Noch können es zu wenige Elektroautos und Ladeeinrichtungen – doch dem bidirektionalen Laden bescheinigt auch die Ampelregierung Zukunft: Im Koalitionsvertrag wird das „Ermöglichen“ als Ziel genannt. Aber es gibt noch einige Hürden.
Das eigene Auto als Stromspeicher nicht nur fürs Fahren nutzen, sondern auch als Reserve für das Hausnetz oder gar das nationale Stromnetz, dies würde etliche Vorteile bringen: Zum einen könnte selbst gewonnener Solarstrom, der nicht sofort verbraucht wird, im Auto zwischengespeichert und abends oder nachts verbraucht werden. Oder es könnte aus dem öffentlichen Netz zu bestimmten Uhrzeiten günstigerer Strom geladen werden. Wenn Auto-Akkus mit dem öffentlichen Stromnetz verbunden werden, könnte dieses Netz auch stabilisiert und ebenfalls großflächig mögliche Engpässe an erneuerbarer Energie überbrückt werden.
Beim sogenannten bidirektionalen Laden, also dem Laden und Entladen in zwei Richtungen, haben sich verschiedene Abkürzungen für unterschiedliche Verfahrensweisen durchgesetzt. Mit „V2H“ (vehicle to home) wird die Versorgung eines Hauses mit Strom aus dem Akku eines Elektrofahrzeugs bezeichnet. Mit „V2B“ (vehicle to building) sind größere Gebäudekomplexe gemeint, die durch mehrere Fahrzeuge oder durch Fahrzeugflotten mit Strom versorgt werden oder Spitzen des Strombedarfs abdecken.
Beim „V2G“ (vehicle to grid) werden Elektroautos an das gesamte Stromnetz für die Zweirichtungsladung angeschlossen. Im niederländischen Utrecht wird dies seit einiger Zeit getestet: Solarladestellen arbeiten in beiden Richtungen, versorgen angeschlossene E-Autos mit Strom, entnehmen ihn aber auch nach Bedarf.
„V2L“ (vehicle to load) bedeutet die direkte Versorgung einzelner Geräte wie Werkzeuge von Handwerkern oder Akkus von E-Bikes mit Strom. Das E-Auto ist dabei der fahrbare Versorger mit entsprechenden Steckdosen; eine entsprechende umgekehrte Versorgung ist eher nicht vorgesehen – es wäre also kein bidirektionales Laden, sondern das Laden der jeweiligen Geräte vom Auto aus in einer Richtung.
Noch fehlt es an intelligenten Systemen
Marco Jung leitet die Energiespeicher-Forschungsgruppe am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel und ist Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er ist einer der Forscher in Deutschland, die sich mit bidirektionalem Laden befassen. „Wir beschäftigen uns mit Leistungselektronik für erneuerbare Energien“, beschreibt er sein Gebiet. Für ihn liegt es, ebenso wie für andere Forscher, auf der Hand, bidirektionales Laden und das E-Auto als Teil eines Gesamtsystems der Energieversorgungssysteme zu betrachten. Der Grundgedanke, Batterien zu laden, sei dabei ein alter Hut, sagt Jung. Das mache man im Haus auch. Bei Autos werde nur eine stationäre Batterie auf Räder gesetzt und fahre durch die Gegend.
Doch was sich einfach anhört, funktioniert noch nicht optimal: Sowohl die Ladetechnik innerhalb des Fahrzeuges als auch die Wallbox, also die Ladestelle zum Hausnetz, sollten so ausgestattet sein, dass sie nicht nur das Laden, sondern auch den Leistungsfluss ermöglichen, also Strom abgeben können. „Das sind Herausforderungen auf der technischen Seite, die wir haben“, erklärt Jung. Zudem sollten auch die elektrischen Leitungen im Gebäude entsprechend abgesichert sein. Dazu braucht es keine Forschung mehr, sondern nur Elektriker, die dies überprüfen und entsprechend modifizieren.
