Drei Fragen
Mehr betriebliche Ausbildung
Jeder kann eine Ausbildung in Handwerk oder Dienstleistung anfangen, wenn er von der Schule kommt, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.
Frau Hannack, Sie bemängeln, dass zu wenig Betriebe ausbilden, die Arbeitgeber umgekehrt bemängeln den Bildungsstand der jungen Menschen. Wo liegt die Wahrheit?
Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Die Arbeitgeber sagen ja generell nicht, dass die jungen Menschen zu wenig Bildung haben, also zu dumm sind. Sondern es hapert an der Berufsorientierung bereits in der Schule, sie finden einfach nicht genug junge Menschen. Da sind wir uns als Deutscher Gewerkschaftsbund mit den Arbeitgeberverbänden und den Handwerkskammern einig, da muss viel mehr in den Schulen passieren. Wenn Sie sich erinnern, als wir noch Schüler waren, kamen bereits in der neunten/zehnten Klasse Berufsberater vom Arbeitsamt oder der Handwerkskammer in den Unterricht und haben die Möglichkeiten der betrieblichen Ausbildung vorgestellt. Das gibt es heute leider kaum noch.
Wer ist bei so einer Berufsberater-Offensive an den Schulen gefordert?
Da ist für meine Begriffe vor allem die Bundesagentur für Arbeit gefordert, die in diesem Punkt nachschärfen muss, um junge Menschen in der persönlichen Findungsphase zu unterstützen. Nun darf man nicht vergessen, die Bildungshoheit haben die Länder, und die müssen das dann entscheiden. Ich bin mir aber ganz sicher, wenn die Bundesagentur für Arbeit ein entsprechendes Angebot macht und anbietet, dass die Berufsberater wieder in die Schulen kommen, wird kein Bundesland dies ablehnen, sondern ganz im Gegenteil dies dankbar annehmen. Und das würde dann ein Selbstläufer.
Viele junge Menschen haben nach der Schule den Sprung in die betriebliche Ausbildung geschafft. Wie zufrieden sind die Azubis?
Das stimmt mich zum einen froh, zwei Drittel der Auszubildenden sind sehr zufrieden mit ihrer Ausbildung und ihren Ausbildern. Allerdings, ein Drittel ist eben nicht zufrieden und da haben wir dann natürlich auch hohe Abbruchquoten. Betroffen davon ist vor allem die Gastronomie, das Hotelgewerbe, gefolgt von Friseurin oder Maler und Lackierer. Grund sind vor allem unbezahlte Überstunden, ausbildungsfremde Arbeiten oder die Ungewissheit einer festen Übernahme nach der Ausbildung. Interview: Sven Bargel
Tempolimit für ICE
Um die Pünktlichkeit bei der Bahn vor allem im Personennah- und -fernverkehr zu stabilisieren, sollen zukünftig ICE-Züge nicht mehr mit Tempo 300 über die Gleise sausen, sondern nur noch mit 200. Dies schlägt der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Martin Burkert vor. Seine Bestandsaufnahme zum Zustand der Bahn: vernichtend. „In den 40 Jahren, in denen ich mich in verschiedenen Positionen mit der Bahn beschäftige, war die Lage noch nie so schlecht wie heute“, so der EVG-Chef. Um zumindest den Fahrplan halbwegs stabil über die Gleise zu bekommen, könnte seiner Meinung nach ein Tempolimit für die ICE-Fernzüge helfen. Laut Experten könnte dies zwar Sinn auf Strecken machen, wo neben ICE auch Güter- und Regionalzüge unterwegs sind und große Tempo-Unterschiede die Abläufe erschweren, aber zukunftsweisend sei dies keineswegs. Die Bahn hatte jüngst erneut für Schlagzeilen gesorgt, nachdem bekannt geworden ist, dass bei der Erstellung der Fahrpläne schon keine Berechnungen mehr erstellt werden, sondern anstelle dessen Schätzwerte einfließen.
