Nicht nur der Bundestrainer erwartet in der neuen Saison der Handball-Bundesliga vier Meisterschafts-Anwärter. Während Titelverteidiger Magdeburg Personalprobleme plagen, löst bei Rekordchampion Kiel ein prominenter Rückkehrer Euphorie aus.
Die deftige Final-Pleite von Paris hat Alfred Gislason längst abgehakt. Deutschland habe bei Olympia „die mit Abstand jüngste Mannschaft“ gehabt und insgesamt „ein großartiges Turnier gespielt“, sagte der Bundestrainer. Dass im Endspiel Gold- Topfavorit Dänemark zwei Nummern zu groß gewesen war und dem jungen deutschen Team beim 39:26 eine Lehrstunde erteilt hatte, war bitter. Aber kein Grund für Pessimismus. Olympia-Silber war der größte Erfolg der jüngeren Vergangenheit und lässt auf internationale Titel in der Zukunft hoffen. Bis zur Weltmeisterschaft 2025 ab Mitte Januar in Kroatien, Dänemark und Norwegen darf Gislason aber etwas durchschnaufen. Die Diskussionen um seine Zukunft haben sich mit der Vertragsverlängerung bis 2027 und dem erfolgreichen Olympia-Abschneiden erledigt. Der Isländer hat den Kader-Umbruch im Auswahlteam erfolgreich gemeistert, doch gesetzt sind auch die Olympia-Helden nicht. Jeder Spieler muss sich in der neuen Saison wieder beweisen. Am vergangenen Donnerstag fiel der Startschuss für die Spielzeit 2024/25, in der der Bundestrainer „einen Vierkampf“ um den Titel erwartet. Das Forum-Magazin stellt die vier großen Favoriten vor.
SC Magdeburg
Das erklärte Ziel des amtierenden Meisters ist klar: die erfolgreiche Titelverteidigung. Doch die Vorbereitung offenbarte einige Schwächen. Beim Testturnier in Kassel wenige Tage vor dem ersten Ligaspiel am Samstag (7. September) gegen Wetzlar belegte das Team von Trainer Bennet Wiegert nur den vierten und letzten Platz. Unter anderem verlor es gegen Ligakonkurrent MT Melsungen im Siebenmeterwerfen. „Wir wollten mit einem guten Gefühl aus der Vorbereitung rausgehen“, sagte Wiegert. Dass das Gegenteil der Fall ist, lag auch an der fehlenden Konsequenz im Offensivspiel, das sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitung zog. „Wir haben aber nicht genug finalisiert“, haderte Wiegert. Torjäger Matthias Musche zeigte zumindest Selbstkritik und sprach im Namen der Mannschaft von „zu vielen dummen Fehlern“ und einer deutlich ausbaufähigen Rückwärtsbewegung. Seine eindringliche Warnung lautete: „Das sind nicht wir. Das müssen wir schnell hinkriegen.“
Den Saisonstart könnten auch die Verletzungssorgen erschweren. In der Vorbereitung fielen unter anderem Tim Hornke, Felix Claar, Oscar Bergendahl, Omar Ingi Magnusson und Daniel Pettersson aus. Die dünne Personaldecke könnte sich angesichts des erneuten Mammut-Programms für den Champions-League-Sieger zum Problem entwickeln. „In der vergangenen Saison haben wir sehr von unserer Kaderbreite profitiert, die maßgeblich zu den jüngsten Erfolgen beigetragen hat“, weiß Wiegert. Der Trainer ist nun auch als Geschäftsführer Sport im Club angestellt, entsprechend war er hauptverantwortlich für die Transfertätigkeiten. Im linken Rückraum soll Antonio Serradilla für mehr Konkurrenz im Team sorgen, der zuvor vertragslose Isak Persson soll die Personalnot auf Rechtsaußen auffangen. Eine Sofortverstärkung dürfte Manuel Zehnder sein. Der Torschützenkönig der Vorsaison kam nach einem wochenlangen Rechtsstreit mit seinem Ex-Club HC Erlangen nach Magdeburg.
Wichtig wird für den SCM auch sein, dass der Weltklasse-Torwart Nikola Portner spielen kann. Nach einer jüngsten Entscheidung der Handball-Bundesliga HBL, die die Suspendierung des Franzosen trotz positiver Doping-Probe aufgehoben hatte, darf Portner wieder auflaufen. Doch gegen diese Entscheidung hat die Nationale Anti-Doping-Agentur vor den Internationalen Sportgerichtshof Einspruch eingelegt. Wann ein endgültiges Urteil in der Sache fällt, ist offen. Der Schlussmann war im April positiv auf Methamphetamine getestet worden. Laut HBL habe Portner ausreichend nachweisen können, dass es sich bei der geringen Dosierung der nachgewiesenen Menge um keine aktive Einnahme gehandelt habe. Diese hatte der Profi selbst auch stets bestritten. Eine leistungssteigernde Wirkung könne schlussfolgernd ausgeschlossen werden, bekräftigte die HBL. Magdeburg geht fest davon aus, mit Portner und Ersatzmann Sergey Hernandez als festes Torwart-Duo die neue Saison bestreiten zu können.
