Die Landtagswahlen im Osten setzen die Ampelparteien nach den herben Verlusten von SPD, Grünen und FDP weiter unter Druck. Aber auch die Bundes-CDU kann trotz Erfolgen nicht glücklich sein.
Bereits am Wahlabend war die Anspannung bei CDU-Generalssekretär Carsten Linnemann unverkennbar. Kaum hatte er im Atrium der CDU-Bundeszentrale in Berlin sein Statement abgeliefert, war die Frage des Abends auch schon da: Wie hält es die CDU mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht? Linnemann sagt dann an dieser Stelle das, was Politiker kurz nach 18 Uhr, nach den ersten Prognosen, immer sagen: „Wir müssen jetzt erst mal das Endergebnis abwarten, und dann werden wir in den Parteigremien entscheiden.“
Die große Hoffnung der CDU hat sich nicht erfüllt. Der Wahlsieger von Thüringen, Mario Voigt, und der Wahlsieger von Sachsen, Michael Kretschmer, können nur mit dem BSW in den beiden Ländern eine Regierung bilden. Die beiden anderen rechnerisch möglichen Varianten zur Mehrheitsbildung verbieten sich, also mit der AfD oder Linken. Ein Beschluss des CDU-Bundesparteitags schließt das kategorisch aus. CDU-Chef Friedrich Merz betont immer wieder, dass die Brandmauer gegen die AfD steht – und mit dem BSW will er nicht zusammenarbeiten.
Quittung für Ampel-Parteien
Nun wurden auch die Parteistrategen der CDU durch die überraschend schnelle Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht Anfang des Jahres kalt erwischt. Es gibt zum politischen Umgang mit der Wagenknecht-Truppe in der CDU-Bundeszentrale noch nicht mal ein Strategiepapier. Damit droht CDU-Chef Merz der nächste Streit zwischen den beiden Wahlsiegern aus dem Osten und der Bundespartei.
Gerade Ministerpräsident Michael Kretschmer aus Sachsen ist in den letzten Monaten schon öfters auf Konfrontationskurs zu seinem Bundesvorsitzenden gegangen; zuletzt, als es um den Ukrainekrieg und mögliche Friedensbemühungen ging. Kretschmer ließ schon wenige Stunden nach der Wahl durchblicken, dass er durchaus bereit sei, mit dem BSW eine Koalition zu bilden, „wenn die Rahmenbedingungen stimmen“.
Was die „Rahmenbedingungen“ betrifft, sind die, soweit es Landespolitik betrifft, beim BSW eher allgemein. Im Wahlkampf ging es eher um Krieg, Frieden und Raketenstationierung. Wenn eine Start-up-Partei wie das BSW nach nicht mal einem Dreivierteljahr ihrer Gründung aus dem Stand in Regierungsverantwortung kommen könnte, dann wird man – so steht zu vermuten – womöglich flexibel bei den eigenen Ansprüchen. So schätzt das wohl auch CDU-Mann Mario Voigt aus Thüringen ein. Kretschmer und Voigt stehen also vor der Aufgabe, die Bundespartei, vor allem den Parteivorsitzenden, zu überzeugen. Wobei in der CDU-Zentrale in Berlin bereits über ein anderes Regierungsmodell mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht diskutiert wird, etwa über ein Tolerierungsmodell. In Sachsen und Thüringen regiert ein CDU-Ministerpräsident in einer Minderheitsregierung und sucht sich dann seine Mehrheiten im Parlament.
Für Kretschmer und Voigt ist das keine Option, sie haben im Wahlkampf stabile Mehrheitsverhältnisse in den Landtagen in Dresden und Erfurt versprochen. Beide treibt wohl das Gefühl um, dass „die in Berlin“ überhaupt nicht wahrnehmen, was sich bei ihnen in den Ostländern, den Kommunen und Kreisen abspielt. Eine dringende Warnung vor einer tolerierten Minderheitsregierung kommt aus berufenem Munde von Bodo Ramelow, dem scheidenden thüringischen Ministerpräsidenten von der Linkspartei. Er hat fünf Jahre in so einer Formation regiert.
