An Manuel Neuer scheiden sich viele Geister, dennoch ist er wahrscheinlich der beste deutsche Torwart aller Zeiten. Mit seinem Rücktritt hinterlässt er eine große Lücke, bei der unklar ist, wer sie auf lange Sicht ausfüllen kann.
Manuel Neuer verabschiedet sich nach 15 Jahren und 124 Länderspielen aus der deutschen Nationalmannschaft, womit eine Ära endet. Das Viertelfinalspiel gegen Spanien bei der Heim-EM 2024 markierte den letzten Auftritt des langjährigen Kapitäns des FC Bayern im DFB-Trikot. Trotz eines noch bis 2025 laufenden Vertrags bei den Münchnern entschied sich der 38-Jährige zum Rücktritt. „Diese Entscheidung war schwierig“, gab Neuer zu und erklärte, dass er zwischen Kopf und Herz hin- und hergerissen war. Sein Herz sagte ihm, dass er „den Stolz vermissen würde, für sein Land zu spielen“. Doch nach intensiven Gesprächen mit seiner Familie wurde ihm klar, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, aufzuhören.
Der Gedanke an das deutsche Tor ohne Neuer ist für viele schwer vorstellbar, schließlich war er über Jahre hinweg die unangefochtene Nummer eins. Sein Debüt gab der damalige Torhüter des FC Schalke 04 im Juni 2009. Nach der Verletzung von René Adler etablierte sich Neuer bereits 2010 als Stammkeeper und beeindruckte bei der WM in Südafrika, seinem ersten großen Turnier, zusammen mit aufstrebenden Spielern wie Thomas Müller und Sami Khedira.
Zahlreiche Rekorde aufgestellt
In den folgenden Jahren stellte Neuer zahlreiche Rekorde auf: Mit 124 Einsätzen ist er der deutsche Rekordnationaltorhüter, übertraf Sepp Maier und ist zudem mit 39 Spielen Rekordspieler bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie EM-Rekordtorhüter mit 20 Einsätzen.
Sein größter Erfolg im DFB-Dress war zweifellos der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Dort zeigte Neuer nicht nur auf der Linie herausragende Leistungen, sondern wurde auch für sein revolutionäres Torwartspiel weltweit gefeiert. Nach diesem Triumph übernahm er die Kapitänsbinde beim DFB. Die WM 2014 markierte Neuers endgültigen Aufstieg in den „Torwart-Olymp“. Bei der Wahl zum Ballon d‘Or erreichte er als Torhüter den dritten Platz, eine außergewöhnliche Anerkennung für einen Spieler seiner Position. Insgesamt wurde er fünfmal zum Welttorhüter des Jahres gewählt, was ihn gemeinsam mit Gianluigi Buffon und Iker Casillas zum Rekordhalter machte. Selbst nach den Enttäuschungen bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 sowie der EM 2021 in England blieb Neuer Deutschlands Nummer eins.
Doch die Zweifel begannen sich kurz vor der Heim-EM 2024 zu mehren. Im Dezember 2022 zog sich Neuer beim Skifahren einen Unterschenkelbruch zu, der eine monatelange Zwangspause zur Folge hatte. In dieser Zeit verlor er die Kapitänsbinde an İlkay Gündoğan, und Marc-André ter Stegen forderte immer lauter den Posten als erste Wahl im DFB-Tor. Diese schwierige Phase belastete Neuer nicht nur physisch, sondern auch mental. In einem emotionalen Rückblick berichtete Neuer über die Zeit nach dem Unfall und seine Angst um die Karriere. „Vor 18 Monaten habe ich mich gefragt, ob ich überhaupt jemals wieder Fußball spielen kann“, erinnerte er sich. Erst im Krankenhaus wurde ihm bewusst, dass sein Bruch schwerwiegender war als zunächst angenommen: „Meine Zukunft als Fußballer war zweifelhaft (…) Ich hatte Angst. Ich denke, das würde jedem so gehen.“
Nach einer langen Rehabilitationsphase und schrittweisen Rückkehr in den Profifußball stand Neuer sieben Monate vor der Heim-EM 2024 wieder auf dem Platz. „Als ich in den Turnierkader berufen wurde, war das einer der stolzesten Erfolge meines Lebens“, schrieb er stolz. Sein Comeback in der Liga im Oktober 2023 überzeugte schließlich auch Bundestrainer Julian Nagelsmann, der ihn im März 2024 als Stammtorhüter für die EM festlegte.