Dabei müssen zwei Systeme verbunden werden: das Wechselstromsystem des Hauses und das Gleichstromsystem des Fahrzeugs. „Auf der Wechselstromseite sehe ich keine größeren Herausforderungen“, sagt Marco Jung. „Der Gleichstrom ist technisch komplexer, da wir dabei keinen Nulldurchgang haben, weswegen wir Schutztechnik innerhalb des Fahrzeuges brauchen, die in beiden Richtungen auslösen kann.“
Auto-Akku altert dadurch nicht schneller
Kosten und Effizienz passten noch nicht für eine alltagstaugliche Anwendung, heißt es beim Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik (IAF) in Freiburg. Es fehle an intelligenten und kostengünstigen bidirektionalen Ladesystemen, um Batterien, Netz, lokale Erzeuger und Verbraucher mit hohem Wirkungsgrad und hoher Leistungsdichte zu verbinden, schreibt das IAF, das zusammen unter anderem mit Bosch und der Universität Stuttgart ein vom Bundeswirtschaftsministerium gefördertes Forschungsprojekt gestartet hat. Dabei geht es um Materialien von Halbleitern. Erste bidirektionale Gleichstrom-Wallboxen mittlerer Leistung für Batterien bis 800 Volt nutzen bisher Leistungshalbleiter-Bauelemente, die für diese Anwendung noch nicht optimal sind: Sie sind entweder effizient, aber teuer (Siliziumkarbid) oder kostengünstig und nicht so effizient (Silizium). 650-Volt-Transistoren, bei denen Galliumnitrid auf Silizium aufgebracht ist, sind zwar kostengünstig und effizient, erfordern aber eine komplexe Schaltung, da die Spannungsfestigkeit nicht ausreicht.
Eine Frage, die Autobesitzer in Deutschland wohl besonders bewegt hat, so mutmaßt Marco Jung, war, ob die Batterie des Fahrzeuges nicht schneller altert, wenn das Hausnetz dort Strom abzieht. Jung kann beruhigen: „Mittlerweile ist man dabei einen ganzen Schritt weiter“. Der Höchstverbrauch, der dem Bedarf eines üblichen Privathauses entspreche, liege bei fünf bis acht Kilowatt für ein bis zwei Stunden am Tag – für Kochen, Waschmaschine, Trockner zum Beispiel: „Wenn ich mir vorstelle, ich habe ein entsprechendes Fahrzeug, das einen Antrieb von 100 kW bis 150 kW hat und beschleunige auf der Autobahn, bedeutet dies eigentlich mehr Stress, als nur ein Bruchteil dieser Leistung über einen gewissen Zeitraum.“
Der vergleichsweise geringe Verbrauch im Privathaushalt lasse sich sogar bei einem Stromausfall für etwa eine Woche überbrücken – bei sparsamem Wirtschaften, sagt Marco Jung vom Kasseler Fraunhofer-Institut. Was für ihn aber auch klar ist: Selbst mit einem E-Auto als zusätzlichem großen Speicher fürs Haus werde es keine völlige Unabhängigkeit vom Versorger geben – selbst wenn die eigene Photovoltaik-Anlage für Nachschub an Strom sorgt. Denn dazu werde im Winter zu wenig Strom gewonnen. Die Wirkungsgrade von Solarzellen sind für das im Vergleich zum Sommer wenige Licht, das auf sie trifft, zu gering.
Seit April gibt es die ISO 15118-20, eine internationale Norm, die Herstellern von Fahrzeugen und Wallboxen einen Standard für die Kommunikation zwischen E-Auto und Ladeeinrichtung vorgibt. Was fehlt, ist Klarheit über rechtliche Auswirkungen: Für E-Autos gelten andere Regularien als für Stromspeicher, zu dem das Fahrzeug bei dieser Nutzung wird. Und um tragfähige Geschäftsmodelle für die Einspeisung vor allem von Strom zu Netzstabilisierung umzusetzen, bedarf es angesichts der noch teuren Komponenten möglicherweise erst einmal einer staatlichen Anschubfinanzierung – Aufgaben, die die Ampelregierung laut Koalitionsvertrag eigentlich abarbeiten will.