In der Lausitz wird seit über 150 Jahren Braunkohle abgebaut. Danach wächst dort kein Grashalm mehr – oder doch? Wissenschaftler und Bauern versuchen gemeinsam, kaputten Böden neues Leben einzuhauchen.
Am Anfang war Thomas Domin „der Spinner mit den Bäumen“. So nannten ihn die Leute im Dorf, als der Landwirt zum ersten Mal Pappeln auf seine Felder pflanzte, mitten zwischen Gerste, Roggen und Hafer. Dabei sieht der 45-Jährige – Schirmmütze, Brille, Arbeitshose – überhaupt nicht aus wie ein grüner Revoluzzer. Wenn er im Pick-up-Truck zwischen Kuhstall und Hofladen pendelt, wirkt er eher wie ein amerikanischer Farmer. Doch auch er hat die Dürren der vergangenen Sommer erlebt, die Staubstürme, die kargen Ernten. „Da liegt es doch nahe, dass man was tut“, sagt Domin.
Sein Ansatz ist gleich aus zwei Gründen bemerkenswert. Schon die sogenannte Agroforstwirtschaft, also das Pflanzen von Hecken und Bäumen auf Feldern, macht ihn zum Exoten. Hinzu kommt der Standort: Domins Bauernhof liegt im brandenburgischen Peickwitz. In der umliegenden Lausitz wird seit 150 Jahren Braunkohle gefördert. Die abgegrabenen Areale ähneln einer braun-gelben Wüstenlandschaft. Manche der Gebiete wurden inzwischen geflutet, wodurch eine bemerkenswerte Seenlandschaft entstanden ist. Auf anderen ehemaligen Tagebauflächen, den sogenannten Kippen, tut sich erst mal nichts.
Den umgewühlten Erdschichten fehlt es an allem, was einen fruchtbaren Boden ausmacht. Auf manchen Kippen wächst höchstens noch Gras. Oder gar nichts. Dann droht eine großflächige Versteppung.
Lausitz könnte zum Vorbild werden
Die gute Nachricht: Dass es so kommt, ist nicht ausgemacht, und dazu tragen Bauern wie Thomas Domin bei. „Demonstrationsbetrieb für Naturschutz in der Landwirtschaft“ steht auf einem Schild an seinem Eingangstor. Zusammen mit Forschenden der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) testet er, welche Nutzpflanzen im Niemandsland vielleicht doch gedeihen.
Klappt der Versuch, könnte die Lausitz zum Vorbild für andere Regionen werden, die sich von der Braunkohle-Verstromung verabschieden.
In der Lausitz kommt der Kohleausstieg spätestens im Jahr 2038. Bis dahin wühlen sich noch immer tagtäglich riesige Schaufelräder durchs Erdreich. „Solche Standorte sind extrem“, sagt BTU-Mitarbeiter Christian Böhm. Seit 2007 forscht er daran, wie sich die bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Industriebrache wiederherstellen lässt. Nicht immer mit Erfolg: „Es gibt Stellen, die wirklich tot sind“, sagt Böhm.
In Brandenburg sind die Bedingungen für die Landwirtschaft sowieso schon schwierig: kaum Regen, sandige Böden, immer heißere Sommer. „Durch das Graben und Zuschütten wird zusätzlich die natürliche Struktur des Bodens zerstört“, sagt Böhm. Fällt doch mal Regen, kann das Erdreich das Wasser nicht speichern. „An manchen Stellen tun sich Risse auf wie in der Wüste. So ein Boden erholt sich nur äußerst langsam.“
Auch Thomas Domin kennt das Problem. Sein Land liegt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kippen. Ins Roggenfeld hat er kleine Inseln aus Pappeln, Robinien und Holunder gepflanzt, die die Umgebung kühlen und Schatten spenden. Obwohl dem Landwirt dadurch weniger Anbaufläche zur Verfügung steht, erntet er die gleiche Menge wie vorher. „Die Bäume sorgen dafür, dass die Erde bei Stürmen nicht wegweht“, erklärt Domin. Auch mit der Trockenheit scheinen die Gehölze gut klarzukommen. Obwohl sie erst 2015 gepflanzt wurden, ragen manche Pappeln schon bis zu 20 Meter in den Himmel.