Neuer kehrte im Juni im Spiel gegen die Ukraine nach 550 Tagen Abstinenz ins DFB-Trikot zurück. Obwohl er auch ungewohnte Fehler zeigte, insbesondere in der Bundesliga und Champions League, stellte sich Nagelsmann hinter ihn, und Neuer zahlte das Vertrauen mit starken Leistungen bei der EM zurück. Dabei reiften die Gedanken an ein Karriereende schon lange vor dem Turnier, nicht zuletzt aufgrund seines Skiunfalls. Fünf Monate vor der EM wurde Neuer zum ersten Mal Vater, was seine Entscheidung, nach dem Turnier zurückzutreten, verstärkte. „Als ich mit meinen Freunden und meiner Familie darüber sprach, wurde die Entscheidung klar“, erklärte der 38-Jährige in einem offenen Brief: „Dies ist der richtige Zeitpunkt. Zum Glück fällt der Abschied leichter, wenn man so viele schöne Erinnerungen hat.“
Wer folgt nun auf Neuer?
Mit dem Rücktritt von Manuel Neuer endet eine Ära im deutschen Fußball. Der DFB, gesegnet mit großartigen Torhütern wie Toni Schumacher, Sepp Maier und Oliver Kahn, verabschiedet nun wahrscheinlich den besten Torwart, den die deutsche Nationalmannschaft je hatte.
Was unweigerlich die Frage aufwirft – was kommt danach? Die naheliegende Lösung ist logischerweise Marc-André ter Stegen. Auch er äußerte sich nach dem Rücktritt Neuers: „Gratulation zu deiner Karriere im DFB-Team. Für immer ein Weltmeister und eine Legende des deutschen Fußballs“, schrieb der 32-Jährige in seiner Instagram-Story. Dazu postete ter Stegen ein Jubel-Foto von Neuer aus dem Jahr 2014, das ihn mit dem WM-Pokal in der Hand zeigt. Für viele Experten ist ter Stegen die logische Wahl als Neuer-Nachfolger – auch für Lothar Matthäus. Ter Stegen habe „lange genug gewartet“ und „es aufgrund seiner Leistungen verdient, jetzt die Nachfolge von Manuel Neuer anzutreten“, sagte der Rekordnationalspieler gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Frage, wer hinter Marc-André ter Stegen als zweiter und dritter Torhüter in der Nationalmannschaft agieren wird, sorgt für zusätzliche Spannung. Bei der Weltmeisterschaft 2022 gehörte Kevin Trapp zum Torwart-Trio, während Oliver Baumann bei der Heim-Europameisterschaft 2024 als dritte Option im Kader stand. Bernd Leno bleibt weiterhin im Rennen, um einen seiner Konkurrenten zu überholen. Alexander Nübel hat in der letzten Saison ebenfalls beeindruckend aufgeholt und war Teil der EM-Vorbereitung. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
Julian Nagelsmann könnte auf die Erfahrung von Trapp und Baumann setzen, was aufgrund ihres Alters und ihrer Routine im internationalen Fußball Sinn machen würde. Andererseits könnte der Bundestrainer auch ein junges Talent wie den 22-jährigen Noah Atubolu fördern, der sich als vielversprechender Nachwuchstorhüter präsentiert.
Lothar Matthäus spricht sich für einen Mittelweg aus und sieht in Alexander Nübel eine Schlüsselrolle: „Kevin Trapp und Oliver Baumann sind 34, Bernd Leno ist 32, die sind also alle schon etwas älter. Darum würde ich persönlich auf Nübel bauen und ihn als Trainer ganz stark unterstützen. Und dahinter einer der erfahreneren Torhüter als Nummer 3.“ Dieser Ansatz kombiniert die Förderung junger Talente mit der Sicherstellung von Stabilität durch erfahrene Kräfte. Welche genauen Pläne Julian Nagelsmann verfolgt, blieb bislang offen. Genauer gesagt bis zur Kaderbekanntgabe für die Länderspiele vergangene Woche. Nagelsmann berief auf der Torwart-Position, wie unter anderem von Lothar Matthäus erwartet, Nübel als Nummer Zwei hinter ter Stegen und Oliver Baumann als erfahrenen dritten Mann. Damit bleiben Überraschungen aus und die Richtung ist klar: Ter Stegen bekommt sein verdientes großes Turnier, Nübel darf hintendran arbeiten und sich entwickeln – oder sogar selbst schon angreifen wie Manuel Neuer damals bei René Adler? Es werden spannende Zeiten.