 40 Milliarden US-Dollar Bundesmittel sollen als Unterstützung für die amerikanischen Kommunen bereitgestellt werden, um deren Wohnungsprobleme individuell zu lösen. So sollen beide Seiten, Angebot und Nachfrage, gestärkt werden.
Sie sei fokussiert darauf, die Lebenshaltungskosten zu senken und die finanzielle Sicherheit für Familien zu stärken, so Harris. Dabei geht es auch um die Kontrolle von Wucherpreisen bei Nahrungsmitteln. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen haben Unternehmen die Krisen der vergangenen Jahre – sei es die Pandemie, die Havarie des Frachters im Suez-Kanal, der Krieg in der Ukraine – genutzt, um ihre Preise über die Maßen und die Vernunft zu erhöhen. Oder, um es wissenschaftlicher auszudrücken: Ihre Kosten stiegen langsamer als die Gewinne. Für die auch in den USA herrschende Inflation seien keine Wucherpreise verantwortlich, sagt zwar eine aktuelle Untersuchung der US-Bundesbank; andere Studien aber bestätigen, dass die Gewinne von untersuchten Unternehmen teilweise deutlich stärker stiegen als die Inflation. Bereits heute besitzen Dutzende von US-Bundesstaaten Gesetze gegen Wucher, die nun offenbar nationales Gesetz werden könnten, möglicherweise überwacht von der US-Wettbewerbs- und -Verbraucherschutzbehörde FTC. Zudem will sie die Politik Joe Bidens in Sachen Besteuerung fortsetzen: Trump senkte die Unternehmenssteuer von 35 auf 21 Prozent, Harris will sie wieder auf 28 Prozent anheben. Dies würde Milliarden in die klammen Bundeskassen spülen.
Kinder, Familien, die Mittelklasse sollen im Mittelpunkt stehen – ähnlich wie unter Joe Bidens Präsidentschaft. „Wenn die Mittelklasse stark ist, ist Amerika stark“, so Harris während einer Wahlkampfveranstaltung in North Carolina.
Außenpolitisch wird es ein Weiter so – Ukraine-Hilfe inklusive, die Joe Biden nach der monatelangen Hängepartie im Repräsentantenhaus Anfang des Jahres sichern konnte. Harris‘ nationaler Sicherheitsberater Phil Gordon, der gute Chancen auf den gleichen Posten in einem möglichen Weißen Haus unter Kamala Harris hätte, gilt laut dem Center for European Policy Analysis (CEPA) als ausgewiesener Experte für Europa, inklusive Forschungs- und Lehraufenthalten in Deutschland, und den Mittleren Osten. Auch Gordon gilt als Verfechter der unter Obama startenden Neufokussierung der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik in Richtung China, ohne die Rolle der Nato jedoch zu schmälern. Ein Zurück zu einer Politik, in der die USA als größter Partner auch mit Abstand größter Geldgeber der Nato sein werden, wird es aber auch in einer Harris-Administration nicht geben. Stattdessen soll Europa größere „strategische Autonomie“ besitzen.
Für die Mittelklasse und Familien
Wie sich Harris außenpolitisch in Sachen Israel, dem Gazakrieg und dem Iran verhält, zeigt erste Konturen: Neben dem starken Bekenntnis zur Unterstützung Israels nach den brutalen Massakern am 7. Oktober vergangenen Jahres äußerte sie sich auf dem Parteitag der Demokraten ebenfalls zu den Palästinensern und ihrem Leid unter den israelischen Angriffen auf die Hamas. Nicht zuletzt hängt dies davon ab, wie erfolgreich Joe Biden in seinen letzten Amtsmonaten auf die Führung der Hamas und die israelische Regierung einwirken kann, um einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu erreichen.
Doch es gibt weitere Themen, die den US-Wählern auf den Nägeln brennen. Laut dem unabhängigen Pew Research Center sind neben der Wirtschaft die Inflation, die Immigration (die Zahlen, vor allem an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, aber gehen zurück) und bezahlbare Gesundheitsversorgung die Top-Themen der Wählerinnen und Wähler. Hinzu kommt das Drogenproblem – die USA leiden unter einer Fentanyl-Schwemme – und das hohe Defizit im Bundeshaushalt.
Innenpolitisch kann Harris‘ Vizepräsident Akzente setzen. Tim Walz, Ex-Sozialkundelehrer und Football-Coach aus Minnesota, wird schon jetzt zum Hassobjekt vieler Republikaner. Der derzeitige Gouverneur des Staates kommt wegen seiner authentischen, bodenständigen und energiegeladenen Art gut bei der demokratischen Basis an; die Freude, die die Demokraten in den vergangenen Wochen entfachen konnten, spiegelt sich in seinem Gesicht, in seiner Gestik und Rhetorik wider. In den kommenden Wahlen soll er die Mittelklasse und ältere weiße Männer ansprechen, um sie für die Demokraten zu gewinnen.
Das wird nicht einfach. Die verbleibenden Tage in Richtung 5. November bleiben ein harter Kampf. Die Masche, mit der Konkurrent Donald Trump eine zweite Amtszeit erreichen will, verfängt noch immer bei vielen Wählern. Die Zustimmung jedoch bröckelt, Zahlen zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend für Harris unter jungen Wählerinnen und Wählern, unter Hispanics, Asiaten und Schwarzen. Die meiste Zustimmung, die Harris widerfuhr, stammt aus dem Lager jener, die weder Trump noch Biden wählen wollten. Robert Kennedy jr., Umweltanwalt und Verschwörungstheoretiker, wollte als dritter Präsidentschaftskandidat davon profitieren. Nun beendet er seine Kandidatur und stellt sich hinter Trump. Inwieweit dies seine potenzielle Wählerschaft, laut Umfragen zwischen drei bis sieben Prozent der Stimmen, beeinflusst, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar.
Sowohl die demokratische, als auch die republikanische Basis sind laut Umfragen des Pew Research Centers hochmotiviert. Das Rennen bleibt ein enges bis zum Wahlabend, auch wenn sich die Chancen auf eine Niederlage Donald Trumps nach dem rauschenden, dem perfekten Parteitag der Demokraten weiter erhöht haben.