Die kleine Gemeinde Schenna liegt oberhalb der Kurstadt Meran in Südtirol und schmiegt sich an die Gipfel der Hausberge Ifinger und Hirzer. Hier leben Menschen, die sich dem Erhalten der Natur und der Nachhaltigkeit verschrieben haben.
In Schenna ticken die Uhren zwar nicht langsamer als anderswo, aber die Hektik des Alltags scheint keine Chance zu haben. Ein Besuch in den Traditionshäusern des Ortes lohnt sich auf jeden Fall. Enkel Franz führt stolz durch den Verbindungsgang zum „Haus Traube“ und zeigt die Fotografien aus vergangenen Zeiten, als sein Großvater noch servierte und seine Großmutter Anna in der Küche kochte und Kuchen backte. In Broschüren ist das Werk der Großeltern festgehalten. Es war ein Glücksgriff, als der junge Bauernbub Franz Maier im August 1957 seine weiße Schürze über seine Tracht zog und die ersten Gäste in der neu errichteten Frühstückspension begrüßte. Er erkannte das Potenzial der Wälder, Weiden, Almen und des Dorfes für gestresste Städter auf der Suche nach Erholung und Naturerlebnissen. Endlich konnte man in Schenna übernachten. Es gab nur zwei bescheidene Gasthöfe für Einheimische. Der „Schennerhof“ unterhalb des „Hotels Hohenwart“ wurde Anfang der 70er-Jahre zu einem modernen Restaurant und Hotelbetrieb umgebaut. Die Familienfotos in Schwarz-Weiß erzählen von dieser Zeit des Wandels. Diese Familienbetriebe und weiteren Gästehäuser bilden seit jeher das wirtschaftliche Rückgrat der Region.
Regenerative Energien im Hotel
Männer wie Franz Maier jun. vom „Hotel Hohenwart“ und Thomas Hölzl vom „Schennerhof“ verkörpern das Bodenständige und sind voller innovativer Ideen, die sie mit Leidenschaft umsetzen. Aufgewachsen inmitten intakter Natur, haben sie von Kindheit an gelernt, die Umwelt zu schätzen und nachhaltig zu handeln. Franz wird bald das „Hotel Hohenwart“ übernehmen und ist zudem Schafzüchter. Mit großem Engagement und Fachwissen kümmert er sich liebevoll um seine Herde, die auf 1.400 Meter Höhe auf dem Schennaberg grast. Ein Lamm zog er selbst auf, sogar mit Fläschchen alle paar Stunden. Beim Schlachten legt er großen Wert darauf, dass es für die Tiere so stressfrei wie möglich abläuft. Das Fleisch der Jungtiere wird zu Schafschinken verarbeitet, das der älteren zu Wurst.
„Ob Berg, Wiese, Weide oder Tier, all das muss geschützt werden“, betonen Maier und Hölzl überzeugt. In ihren Hotels setzen sie konsequent auf regenerative Energiequellen, natürliche Materialien in den Zimmern und sie bieten ihren Gästen ausschließlich biologische, regionale und saisonale Produkte an. Thomas reicht bescheiden die Lorbeeren für diese nachhaltige Ausrichtung an seine beiden wichtigsten Lehrmeisterinnen weiter: „Schon als Kind war ich oft in der Küche, als meine Mutter und Großmutter dort arbeiteten. Und auch heute noch wacht Mutter Anna darüber, dass alles verwertet wird.“ Die Gemeinde legt großen Wert darauf, dass ihre Gäste nicht nur entspannen, sondern auch einen Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten. Mit speziellen Gästekarten haben Urlauber die Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr der Region zu nutzen. Die Gratwanderung im Sinn der Nachhaltigkeit gelingt. Lokale Unternehmen und Produzenten werden unterstützt, um die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Die Kanäle, die vor fast 600 Jahren von Bauern mühsam in den Fels gemeißelt wurden, gespeist von den umliegenden Gletschern, gibt es immer noch. Denn egal ob mittags oder abends, das Wasser sprudelt unablässig eisig und kristallklar den Berg hinab. Im Laufe der Zeit haben die Landwirte sparsame Bewässerungssysteme für ihre Apfelgärten und Weinberge entwickelt. Ein hochkomplexes System aus Schläuchen leitet das Wasser aus dem Waal, dem künstlichen Kanal, tröpfchenweise direkt zu den Wurzeln der Pflanzen. Dies minimiert die Verdunstung und maximiert die Effizienz der Wassernutzung und führt zu einer Ersparnis von über 50 Prozent im Vergleich zur vorherigen Bewässerungstechnik. Die frei gewordene Kapazität wird in zwei Kraftwerken zur Stromgewinnung genutzt.