Flüchtlinge sollen schneller arbeiten dürfen
Wer als Geflüchteter in Deutschland arbeiten will, stößt bislang auf viele Probleme, trotz des Fachkräftemangels. Die Grünen fordern nun ein Maßnahmenbündel, um diesen Umstand endlich zu beenden, sodass zukünftig auch Geflüchtete dem Arbeitsmarkt schneller zur Verfügung stehen. Unter anderem soll eine zentrale bundesweite Einwanderungsagentur gegründet werden. „Solange Menschen hier bei uns leben und arbeiten können, sollten sie dies auch unbürokratisch tun können. Deshalb schlagen wir vor, alle noch bestehenden Arbeitsverbote grundsätzlich abzuschaffen“, heißt es in einem entsprechenden Positionspapier der Grünen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten sich bereits im Juli bei den Verhandlungen zum Bundeshaushalt für das kommende Jahr darauf geeinigt, die bürokratischen Hürden für die Arbeitsaufnahme von Ausländern zu senken. Demnach soll die Zulassungskompetenz der Ausländerbehörden umgedreht werden. In Zukunft soll gelten: Wenn diese nicht innerhalb von 14 Tagen widersprechen, dann gilt die Arbeitsaufnahme von Geflüchteten als genehmigt.
Klimafreundliche Produktion
Mehr Geld für Klimaschutz: Das Bundeswirtschaftsministerium will die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsweisen sowie unterirdische Kohlendioxid-Speicherung mit rund 3,3 Milliarden Euro bis 2030 fördern. „Wir wollen gerade auch die vielen mittelständischen Produktionsbetriebe bei der Umstellung auf CO2-arme Verfahren unterstützen“, so Robert Habeck (Grüne). Die Förderung ist als Ergänzung zu Klimaschutzverträgen gedacht, bei denen der Staat für eine Übergangszeit die Mehrkosten für klimafreundlichere Produktionsweisen in energiehungrigen Branchen übernimmt. Unternehmen können sich nur auf eins der beiden Förderinstrumente bewerben. Das Geld kommt aus dem Klima- und Transformationsfonds.
Auswirkungen des Solinger Terroraktes
Innenpolitiker von Union, SPD und Grünen befürchten Auswirkungen auf die Wahlentscheidung bei den beiden jetzt anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Ein 26-jähriger Flüchtling aus Syrien steht unter dem dringenden Tatverdacht, auf dem Stadtfest im nordrhein-westfälischen Solingen drei Menschen mit einem Messer ermordet und acht weitere Personen verletzt zu haben, fünf von ihnen schwebten nach der Tat tagelang in Lebensgefahr. Die Terrororganisation IS soll sich zu der Tat bekannt haben, so die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die auch die Ermittlungen übernommen hat. Das Stadtfest zum 650-jährigen Bestehen der Stadt wurde nach dem Attentat nur wenige Stunden nach seinem Auftakt abgesagt, was wiederum für Kritik sorgte. Damit hätte man sich dem Terror gebeugt, doch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sah keine andere Möglichkeit, da der mögliche Attentäter nicht sofort gefasst und erst 24 Stunden nach der Tat ein Verdächtiger festgenommen werden konnte.
Verfassungsschutz
Haldenwang geht
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang (CDU), will offenbar aus Gesundheitsgründen Ende des Jahres in den Ruhestand gehen. Der 64-Jährige stand immer wieder in der Kritik, da er sich als Präsident des Bundesamtes für ein Partei-Verbotsverfahren gegen die AfD öffentlich ausgesprochen hatte. Seine Nachfolge soll offenbar die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg antreten. Die 49-Jährige kommt ursprünglich vom BfV, hat sich als Volljuristin dort seit 2006 hochgearbeitet und war zeitweise in der Leitungsspitze des deutschen Inlandsgeheimdienstes tätig. Allerdings steht auch Badenberg in der politischen Kritik. Sie hatte unter anderem gefordert, dass die Klimaaktivisten-Bewegung Letzte Generation als terroristische Vereinigung eingestuft wird. Die mögliche zukünftige Präsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist erst im Mai dieses Jahres der CDU beigetreten.
Meyer-Burger bleibt in Bitterfeld
Die Pläne in den USA liegen auf Eis, die 350 noch verbliebenen deutschen Angestellten können erst einmal aufatmen: Der Schweizer Solarkonzern Meyer-Burger behält sein Werk in Bitterfeld-Wolfen vorerst. Ein neues Werk in Colorado aufzubauen sei laut dem Unternehmen derzeit nicht finanzierbar. Anfang des Jahres hieß es, dass die Produktion von Solarzellen in Deutschland noch bis 2025 laufen werde, danach war die Zukunft des Werkes unklar. Nach den neuen Plänen liefert es nun die in Deutschland produzierten Solarzellen zu einem Werk in den USA, wo diese zu Solarmodulen weiterverarbeitet werden. Zuvor hatte Meyer-Burger sein Werk im sächsischen Freiberg mit 500 Mitarbeitern geschlossen. Der Konzern warnte jedoch davor, dass wegen dieser Pläne auch die Profitabilität des Unternehmens geringer sei. Prompt brach die Aktie um 50 Prozent ein.
