Seit 28 Jahren gewinnt Deutschland bei Sommerspielen immer weniger Olympiamedaillen, in Paris bedeutete Platz zehn in der Nationenwertung die schwächste Bilanz seit 1952. Der Bedarf an Verbesserungen im Fördersystem ist unstrittig – ganz anders als mögliche Lösungen.

Der einst klangvolle Begriff „Sportnation Deutschland“ verliert in seiner olympischen Dimension zunehmend seine Daseinsberechtigung. Das durchwachsene Ergebnis des „Team D“ bei den Sommerspielen im Paris hat eine schon bald drei Jahrzehnte anhaltende Negativentwicklung des deutschen Sports nur bestätigt. Die nach der Schlussfeier an der Seine wieder hochkochenden Debatten über Wege aus der Medaillenmisere offenbaren eine Vielzahl an Ansatzpunkten ebenso wie auch die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Verständigung auf den künftigen Stellenwert des Sports für die Gesellschaft. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) blickt der tristen Realität tapfer ins Auge. „Es ist noch nicht gelungen“, sagt DOSB-Leistungssportvorstand Olaf Tabor, ungeachtet eines Dutzends Olympiasiegen, „den Abwärtstrend in der Medaillenausbeute aufzuhalten.“
Für Schönfärberei sprechen die Zahlen von Paris auch eine zu deutliche Sprache. Die Ausbeute von 33 Medaillen (zwölfmal Gold, 13-mal Silber und achtmal Bronze) bedeuten für den Deutschen Olympischen Sportbund die schwächste Ausbeute seiner Aktiven bei Sommerspielen seit der Wiedervereinigung. Platz zehn in der Nationenwertung stellt sogar die niedrigste Einstufung im Medaillenspiegel nach dem Olympia-Comeback deutscher Athleten vor 72 Jahren in Helsinki mit Rang 28 (24 Medaillen und keine Goldmedaille) dar.
Bei der bundesdeutschen Bestmarke 1992 in Barcelona mit 82 Medaillen (33-mal Gold) profitierte die deutsche Mannschaft noch vom streitbaren System der untergegangenen DDR. Seither jedoch sank die Anzahl der Podestplätze bei allen Sommerspielen – mit Ausnahme eine geringfügigen Anstiegs 2012 in London – stetig: Das Gesamtresultat des Team D in Paris lag gut 60 Prozent unter der Bilanz von Barcelona, in Spanien konnten die deutschen Aktiven außerdem noch beinahe dreimal so oft über einen Olympiasieg jubeln wie nun in Frankreich.
Bundesdeutsche Bestmarke 1992

Vorschläge zur Lösung der offenkundig großen, weil strukturellen Probleme haben nicht lange auf sich warten lassen. Der Katalog ist dabei jedoch so vielfältig wie die mutmaßlichen Ursachen. Bahnrad-Doppelolympiasiegerin Kristina Vogel favorisiert für den populären Ansatz hohe und entsprechend symbolträchtige Prämien. „Ich fordere eine Million Euro für Olympiasieger, das hätte Strahlkraft“, erklärte die 33-Jährige.
Ihre Weitsprung-Kollegin Malaika Mihambo hingegen betrachtet die Schwierigkeiten aus einer ganzheitlichen Perspektive: „Man kann nicht nur sagen, es liegt an der Politik, es geht auch um die Gesellschaft, es geht auch um die Frage: Wollen wir als Gesellschaft sagen, Fußball geht uns über alles? Ich wünsche mir, dass man mehr über die Breite kommt, Kinder abholt, die Sportarten stärkt, die außerhalb des Fußballspektrums liegen, und die Vielfältigkeit fördert“, meinte die Goldmedaillen-Gewinnerin von Tokio. Das Gesamtkonstrukt Spitzensportförderung kritisiert Kanu-Olympiasieger Max Rendschmidt: „Man muss die Konzepte im Leistungssport überarbeiten, bei der Förderung an Stellschrauben drehen oder auch einiges komplett überdenken“, forderte Deutschlands Fahnenträger bei der Schlussfeier von Paris.
Die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser will das System „modernisieren, entbürokratisieren und transparenter gestalten“. Wie viel Zeit der schon quälend lange und von Machtkämpfen zwischen Sport und Politik zusätzlich belastete Reformprozess bereits gefressen haben, ließ Sportvorstand Jörg Bügner in der Paris-Bilanz des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) erkennen: „Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren.“
Medaillenzuschüsse gestiegen

