Benny Haerlin hat in seinem Leben viel erlebt und seit Jahren nun widmet er seine ganze Kraft einer Landwirtschaft, die ausschließlich einer gesunden und ausreichenden Ernährung der Menschheit dienen soll.
In einem Teil des Botanischen Volksparks im Berliner Norden führen Benny Haerlin und seine fünf Mitarbeiter Schulklassen und andere Interessierte über den sogenannten Weltacker, auf dem die Besucher bestaunen können, wie vielfältig und nachhaltig unser Boden doch bewirtschaftet werden kann. Seine Botschaft ist klar: Es gibt machbare Alternativen zu Monokulturen, hemmungslosem Pestizideinsatz, Verschwendung und gentechnischen Veränderungen des Saatguts.
Bewunderung für die Schöpfung
Als kleiner Junge, so erinnert sich Benny Haerlin, wäre er gern Förster geworden. Das hatte ihn damals beeindruckt, diese Mischung aus Männlichkeit und Jagdfieber, wenn sein Großonkel und er durch die Wälder rund um Stuttgart pirschten und sie gemeinsam auf dem Ansitz auf einen kapitalen Bock lauerten. Er selbst aber schoss niemals auf ein Tier, auch später nicht, denn seine Bewunderung für die Schöpfung, für die Vielfalt von Fauna und Flora überwog.
Als jüngstes von fünf Kindern wuchs Benny, der Nachzügler, wohl behütet auf, die Atmosphäre des Elternhauses: bildungsbürgerlich, konservativ, katholisch und dennoch liberal. Er war drei Jahre alt, als sein Vater verstarb, Chefkorrespondent der „FAZ“ und später Herausgeber der „Stuttgarter Zeitung“, eine angesehene Persönlichkeit wie seine Mutter, die erst als Journalistin und dann als Referentin der katholischen Akademie in Stuttgart arbeitete.
Etwas Rebellisches wird Benny allerdings aus diesen Jahren mitgenommen haben, denn ausgerechnet seine konservative Mutter war es, die sich im Rahmen einer Stiftung für die unehelichen Kinder von Priestern einsetzte, sich um Geschiedene und alleinerziehende Frauen kümmerte, um Probleme also, die damals eher verschwiegen wurden. Und da nun alle Last der großen Familie zusätzlich auf den Schultern der Mutter lagen und seine Geschwister schon viel älter waren, wird Benny in die Obhut des Jesuiteninternats St. Blasien gegeben. Dort lernt er zwar eine Menge, aber richtig gut gehen kann das nicht. Denn die moralische Engstirnigkeit der damaligen Zeit, die Sexualfeindlichkeit der Erzieher empfindet Benny als bedrückend und so bedarf es nur eines Anlasses, um aus dem Internat geschmissen zu werden: im Ort hatte sich Benny mit einer Flugblattaktion dafür stark gemacht, die politische Vorherrschaft der Christdemokraten zu brechen. Er wechselt zur Odenwaldschule (über die im Nachhinein auch nicht nur Gutes zu berichten war) und arbeitet nach dem Abitur in Zürich als Hilfspfleger in einer psychiatrischen Klinik. Auch in Tübingen, wo er mit 17 Jahren sein Studium beginnt, und später in Berlin arbeitet er in solchen Einrichtungen.
Zunächst will er Psychologie studieren, denn Fragen der Selbstfindung beschäftigen ihn. 1974 wechselt er an die Freie Universität Berlin. Obwohl er für die abflauende Studentenbewegung der 68er zu jung ist, fühlt er sich von ihren Nachwehen und dem Erstarken der undogmatischen Linken angezogen. Das Studium der marxistischen Theorien, die ihm als Analysen des kapitalistischen Systems tauglich erscheinen, gehört dazu. Wichtiger aber noch wird ihm ein links-alternatives Lebensgefühl, die Suche nach einer authentischen politischen Praxis und so nimmt er aktiv teil an dem, was in dieser Szene in den späten 70er-Jahren so auf der Agenda stand: Stadtteilbewegung und Hausbesetzungen, Solidarität mit Nicaragua und Widerstand gegen geplante Atomkraftwerke. Als 1978 in West-Berlin die Alternative Liste gegründet wird, ist er als eines der ersten Mitglieder dabei.