THW Kiel
Ganz klar: Nach der miserablen Vorsaison mit einem desolaten Platz vier in der Endabrechnung will der deutsche Rekordmeister wieder ganz vorne angreifen. Entscheidend mithelfen soll ein Rückkehrer: Andreas Wolff. Der Nationaltorwart, der von 2016 bis 2019 bereits für die Zebras aufgelaufen war, gilt als großer Hoffnungsträger. Nicht zu Unrecht, wie Bundestrainer Gislason findet. Den Keeper vom polnischen Spitzenclub Industria Kielce zu holen, sei „eine Superverpflichtung“ für die Kieler. Wolff zeigte auch bei Olympia in Paris, vor allem im Halbfinale gegen Spanien, seine Extraklasse. Nationalmannschaftskollege Sebastian Heymann schwärmte: „Ein Teufelskerl, der alles hält, was auf ihn zukommt.“ Und Wolff ist jemand, der auch das Siegergen zum THW zurückbringen soll. „Mit seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten wird er uns sofort verstärken und wichtige Impulse in der Mannschaft setzen“, sagte Geschäftsführer Viktor Szilagyi.
Wolff ist sich sicher, dass sein neues Team wieder in den Titelkampf eingreifen kann. „Ich traue der Mannschaft einiges zu“, sagte der 33-Jährige: „Ich denke, wir haben einen fantastischen Kader, der sowohl in der Spitze als auch in der Breite top besetzt ist. Wenn wir in den Flow kommen, wird einiges möglich sein.“ Kiel startete mit einem schweren Auswärtsspiel bei den Rhein-Neckar Löwen. Auf sein erstes Heimspiel nach fünf Jahren in Polen am 12. September gegen Göppingen freut sich Wolff „riesig“. „Hier ist meine Heimat, und ich möchte mir sportlich Woche für Woche den Wettkampf mit den besten Teams der Welt liefern.“ Dass seine Rückkehr mit so hohen Erwartungen verknüpft ist, scheint dem Nationalkeeper nichts auszumachen: „Ich liebe den Druck, den du beim THW Kiel und in der stärksten Liga der Welt hast.“ Neben Wolff verpflichtete der THW auch Emil Madsen, Bence Imre und Lukas Zerbe als neue Spieler.
Füchse Berlin
Als Vizemeister will der Hauptstadt-Club selbstverständlich auch in den Titelkampf eingreifen. Entscheidend wird sein, wie die Füchse ihre Premiere in der Champions League angehen. Wird sie für Kopf und Körper eine zu große Belastung? Oder sorgt sie für eine noch größere Euphorie? „Es ist auch ein Riesenanreiz, in der Champions League zu spielen“, sagte Rückraumspieler Paul Drux über die bevorstehenden Aufgaben in der Königsklasse: „Das ist das Größte. Da will sich jeder präsentieren.“ Doch leidet darunter eventuell der Liga-Alltag? Erfahrungen mit der Mehrfachbelastung haben die Berliner in den Vorjahren in der Europa League genug gesammelt, zudem ist der Kader qualitativ und quantitativ gut genug besetzt. „Die Belastung wird hoch sein, aber wir haben ambitionierte Ziele“, bestätigte Drux, der nach einer Meniskusverletzung wieder in Topform kommen will. Der Nationalspieler kündigte vollmundig an: „Wir wollen wieder oben mitspielen.“ Ein Warnschuss war jedoch die blamable 32:41-Pleite im Vorbereitungsturnier in Halle/Westfalen gegen den ungarischen Topclub Telekom Veszprém.
Viel Verantwortung wird wieder auf dem dänischen Olympiasieger und Welthandballer Mathias Gidsel lasten. Als nun fester Neuzugang soll Max Beneke, der beim Kooperationspartner VfL Potsdam in der Vorsaison Torschützenkönig der 2. Handball-Bundesliga war und seine Knieverletzung rechtzeitig zum Saisonstart auskuriert hat, Akzente setzen. Vom erfahrenen Außenbahnspieler Tobias Reichmann erwarten die Verantwortlichen, dass er die vielen Talenten auch in der Kabine mit anführt. „Ich bin gespannt, wo die Reise in der nächsten Saison hingeht“, sagte der 36-Jährige: „Zudem habe ich gehört, dass ich der Älteste in der Mannschaft bin. Ich will meine Erfahrung auf jeden Fall mit den jungen Spielern teilen und so etwas Positives bewirken.“
SG Flensburg-Handewitt
Dem Vorjahres-Dritten räumt Bundestrainer Gislason neben Magdeburg sogar die besten Titelchancen ein. Die Generalprobe war schon mal vielversprechend: Mit einem 43:34-Torfestival im Finale des Testturniers in Nordhorn gegen Montpellier ließ die SG aufhorchen. Die Form stimmt, der Kader ist exzellent bestückt – im zweiten Jahr unter Trainer Nicolej Krickau will man an der Förde endlich wieder eine Meisterparty feiern. Oder mindestens in die Champions League einziehen. „Wir wollen einen der ersten beiden Plätze haben, aber das wollen fünf andere Mannschaften auch“, sagte Krickau: „Wir müssen Woche für Woche schauen: Wie können wir besser spielen? Wir können wir unter die ersten zwei kommen?“ Beim Nordclub denkt man groß. „Wir wollen in ein paar Jahren wieder Champions-League-Sieger werden“, kündigte Ljubomir Vranjes an. Der Triumph in der European League hat die Mannschaft sichtlich selbstbewusst gemacht.
Mithelfen beim Angriff auf den Meistertitel soll Niclas Kirkelökke. Der Linkshänder wechselte von den Rhein-Neckar Löwen an die Förde. Unter Cheftrainer Krickau hat er bereits zwei Jahre bei GOG in Dänemark gespielt. „Wir verstehen uns sehr gut und wenn ich mir seine Entwicklung der vergangenen Jahre anschaue, bin ich mir sicher, dass er eine neue Dimension zu unserem bestehenden Team und Spiel hinzufügen wird“, sagte Krickau. Für Kirkelökke war die Entscheidung für Flensburg aber auch geografisch betrachtet, wichtig: „Ich habe gemerkt, dass ich näher an allem sein will, was in Dänemark ist – an meinen Freunden und meiner Familie.“