Ein komplexes System sorgt für Bewässerung
Die Systeme sind teuer und erfordern eine regelmäßige Wartung. Ein uraltes Handwerk wird von Waalern wie Heinrich Pircher ausgeübt. Er sorgt dafür, dass das lebenswichtige Wasser, das die Bauern und Winzer in Schenna für ihre Obstplantagen und Weinberge benötigen, ungehindert fließen kann. Sein Revier, der Schenner Waalweg, erstreckt sich auf 1.100 Metern Höhe von der Masulschlucht durch dichte Wälder, blühende Wiesen, Kastanienhaine und Obstplantagen bis ins Naiftal. Täglich fährt er mit seiner Vespa 18 Kilometer durch die Berge, hinauf und hinunter. Immer wieder hält er an, um nachzusehen, was sich im Kanal verbirgt. Mit seiner Harke fischt er Holzstücke und manchmal sogar Plastikflaschen aus dem Wasser. „Die Arbeit muss getan werden“, sagt er mit einem Achselzucken, denn für ihn ist es selbstverständlich, Verantwortung zu übernehmen. Als sein Vorgänger in den Ruhestand ging, sprang der 50-Jährige vor einigen Jahren ein. Neben seiner Arbeit auf dem Bauernhof mit 20 Milchkühen im Schenner Ortsteil Oberverdins ist dies ein kleines Zubrot. Die Wanderführerin Roswitha Schwienbacher Kröll erklärt den Gästen die verschiedenen Techniken und Systeme entlang der Waalwege. Sie bleibt an den Streuobstwiesen stehen, wo rechts und links des Kanals Bergthymian, Schafgarbe, Bergminze aus dem Gras ragen.
„Bäume beruhigen das Nervensystem“
Roswitha erklärt die Kraft der Heilkräuter, die in der Hochsaison, meist im August, in voller Blüte stehen und die meisten Inhaltsstoffe enthalten. Sobald die Vögel zu zwitschern beginnen, weiß man, dass man sich im Wald befindet. Denn auf den Wanderwegen sind die Vögel manchmal die einzige Gesellschaft. Die Wanderführerin breitet die Arme aus und erzählt von der heilenden Wirkung der Bäume: „Sie beruhigen das Nervensystem und lassen Geist, Seele und Sinne frei schweifen.“ Das minimale Gefälle sorgt dafür, dass man beim Wandern kaum außer Atem gerät. Und wenn doch, kann man sich einfach im kalten Wasser abkühlen und fühlt sich danach leicht und frisch wie ein moderner Kneipp-Anhänger. An Tierfreunde hat die Natur auch gedacht. Der Steinadler findet in den zerklüfteten Felsschluchten perfekte Jagdbedingungen. Selbst wenn der Schnee hoch über der Stadt die Gipfel bedeckt und die Murmeltiere sich für den Winter vorbereiten, kann man weit in den Herbst hinein noch in ein duftendes Blütenmeer eintauchen. Die Natur zeigt nochmals ihre ganze Pracht mit Herbst- und Sommerblühern, umgeben von Oleander, Zypressen, Pinien, Palmen und exotischen Stauden. Zwischen den Kakteen nehmen kleine Eidechsen auf warmen Steinen noch einmal ein Sonnenbad.