Professor Ralf Pude von der Uni Bonn forscht seit 30 Jahren zum Chinaschilf (auch Miscanthus genannt) und ist immer noch begeistert von der vielseitig einsetzbaren Pflanze: Sie bindet viel CO2, schützt bei Hochwasser und lässt sich zu wiederverwendbarem Baustoff verarbeiten.
Drei bis vier Meter hoch stand das weizengelbe Schilf, bevor es auf dem Campus der Uni Bonn geerntet wurde. Dann wurde es gehäckselt und weiterverarbeitet: zu Papierhandtüchern, Verpackungen für Obst, Torfersatz für Blumenerden oder zu Dämmschutz für Häuser. Chinaschilf ist vielseitig einsetzbar. Das macht es für Ralf Pude so interessant. Er ist Professor für Nachwachsende Rohstoffe an der Universität Bonn und forscht schon seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an Chinaschilf, in der Fachsprache Miscanthus genannt. Schon seine Diplomarbeit 1992 handelte davon, als Chinaschilf in Deutschland hauptsächlich als Zierpflanze in Gärten bekannt war. Er schrieb seine Doktorarbeit über Miscanthus und seit 2010 experimentiert er mit seinem Team, wie und für was Miscanthus alles verwendet werden kann.
Früher lange als Brennstoff betrachtet
Lange wurde Miscanthus vor allem als Brennstoff zur Energiegewinnung betrachtet. Journalist Franz Alt hat die Idee Anfang der 1990er mit seinem Buch „Schilfgras statt Atomkraft“ populär gemacht. Darin stellte er ein neues Energiekonzept vor: „Würde das Schilfgras in allen Teilen der Welt vermehrt angebaut, so könnte es genügend ‚Biomasse‘ für eine umweltfreundliche Energiegewinnung liefern und somit den Ausstieg aus der Atomenergie ermöglichen“, schrieb Franz damals. Pude hält dagegen nicht viel davon, Miscanthus zur Strom- und Wärmegewinnung zu verbrennen. Viel sinnvoller sei es, langlebige Produkte aus dem Schilfgras zu machen.
Pude entwickelte zusammen mit einem Ingenieur ein Verfahren, mit dem sich aus Chinaschilf Wände, Decken, Estrich, Dämmputze oder Schallschutzwände herstellen lassen. Er wurde dafür 2002 mit dem Förderpreis für nachwachsende Rohstoffe des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. „Rückblickend waren wir 20 Jahre zu früh. Damals hat sich niemand für nachhaltige Baustoffe interessiert. Jetzt boomt es“, sagt Pude.
Der Gebäude- und Bausektor verursacht rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Beton und Zement gelten als besonders klimaschädlich. Gleichzeitig entstehen riesige Mengen Abfall beim Bau und auch beim Abriss von Häusern – mehr als die Hälfte des deutschen Müllaufkommens fällt auf die Baubranche zurück. Nur wenige Baumaterialien werden recycelt. Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, braucht es neue umwelt- und klimaschonende Materialien. Pudes Forschung könnte einen kleinen Beitrag dazu leisten. Vor Kurzem hat er Bauplatten aus Miscanthus patentiert, die mit natürlichem Bindemittel zusammengehalten werden, also ohne Kleber oder Zement. Die Platten können klein geschreddert und weiterverwertet werden.
Bereits auf dem Feld leistet der Miscanthus vielfältige Dienste. Die Pflanze wächst schnell, bis zu fünf Zentimeter pro Woche. Dabei speichert sie jede Menge CO2. „Ein Hektar Miscanthus bindet 30 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Das schafft keine andere Pflanze, die man hier anbauen kann“, sagt Pude. 30 Tonnen CO2 entsprechen etwa dem CO2-Fußabdruck einer Kleinfamilie pro Jahr. Zum Vergleich: Ein Hektar Wald bindet im Durchschnitt etwa 5,4 Tonnen CO2, laut Berechnungen der Stiftung Unternehmen Wald.
Felder sind Rückzugsort für viele Tiere
Miscanthus braucht außerdem nur wenig Dünger und keine Pestizide. Das ist gut für die Umwelt. Denn Pestizide bleiben nach ihrem Einsatz nicht nur lange auf den Feldern und reichern sich in Organismen und im Erdreich an. Wind und Regen verteilen sie auch auf benachbarte Biotope und Gewässer, wo sie Insekten und somit auch Tiere, die sich von ihnen ernähren, wie etwa Vögel, schaden. Die Miscanthus-Felder sind ein Rückzugsort für unzählige Insekten, Spinnen und Zwergmäuse. Der Miscanthus bleibt über den Winter stehen und wird erst im Frühjahr geerntet. Zwischen den Schilfhalmen ist es warm, der Regen wird abgehalten. Auch größere Tiere fühlen sich auf den Feldern wohl. „Seit wir den Miscanthus anbauen, haben wir zwei Rehe bei uns am Campus“, sagt Pude.
Der Wissenschaftler hat noch viele weitere Ideen, wofür Miscanthus genutzt werden kann. In einem neuen Projekt wollen er und sein Team untersuchen, inwiefern das Schilfgras als Hochwasserschutz dienen kann. Einige Landwirte haben in der Gemeinde Grafschaft bereits Miscanthus als Hochwasserschutz gepflanzt. Bei Starkregen hält es Wasser und Schlamm zurück, zumindest teilweise, das sonst bis zu den unten am Hang liegenden Häusern und Wegen laufen würde. „Anstatt Rückhaltebecken zu bauen und Landwirten Fläche wegzunehmen, wollen wir mit den Landwirten gemeinsam Hochwasserschutz betreiben“, sagt Pude. Miscanthus wird immer beliebter. Mittlerweile wird es auf insgesamt 5.000 Hektar in Deutschland angebaut. Tendenz steigend. In der Umgebung der Uni Bonn findet man Miscanthus-Felder unter anderem in Wormersdorf, Oberdrees, Flerzheim und Heimerzheim.