Die Erkenntnisse, die Domin bei seiner Agroforstwirtschaft gewinnt, würde er gerne auf die ehemaligen Tagebauflächen übertragen. „Obstbäume würden da sofort vertrocknen“, sagt der Landwirt. „Aber Robinien könnten funktionieren.“ Er steuert seinen Pick-up über ein Feld, auf dem Schafe grasen. In der Ferne ist ein alter Braunkohlebagger zu sehen. „Ich habe hier Luzerne gesät, die ich als Tierfutter verwende“, sagt Domin. „Ich erwarte keinen Riesenertrag, denn die führenden Wasserschichten wurden durch den Abbau zerstört. Aber es ist ein Anfang.
Dann die Überraschung: Gleich nebenan wachsen zahlreiche Bäume, fast schon ein kleiner Wald. „Die Fläche wurde schon zu DDR-Zeiten rekultiviert“, erzählt der Bauer. „Wie man sieht, gedeihen Robinien hier ausgezeichnet.“ Zum Heizen wären sie sicher ebenfalls gut geeignet, findet Domin. Aus seinen eigenen Agroforst-Gehölzen macht er Holzhackschnitzel. „Kohle oder Gas brauche ich nicht.“
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein: Ein Landwirt experimentiert, findet eine Lösung und haucht kaputten Böden neues Leben ein. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Naturschutz und Wissenschaft kommen ins Spiel – und staatliche Vorschriften. Bis heute hat Domin keine einzige Robinie auf die kargen Kippen gepflanzt.
Denn aus Naturschutzsicht hat der vermeintlich perfekte Baum einen Haken. „Tolerant gegenüber Salz und Luftverschmutzung, kommt die Robinie mit (…) schwierigen Bodenverhältnissen gut zurecht“, schreibt der Naturschutzbund (Nabu) auf seiner Homepage. 2020 wurde der „Bienenmagnet“ sogar zum Baum des Jahres gekürt. Doch die Robinie ist in Europa nicht heimisch, sie wurde vor über 300 Jahren aus Nordamerika importiert. Die Befürchtung: Als invasive Art könnte sie heimische Gewächse verdrängen, weshalb Landwirte sie nicht anpflanzen dürfen.
Wissenschaftler Christian Böhm ist darüber nicht glücklich. „Es gibt eine gewisse Doppelmoral“, findet der Bodenkundler. „Für Spielplätze importieren wir gerne Robinienholz, das aus Rumänien und anderen europäischen Ländern stammt, wo es ebenfalls nicht heimisch ist. Aber im deutschen Agroforst dürfen wir den Baum nicht nutzen.“ Ihm sei die Problematik invasiver Arten durchaus bewusst. „Aus sensiblen Biotopen muss man sie fernhalten. Aber ansonsten wäre ich dafür, sie zuzulassen.“
Boden gewinnt seine Struktur zurück
Da sich daran aber vermutlich so schnell nichts ändert, müssen die Lausitz-Landwirte auf andere Pflanzen ausweichen. Weiden und Pappeln, zum Beispiel. „Da gibt es vielversprechende Züchtungen“, sagt Böhm. Auf einigen Flächen, auf denen gar nichts gesät werde, siedelten sich selbstständig Sträucher und Krautpflanzen an. Auf anderen, besonders toten Flächen ist mehr Handarbeit nötig. Dort säen die Landwirte, die mit den Wissenschaftlern zusammenarbeiten, zunächst Luzerne aus. Diese bilden tiefe Wurzeln, wodurch der Boden seine natürliche Struktur zurückgewinnt.
Sofort nutzen dürfen die Bauern die Ernte nicht – stattdessen bleiben die Luzernen liegen, damit sich eine Humusschicht aufbaut. „So erholt sich der Boden ganz langsam“, erklärt Böhm. Bis zu 20 Jahre könne es dauern, bis die Kippen zu „normalem“ Ackerland werden.
Die zweite Methode ist die Mahdgut-Übertragung. Dabei werden Wiesen im Umfeld des Tagebaus gemäht. Das gesammelte Material, eine Mischung aus Gräsern und Wildblumen, kommt anschließend auf die toten Kippen. „Wie eine Mulch-Schicht im Garten“, erklärt Botanikerin und Gründerin der Firma „Nagola Re“ Christina Grätz. Wind- und Wasser-Erosionen würden gestoppt, schon nach einem Jahr verwandle sich die Kippe in eine blühende Wiese. „Natürlich ist das kein hochgezüchteter Mais, der dort wächst“, sagt Grätz, „sondern Arten, die es sonst ohnehin schwer haben.“ Grätz ist überzeugt, dass Renaturierung genauso gut funktioniert wie eine landwirtschaftliche Rekultivierung. „Das wird sich durchsetzen. Die Wüste bleibt keine Wüste.“