Die Wahlen in Thüringen und Sachsen haben nachdenklich gestimmt. Doch was wird passieren, wenn am 22. September mit Brandenburg das dritte Ost-Bundesland zur Wahlurne schreitet?
Dietmar Woidke findet klare Worte: „Wenn ich gegen die AfD verliere, bin ich weg“, sagte der brandenburgische SPD-Ministerpräsident bereits zum Wahlkampfauftakt. Schaut man auf die neusten Umfragewerte, liegen diese aber noch gute vier Prozentpunkte über ihm und der SPD, doch diese stammen auch noch aus Zeiten vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen. Dabei erfreut sich Woidke hervorragender Beliebtheitswerte in Brandenburg: 55 Prozent gaben an, zufrieden mit der Arbeit des seit 2013 regierenden Ministerpräsidenten zu sein. Und das nicht ohne Grund: Die neuesten Zahlen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland haben sein Bundesland zum Klassenprimus gekürt, das Durchschnittseinkommen in Brandenburg liegt über dem ostdeutschen Durchschnitt, und das hat wiederum einen Einwohnerzuwachs zur Folge.
„BSW ist für uns nach wie vor eine Blackbox“
Dennoch – Woidke stolpert über seine eigene Partei. Denn die SPD erlebt eine historische Wahlschlappe. Und das deutschlandweit. In Brandenburg schneiden die Sozialdemokraten da noch mit am besten ab. Unter anderem auch, weil Woidke sich im Wahlkampf bewusst von der Bundespartei und auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der selbst in Brandenburg lebt, abgegrenzt hat. „Weil wir klarmachen wollen, dass es um Brandenburg geht“, sagte er gegenüber „Radio eins“. „Die alle werden nachher nicht im Brandenburger Landtag sitzen.“
Ein klarer Seitenhieb auch auf Sahra Wagenknecht und ihr BSW, das nicht nur in Sachsen und Thüringen gleich zweistellig punkten konnte, sondern auch in Brandenburg bei um die 17 Prozent landen könnte. „Das BSW ist für uns in großen Teilen nach wie vor eine Blackbox“, bemängelt er zudem. Ob eine Koalition mit der neuen Partei eine Option wäre, sei abhängig davon „wer das Sagen hat“. Eine Schattenherrschaft Wagenknechts „aus dem Saarland heraus“ werde er nicht hinnehmen. Der Brandenburger Spitzenkandidat Robert Crumbach, ein Ex-Richter mit SPD-Vergangenheit, jedenfalls ist politisch bislang kaum in Erscheinung getreten und verfügt bislang nicht einmal über einen eigenen Eintrag bei der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“.
Dass es in Brandenburg eine Diskussion um eine mögliche Ministerpräsidentschaft des BSW kommt, wie beispielsweise in Thüringen thematisiert wurde, ist sehr unwahrscheinlich. Dafür liegen AfD, SPD und auch CDU zu weit vorn. Entscheidend für die Mehrheitsbildung könnte sie aber allemal werden. Doch bis es überhaupt zu Überlegungen über mögliche Koalitionen kommen kann, müsste die AfD erst einmal weiter Federn lassen. Mit dem sturen Übernehmen der AfD-Themen von anderen Parteien konnte dies jedenfalls nicht erreicht werden, wie die beiden jüngsten Landtagswahlen gezeigt haben. Hoffnung gibt dort auch ein wenig Sachsen, wo CDU-Mann Michael Kretschmer die Wahl entscheiden konnte und erheblich davon profitierte, dass etwa die Hälfte der CDU-Wähler als Motivation angab, einen Sieg der AfD verhindern zu wollen.
Das ist auch Woidkes erklärtes Ziel: „Ich stehe als Ministerpräsident und Spitzenkandidat vor allem dafür, zu verhindern, dass Rechtsextremisten in diesem Land je wieder was zu sagen haben“, betonte der Sozialdemokrat. Denn auch wenn eine Regierungsbildung ohne die AfD gelinge, mahnte er deutlich: „Ein Wahlsieg der AfD bedeutet, dass im brandenburgischen Haus der Demokratie, in unserem Landtag, ein Parlamentspräsident der AfD das Sagen und das Hausrecht hat.“ Es sei nicht nur eine Landtags-, sondern auch eine Richtungswahl, betonte Woidke. Und es gehe darum, ob Brandenburg weiter ein erfolgreiches Bundesland bleibe oder ob „die Brandenburger Fahne große braune Flecken“ bekomme.
Aber gibt es noch Hoffnung für die Wahlen? Ja. Denn zum einen ist Brandenburg besser aufgestellt als Thüringen und Sachsen. Besonders in den Gebieten, die starke Einwohnerverluste zu beklagen haben, konnte die AfD am 1. September punkten. Ein Problem, das Brandenburg nicht hat. Prognosen zufolge bleibt Brandenburg auch künftig das einzige Ostbundesland, das weiter wächst statt schrumpft. Zum anderen lassen die ersten Reaktionen auf die AfD-Wahlsiege hoffen, dass Brandenburg sich ein ähnliches Koalitions-Hickhack ersparen möchte. Auch in Brandenburg ist die AfD ein Verdachtsfall für den Verfassungsschutz. Einen Koalitionspartner wird man also auch hier nicht finden.
Kein Protest, sondern Überzeugung?
Doch ist das Erstarken von AfD und BSW wirklich nur auf die Ampel-Regierung in Berlin zurückzuführen? Nein, wenn man Politikwissenschaftlern wie Marcel Lewandowsky glaubt: „Zu behaupten, das sei alles eine Reaktion auf die Ampel, ist eine kurzfristige Taktik, aber keine gute Analyse“, so der Populismusforscher gegenüber der deutschen Presseagentur „dpa“. „Die Ampel trägt ihren Teil dazu bei, aber ähnliche Entwicklungen haben wir in Frankreich, in Österreich, in den Niederlanden – das ist also nichts, was nur in Deutschland passiert.“ Die Menschen wählen die AfD, „weil sie mit ihren Positionen übereinstimmen, vor allem mit Migrations- und Gesellschaftspolitik“, sagt Lewandowsky und betont zudem: „Die AfD macht eine Art demokratiepolitisches Versprechen, indem sie sagt: Wir bringen euch die Demokratie zurück, die euch die politischen Eliten genommen haben.“
Besonders bei jungen Menschen haben sie damit Erfolg. Nicht zuletzt auch, weil die AfD wie keine andere Partei die sozialen Medien für sich zu nutzen weiß und somit präsenter und sichtbarer für die junge Wahlklientel ist. Dies normalisiere die Partei, wie das private Institut für Generationenforschung in Augsburg sagt. Viele junge Menschen schätzten sich selbst als politisch mittig ein, wählten dann aber AfD.
Und Woidke? Der SPD-Politiker zeigte sich am Dienstag gegenüber dem „rbb“ trotz allem optimistisch. Seine Ankündigung, sich im Falle eines AfD-Siegs zurückzuziehen, revidierte er nicht. „Was aus mir nach der Wahl wird, ist sekundär. Es geht darum, einen AfD-Sieg zu verhindern“, betonte er erneut.