Außer Bürokratie gilt die finanzielle Ausstattung des Spitzensports in Deutschland als entscheidender Mangel. Allerdings liegt die Förderung alleine durch den Bund im kommenden Jahr mit künftig 331 Millionen Euro international durchaus im konkurrenzfähigen Bereich, zumal diese Mittel sich seit 2010 mittlerweile mehr als verdoppelt haben. Darüber hinaus fließen aus weiteren öffentlichen Quellen weitere hundert Millionen in Sportfinanzierung. In Summe beträgt die Unterstützung innerhalb eines olympischen Vier-Jahres-Zyklus mehr als eine Milliarde Euro.
Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Wehklagen über unzureichende Zuwendungen ebenfalls als kaum haltbar. Großbritanniens Leichtathletik erhielt in den fünf Jahren vor Paris insgesamt 27 Millionen Euro Fördermittel und brachte dafür zehn Medaillen von der anderen Seite des Ärmelkanals auf die Insel. Bügners DLV, im jüngsten Ranking der Spitzensportförderung die Nummer eins der Sommersportverbände, wurde im gleichen Zeitraum mit 50 Millionen Euro gepäppelt und sammelte unterm Eiffelturm dennoch nur vier Plaketten.
Auch statistisch muss sich der Bund offenbar kaum Knauserigkeit vorhalten lassen. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen

Wirtschaft (IW) war in Paris jede gewonnene Medaille beinahe doppelt so hoch bezuschusst wie noch 2016 in Rio de Janeiro. Am Zuckerhut steckten 2,2 Millionen Euro an Bundesmitteln in jeder Medaille, 2021 in Tokio schon 3,2 Millionen Euro und nun in Frankreichs Hauptstadt stolze 3,7 Millionen Euro.
Demnach erscheint weniger das finanzielle Volumen der Unterstützungsleistungen als vielmehr die Effizienz bei Verteilung und Nutzung der Millionen von entscheidenderer Bedeutung sein. Dabei sind grundsätzliche Voraussetzung scheinbar jedoch keine Selbstverständlichkeit: Zu oft müssen Bundestrainer Jahr für Jahr um ihre Anstellung bangen, zu oft kümmern sich Coaches fast mehr um die Sammlung von Mitteln für Physiotherapeuten oder Trainingscamps als um ihre Schützlinge, zu oft sind Trainingsstätten für Topsportler in erbärmlichen Zuständen.
Für IW-Ökonom Simon Gerards Iglesias spiegeln sich im Spitzensport jedoch nur die schwierig gewordenen Verhältnisse in ganz Deutschland wider: „Die Sportförderung leidet unter derselben Krankheit, die auch die Wirtschaft belastet. Viel zu häufig verschlechtert Bürokratie die Zielgenauigkeit staatlicher Maßnahmen.“
„Olympia kann nicht Heilsbringer sein“

Über den ertragreichen Einsatz selbst von wenig Geld etwas lernen können DOSB und Sportpolitiker ausgerechnet bei Deutschlands kleinem Nachbarn in den Niederlanden. Trotz einer 80 Prozent niedrigeren Einwohnerzahl holte „Oranje“ in Paris drei Goldmedaillen und auch insgesamt einen Podiumsplatz mehr als Deutschland. Auf Platz sechs des Medaillenspiegels rangierte das kleine Königreich in jenen Regionen der erweiterten Weltspitze, die für das Team D erstmal außer Reichweite scheinen.
Die niederländischen Nachbarn hätten „beim Suchen von Talenten und bei der Förderung bis in die Weltspitze sehr viel richtig gemacht. Dort werden Medaillenpotenziale identifiziert und konsequent verfolgt“, konstatierte Leistungssportvorstand Tabor – und schob sogar etwas kleinlaut nach: „Das muss uns zu denken geben.“
Von besonders in der Politik verbreiteten Gedanken an eine erfolgreiche Bewerbung Deutschlands um die Olympischen Spiele 2040 als Wundermittel gegen die sportliche Misere hält DOSB-Präsident allerdings wenig. Der Limburger bemüht sich mehr um Kurskorrekturen bei der Basisarbeit: „Es gibt Handlungsbedarf auf vielen Ebenen. Wir benötigen mehr Trainer und eine bessere Besoldung der Trainer. Das versuche ich seit vielen Jahren voranzubringen, leider ist es noch nicht gelungen. Aber zu unseren Problemen neben Geldmangel gehören auch der Sport in der Schule und in den Kindertagesstätten.“
Unterstützung in seiner differenzierten Sicht auf die Auswirkungen von Sommerspielen in Deutschland auf die Resultate deutscher Athleten bekommt Weikert von Mihambo: „Olympia kann nicht der Heilsbringer sein, der alles ändert.