Die Elektro-Limousine GWM Ora 07 fährt schnell und lädt langsam. Am Ende sind es aber ausgerechnet die Assistenzsysteme, die für Frust sorgen, wie unser Test zeigt.
Nach, diese treuen „Augen“! Ein bisschen VW Käfer, ein bisschen Porsche, und irgendwie doch ganz anders: Die ovalen Scheinwerfer des Ora 07 gefallen mir auf den ersten Blick. Endlich mal was anderes als die immergleichen Lichtschlitze, mit denen die meisten Autos daherkommen.
Der Ora 07 ist eine elektrische Mittelklasse-Limousine des chinesischen Herstellers Great Wall Motors (GWM). Besonders bekannt scheinen weder die Firma noch das Design in Deutschland zu sein. Während der Testfahrt drehen sich immer wieder neugierige Köpfe in meine Richtung. Ein Lieferant fährt sogar ein Stück zurück, lässt das Fenster runter und fragt: „Was ist das denn für ein Teil?“
Serienmäßiges Glasdach
Das „Teil“ ist die chinesische Antwort auf den Hyundai Ioniq 6 und den VW ID.7. Mit einem Einstiegspreis von 41.990 Euro kann
GWM die Konkurrenz zumindest preislich ausstechen. Bisher ist der Hersteller in Deutschland vor allem durch den Kleinwagen „Funky Cat“ aufgefallen, der inzwischen in „Ora 03“ umbenannt wurde. Die elektrische Katze hatte im Test mit einem edlen Interieur beeindruckt, nervte aber durch Assistenzsysteme, die sich ständig einmischten. Macht es der große Bruder nun besser?
Einmal auf den Schlüssel drücken, schon fahren die versenkbaren Türgriffe nach außen. Was nach dem Öffnen der Türen zum Vorschein kommt, kann sich sehen lassen. Sowohl die Sitze als auch die Türverkleidungen, die Armlehne und die Mittelkonsole sind mit einem bräunlichen Kunstlederbezug bedeckt, der überhaupt nicht künstlich wirkt. Dazwischen einige Schalter im Chrome-Look, ein dreigeteilter Tacho und mehrere LED-Leisten, die im Dunkeln verschiedenfarbig leuchten.
Beim Blick nach oben offenbart sich ein serienmäßiges Glasdach, das mich trotz Tönung später noch zum Schwitzen bringen wird. Überhaupt wirkt alles sehr sportlich, inklusive eines roten „Speed“-Knopfs am Lenkrad. Beim Einlegen des Gangs ertönt ein Geräusch, als lasse man einen Benzinmotor an. Sind wir hier bei „Top Gun“ gelandet? Kommt gleich Tom Cruise um die Ecke? Auf jeden Fall ein sehr positiver erster Eindruck.
Der zweite Blick fällt schon nüchterner aus. Optisch alles super, aber warum ist der Getränkehalter so klein? Groß hingegen fällt die Mittelkonsole aus, wodurch der eigene Bewegungsspielraum eingeschränkt wird. Die Armlehne öffnet sich zweigeteilt wie ein Buch (unpraktisch beim Fahren), die Ablage unter der Mittelkonsole ist schwer erreichbar. Eine größere Flasche findet vorne nirgendwo Platz. Am Ende lege ich sie hinter den Sitz.
Die Frage, die beim Elektroauto alle umtreibt: Wie weit komme ich damit? Der Ora 07 wird mit zwei Batteriegrößen angeboten. Der kleinere Akku hat eine Kapazität von 67 Kilowattstunden und soll 440 Kilometer weit kommen. Beim größeren 86-kWh-Akku (mein Testfahrzeug) gibt der Hersteller die Reichweite mit 520 Kilometer an. Doch wie das so ist mit Laborwerten: In der Praxis sehen sie nicht ganz so rosig aus. Bei meiner ersten Autobahnfahrt schaffe ich knapp über 400 Kilometer, wobei ich das Strompedal mehrfach durchtrete und den „Turbo-Knopf“ am Lenkrad aktiviere. Dann startet der Ora 07 so richtig durch – der Verbrauch allerdings auch. Bei der Rückfahrt mit Richtgeschwindigkeit komme ich auf eine Reichweite von knapp 450 Kilometern. Weder der Hyundai Ioniq 6 noch der deutlich teurere VW ID.7 konnten diese Werte im Test toppen.