Uniper testet ersten Wasserstoffspeicher
Der Energiekonzern Uniper nimmt demnächst einen unterirdischen Testspeicher für Wasserstoff im ostfriesischen Krummhörn in Betrieb. Etwa zwei Jahre lang soll dort unter anderem geprüft werden, wie Materialien und Technik mit dem Gas zurechtkommen. Auch die Einspeicherung von Wasserstoff unter realen Bedingungen wird erprobt. Geschehen wird dies in einem ehemaligen Erdgasspeicher in Salzkavernen. Der Konzern investiert in den Speicher, der einer der ersten seiner Art sein und bis 2024 in Betrieb gehen soll, zehn Millionen Euro. Das Speichervolumen beträgt laut Uniper bis zu 250.000 Kubikmeter Wasserstoff. Die Nähe zu Wilhelmshaven ermöglicht die Anbindung an zwei Projekte für grünen Wasserstoff: Zum einen ist ein Importterminal für Ammoniak geplant, das in der Lage sein wird, den Ammoniak in Wasserstoff zurück zu verwandeln. Zum anderen sieht Uniper eine Großelektrolyse vor, die mit einer Leistung von bis zu 1.000 MW grünen Wasserstoff erzeugen soll.
CDU/CSU
Söder gegen Grüne
Auch wenn CDU-Chef Friedrich Merz bei der CDU als gesetzter Kanzlerkandidat gilt, der Chef der Schwesterpartei CSU Markus Söder will die politische Richtung vorgeben. „Schwarz-Grün geht mit mir nicht. Da kann sich auch jeder darauf verlassen“, poltert Söder kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Dabei wirft er den Grünen vor, sie hätten bei ihrem Werben um die Union nicht verstanden, dass Union aus CDU und CSU bestehe. Als CSU-Chef könne er eine Koalition mit den Grünen auch alleine ausschließen. „Denn ohne uns geht nichts“, gibt sich der bayerische Ministerpräsident selbstbewusst. Dagegen hatte sein Amtskollege aus Schleswig-Holstein, Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), noch Ende August in einem Interview die Grünen als potentielle Koalitionspartner nach der nächsten regulären Bundestagswahl im September in einem Jahr bezeichnet. Auch CDU-Chef Friedrich Merz sieht eine Koalition mit den Grünen auf Bundesebene zwar mehr als kritisch, noch im Frühjahr hatte er die Grünen als „politische Feinde“ bezeichnet. Doch mittlerweile ist auch er zurückgerudert und kann sich doch eine Koalition mit den Grünen vorstellen.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Vielleicht haben Sie es im Urlaub mitbekommen: Immer mehr Einheimische europäischer Ferienorte begehren gegen Tourismus auf. Nicht, weil sie Fremde nicht mögen, sondern weil sie dadurch ins Abseits gerückt werden. Ob Florenz, Teneriffa oder Island: Immer mehr Menschen drängen sich dort. Die Folgen für Bewohner: keine Rückzugsorte mehr für Locals, Schmutz und Trubel, unbezahlbare Wohnungen oder Infrastruktur, die nur Gästewünsche bedient.
Es braucht ein Umdenken. In betroffenen Orten ebenso wie bei Reiseveranstaltern. Es gilt, Ferienfreude und Ansässigenrechte zu verbinden. Heimat darf kein Horror sein. So wie in Barcelona. Ganze Quartiere bestehen fast nur aus Tagesmietwohnungen. Die mit Stolz für Olympia 1992 geschaffene künstliche Strandfront wurde zum überladenen Hotspot. Auch an der Wunderbasilika Sagrada Família Gedränge, Ramsch- und Imbissshops. Protest regt sich laut und seit Langem.
Lösungsansätze gibt es. Kopenhagen prämiert radfahrende Touristen mit kostenlosen Mittagessen, Kaffee oder einer Kajaktour. Kroatien will Besucher aus Dubrovnik weg- und zu neuen Wellness- und Gesundheitsangeboten im Landesinneren umleiten. In Berchtesgaden soll die „Maxl“-App den Königssee und das Salzbergwerk entlasten und Alternativen promoten. Devise: Lieber weniger, aber hochwertigen als noch mehr kurz durchziehenden Fremdenverkehr anlocken.
Das Problem ist komplex. Es braucht mittel- bis langfristige Konzepte. Ziel: Identität und Authentizität erhalten, ohne Touristen zu vergraulen. Das hinzukriegen ist die große Aufgabe.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.