Das Studium der Psychologie und Soziologie bricht er ab, da er sich politisch und zunehmend auch journalistisch engagiert. Neben der Arbeit als presserechtlich Verantwortlicher für die Zeitschrift „Radikal“ gründet er eine Zeitungskooperative und die Firma Gegensatz, die das Layout und den Vertrieb von „Radikal“ und diverser Stadtteilblätter übernimmt. Bei der „Tageszeitung“ kümmert er sich um den Aufbau des Berliner Teils. So gerät Haerlin bald ins Visier der politischen Staatsanwaltschaft von Berlin, die ihm Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorwirft. Denn er sei verantwortlich für den Abdruck von Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen und einen Aufruf gegen den Besuch des damaligen US-Vizepräsidenten Bush. Der Staat will ein Exempel statuieren, drei Monate sitzt Benny Haerlin in U-Haft und wird zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.
Als Angriff auf die Pressefreiheit ruft dies allerdings Protest hervor, selbst etablierte Blätter kritisieren das Urteil. Die Grünen nominieren ihn für das EU-Parlament, wo er als Abgeordneter Immunität genießt. Fünf Jahre später wurde das Urteil vom Bundesgerichtshof aufgehoben, Haerlin gewinnt die Revision, er ist unschuldig.
Als EU-Parlamentarier findet er im Rahmen eines Austausches mit amerikanischen Politikern endlich sein eigentliches Thema: Gentechnik und damit eine weitere risikoreiche Möglichkeit des Menschen, der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Schon im Streit um den Bau neuer Atomkraftwerke stellte sich Benny Haerlin die Frage, ob bestimmte Technologien einigen wenigen Menschen Macht über das Schicksal vieler anderer Menschen verleihen und wie dem in solchem Fall demokratisch entgegengetreten werden kann. Je intensiver er sich im Rahmen einer Enquetekommission des Bundestags mit dem Thema Gentechnik auseinandersetzt, desto fragwürdiger erscheinen ihm die Erwartungen zum Beispiel an dem Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts in der Landwirtschaft.
Stellte für Greenpeace Kampagne auf die Beine
Können Pflanzen wirklich widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten gemacht und damit der Ertrag gesteigert werden? Was geschieht, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen unkontrolliert freigesetzt werden, welche Auswirkungen hat dies auf die Umwelt, die Artenvielfalt und die Gesundheit der Menschen? Kann durch solche Eingriffe wirklich der Nahrungsbedarf der Weltbevölkerung gedeckt werden? In kurzer Zeit erwirbt sich Benny Haerlin den Ruf eines herausragenden Experten, der zwischenzeitlich für Greenpeace eine Kampagne gegen gentechnisches Soja auf die Beine stellt. Mit Erfolg. Der Unilever- Konzern macht einen Rückzieher, sehr zur Freude Haerlins. Ihm geht es nicht darum, Feindbilder zu schüren, sondern Entscheidungen kritisch zu überdenken und Auswege zu weisen. Die Natur, so argumentiert er, ist keine Maschine, die die Menschen nur ordentlich steuern müssten. Sie funktioniert viel komplexer, als wir bislang erahnen und wissen können und so sei es ratsam, die Finger von einer vielschichtigen Schöpfung zu lassen, die wir bislang bei Weitem nicht verstehen. Es gibt andere Möglichkeiten, vorhandene Schwierigkeiten zu lösen, so ist er überzeugt. Das Problem der Landwirtschaft sei nicht der Mangel, sondern die Überproduktion und die ungerechte Verteilung. Die Pflanzen können auch resistenter gemacht werden, wenn die Böden schonend bewirtschaftet und das notwendige Wasser durch Bewuchs gehalten würde. Ein komplexes Ökosystem, so denkt Haerlin, erfordert differenzierte, nachhaltige Anpassungsleistungen des Menschen. So weiter machen wie bisher sei ebenso ein Irrweg, wie der Glaube, durch Genmanipulation alle Probleme lösen zu können.
Benny Haerlin leitet das Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und zahlreiche Menschen und Organisationen haben bislang die Petition von „Save our Seeds“ für ein Reinheitsgebot beim Saatgut unterstützt. Darauf ist er stolz. Denn die geforderte Nulltoleranz hat die EU-Kommission bis heute nicht angetastet. Doch Petitionen alleine reichen nicht. Es kommt ihm darauf an, das Bewusstsein und das Verhalten von uns allen als Verbraucher zu ändern und das fängt eigentlich schon in der Kindheit und Jugend an. So freuen sich Benny Haerlin und seine Mitstreiter schon auf den Besuch weiterer, hoffentlich neugieriger Schulklassen auf den „Weltacker“ im Berliner Norden. Seitdem er 2018 hier angelegt wurde, gibt es bereits 25 dieser Art in Deutschland ebenso wie in Kenia, Brasilien, Frankreich, Portugal und Shanghai. Immerhin erste Schritte für eine globale Vernetzung. Der Fortschritt ist eine Schnecke.