Also dann doch CDU-Koalition mit dem BSW? „Dazu muss das BSW aber von bestimmten Positionen abrücken, Friedensverhandlungen mit Russland oder keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden“, fordert der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. Wobei diese Forderungen auf Landesebene irrelevant sind: Weder in Dresden, noch in Erfurt wird über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen oder Friedensverhandlungen mit Russland entschieden – aber die CDU auf Bundesebene muss sich nun damit rumschlagen.
Komplexe Koalitionen
Diese Debatte könnte dann auch bald die SPD erreichen. Am 22. September wird in Brandenburg gewählt, und SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke könnte bei einer erneuten Regierungsbildung, die unter seiner Leitung wahrscheinlich ist – so zumindest die letzten Umfragen –, vor eine ähnliche Frage gestellt werden.
Doch zunächst kümmert sich die Bundes-SPD um den Zustand ihrer Ampelregierung. Und da könnte es in den kommenden Monaten noch rumpliger zugehen als bisher. Die Stimmung in der SPD ist logischerweise nicht gut nach den Verlusten in Thüringen und Sachsen. Bei gut sechs und sieben Prozent ist in den beiden Ländern von der Kanzlerpartei nicht mehr viel übrig, und die Ampelpolitik in Berlin ist daran nicht ganz unschuldig, da sind sich erstaunlicherweise in der SPD mal alle einig.
In der SPD-Zentrale in Berlin wird hinter vorgehaltener Hand längst über einen Game-Changer für die Bundestagswahl nachgedacht. Die Frage lautet: Sollen wir wirklich in einem Jahr mit Bundeskanzler Olaf Scholz antreten? Vorbild für die Überlegungen sind die Demokraten in den USA, die vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen ihren Spitzenkandidaten auswechselten und plötzlich mit Kamala Harris im Aufwind sind. SPD-Chef Lars Klingbeil weist solche Überlegungen weit von sich. Kanzler Scholz hat seine Ambition bereits klargemacht. Für den Fall, dass es sich die Partei aber anders überlegen sollte, fällt in der Regel der Namen von Verteidigungsminister Boris Pistorius, und immer wieder mal soll auch der Name Lars Klingbeil fallen.
Den grünen Koalitionspartner hat es ebenfalls arg gebeutelt: in Thüringen aus dem Parlament geflogen, in Sachsen äußerst knapp dringeblieben. Die grünen Parteioberen machen die Performance der Ampel verantwortlich, vor allem die widerspenstige FDP. Womit zu erwarten ist, dass die Grünen in der Bundesregierung alles dransetzen werden, sich besser ins Licht der Öffentlichkeit zu setzen und der FDP nichts mehr durchgehen zu lassen. Das verschärft das ohnehin große Konfliktpotenzial.
Der Dritte im Ampelbunde, die FDP wird sich das kaum bieten lassen. Die Liberalen sind bei den beiden Landtagswahlen im Ergebnis in den nicht mehr sichtbaren Bereich der „anderen Parteien“ gerutscht, die in Überblicken nicht mehr gesondert ausgewiesen werden. Seit Monaten gibt es in der Bundespartei und verschiedenen Landesverbänden immer wieder die Forderung: raus aus der Ampel. Vor allem Parteichef Christian Lindner steht in der Kritik, und der wird die anstehenden Haushaltsverhandlungen nutzen, nun erst recht seinen Sparkurs durchzusetzen, um Profil zu zeigen. Doch das Gemunkel im Berliner Regierungsviertel, dass die Ampel nicht mehr bis Ende des Jahres durchhält und es vorgezogene Neuwahlen gibt, wird wohl eher nicht eintreffen. SPD, Grüne und FDP wären bei den aktuellen Umfragewerten schlecht beraten. Gerade die FDP müsste bei vorgezogenen Neuwahlen sogar damit rechnen, ganz aus dem Bundestag zu fliegen.