Navi hört nicht auf zu reden
Einen klaren Vorteil hat die Konkurrenz hingegen bei den Assistenzsystemen. Zwar ist der Ora 07 mit so ziemlich allen Finessen ausgestattet, die es derzeit auf dem Markt gibt: Spurhaltehilfe, Verkehrszeichen-Erkennung, Totwinkelwarner, Abbiege-Assistent, Kollisionswarner, Abstandshalter – all das und noch viel mehr ist serienmäßig verbaut. Leider sind viele Systeme aber derart überambitioniert, dass ich die meisten von ihnen irgendwann ausstelle. Zum Beispiel den Spurhalte-Assistenten: An sich eine sinnvolle Idee. Driftet man von der Straße ab, greift das Auto ein. In diesem Fall ist der Ora 07 aber so erpicht darauf, die rechte Fahrbahnmarkierung zu meiden, dass er fast schon in den Gegenverkehr drängt. Das geht gar nicht!
Nicht viel besser schneidet das Fahrerüberwachungssystem ab. Eine Videokamera soll verhindern, dass man sich zu lange vom Verkehrsgeschehen abwendet. Das bedeutet jedoch, dass schon beim Blick aufs Navi ein Warngeräusch ertönt. Und nicht nur dann. Sobald das Tempolimit geringfügig überschritten wird, meckert das Auto. Als der Himmel aufklart und ich eine Sonnenbrille aufsetze, kann die Kamera mein Gesicht nicht mehr richtig erkennen. „Verschlechterung des Fahrerüberwachung“, moniert der Ora in gebrochenem Deutsch.
Noch schlimmer ist das Navi, das einfach nicht aufhört zu reden. Ständig weist es darauf hin, doch bitte auf der Autobahn zu bleiben – obwohl es stur geradeaus geht. „Vor Ihnen befindet sich eine Rechtsspur-Zusammenführung“, tönt es an jeder einzelnen Auffahrt, die man passiert. Und später auf der Landstraße: „Kurve vor Ihnen.“ Nach einer halben Stunde bin ich so gestresst, dass ich den Ton ausstelle.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt ist, zeigt sich, dass das Navi durchaus sauber arbeitet. Gute Auflösung, übersichtliche Karte, hochauflösende Rückfahrkamera und 3D-Ansicht beim Einparken. Auch eine Ladeplanung für längere Strecken ist integriert. Anders als bei den Assistenzsystemen gibt es hier keine Überreaktionen. Für meine 800 Kilometer lange Autobahnfahrt plant das Navi zwei Ladestopps bei verschiedenen Anbietern ein – genau richtig!
Ein großes Augenmerk legt Ora auf Sprachbefehle, die man der Limousine geben kann. „Ich erkenne und verstehe deine Wünsche sofort“, tönt der Hersteller auf seiner Website. Nun ja. Das Fenster öffnen und die Klimaanlage aktivieren klappt noch gut. Sobald es aber etwas komplizierter wird („Stelle den Bildschirm dunkler“), ist Schluss. Klar, wir sind noch nicht bei Star Trek, wo Computer so gut sprechen wie Menschen. Aber ein bisschen mehr sollte schon drin sein, wenn man ein System derart großspurig bewirbt.
Ankunft an der Ladestation. Hier endet das Top-Gun-Feeling komplett, denn der Ora 07 lädt mit maximal 88 Kilowatt. Das ist alles andere als zeitgemäß. Zum Vergleich: Der VW ID.7 schafft 175 Kilowatt, der Ioniq 6 sogar 232 Kilowatt. Natürlich ist es kein Muss, ein E-Auto innerhalb von 20 Minuten aufzuladen. Ich persönlich finde eine längere Pause gar nicht schlimm, weil an der Raststätte sowieso locker eine halbe Stunde vergeht, bis man die Waschräume und das Restaurant besucht hat. Trotzdem: Bei einem Fahrzeug, das sogar einen Turboknopf am Lenkrad hat, wird eine andere Erwartungshaltung geweckt. In diesem Fall dauert es 45 Minuten, bis ich 80 Prozent erreicht habe.
Als ich spät abends ankomme, leuchtet der Ora innen gemütlich. Nur beim Abschließen zeigt der Wagen noch einmal seine sportliche – man könnte auch sagen: prollige – Seite. Er gibt ein Geräusch von sich, das wie der Abschiedsgruß eines alten Windows-Betriebssystems klingt. Leider ist er dermaßen laut, dass die Nachbarn sofort aus dem Bett fallen.
Kurzum: Ein komfortables Auto, das mit passabler Reichweite und einem guten Preis punktet. Doch was nützen die hübschesten „Augen“, wenn sich dahinter ein Nerv-Navi verbirgt?! Hoffentlich installiert Ora schon bald ein Update.
Transparenz-Hinweis: Der Hersteller hat das Fahrzeug für den Autotest 14 Tage zur Verfügung gestellt. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt des Berichts.