Fußball-Trainer Christoph Daum ist im Alter von 70 Jahren gestorben. Er bleibt durch viele denkwürdige Anekdoten in der Bundesliga-Geschichte verewigt.
An diesem 24. Oktober 2023 haben manche ihn zum letzten Mal gesehen. Christoph Daum feierte seinen 70. Geburtstag, es sollte traurigerweise sein letzter sein. Zu befürchten war das schon an diesem Tag genau zehn Monate bevor der große Fußball-Trainer verstarb. Doch an diesem Oktober-Abend wollte und konnte das irgendwie auch niemand so recht glauben. Ja, Daum war gezeichnet von seiner Lungenkrebs-Erkrankung, die ihn da schon rund ein Jahr begleitete. 22 der letztlich mehr als 30 Chemotherapien hatte er da schon über sich ergehen lassen.
Eine immer noch abrufbare Doku des TV-Senders Sky wurde an diesem Abend in einem Kölner Kino vorgestellt, danach feierte Daum in einem brasilianischen Restaurant seinen 70. Geburtstag. Stars aus dem Fußball wie Michael Ballack, Matthias Sammer, Reiner Calmund oder Rudi Völler waren dafür gekommen. Aber auch prominente Freunde aus anderen Lebensbereichen wie der Politiker Wolfgang Bosbach, die TV-Moderatoren Katja Burkard und Werner Schulze-Erdel oder der Bestseller-Autor Frank Schätzing.
Daum war glücklich, sie alle um sich zu wissen und dennoch war es erstaunlich und bewundernswert, wie viel von seiner Energie zu sehen war, die ihn als Trainer zu einem Mister 100.000 Volt gemacht hatte. Und es erstaunte ihn offenbar sogar selbst. „Wenn man meine Metastasen und Geschwüre sieht, sagt man: Das kann doch gar nicht sein, dass der so gut drauf ist“, erklärte er lachend. Völler sagte, es sei „unglaublich, wie Christoph seine Popularität nutzt, um auf seine schwere Krankheit hinzuweisen und wie er versucht, Menschen mit dem gleichen Schicksal ein bisschen Hoffnung zu geben“.
Demütig war er aber schon geworden, der langjährige „Lautsprecher der Liga“. Viele berichteten, in den letzten Wochen und Monaten einen anderen Christoph Daum erlebt zu haben. „Sie sind ein extrem unkomplizierter Patient“, sagte sein Arzt Jürgen Wolf in einer Sky- Doku zu ihm. „Unkompliziert“ ist sicher ein Adjektiv, dass vielen bei Christoph Daum nie eingefallen wäre. Doch, so der Arzt, „Sie beschweren sich nie“.
Kämpfergeist keineswegs verloren
Seinen Kämpfergeist hatte Daum aber keineswegs verloren. Er gab zu, „auch Scheißtage“ zu haben, das alles sei „kein Zuckerschlecken“. Doch seine Kernbotschaft war die, dass der Krebs sich „den falschen Körper ausgesucht“ habe. „Ein Arzt in den USA hat zu mir gesagt: Unser Ziel ist es, Sie krebsfrei zu machen“, sagte Daum. Da sei er dann auch gerne das „Versuchs-Karnickel“ für neue Methoden: „Wenn du so einen Ausspruch hörst und die Ärzte so optimistisch sind, dann kannst du nicht unter diesem Level bleiben. Und dann will ich eher noch einen obendrauf setzen.“
So wirklich, das war allen engen Vertrauten bewusst, hat Daum nicht daran geglaubt. Er wusste, dass er bald sterben würde, dass er nicht zu heilen war. „Man sagt immer, man muss im Leben ein Kind zeugen, einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und ein Buch schreiben– ich habe alles erledigt“, sagte er und nicht nur Calmund schossen Tränen in die Augen: „Ich hatte ein tolles Leben und könnte morgen glücklich sterben.“
Am Abend des 24. August 2024 ist es dann passiert. Und in all den Nachrufen wurde klar, was für ein besonderer Mensch und Trainer Christoph Daum war. Er hat immer polarisiert, viele haben ihn für einen Dampfplauderer gehalten. Doch auch wenn er nicht selten überzogen hat, war er genau das sicher nicht. Daum war auch ein überragender Trainer. Ein Motivator. Einer, der Grenzen sprengte, Dinge neu dachte. Den Verein Bayer Leverkusen habe er in seiner Zeit zwischen 1996 und 2000 „neu erfunden“, sagte der heutige DFB-Sportdirektor Völler, damals Manager-Assistent von Calmund beim Werksclub. Auch wenn der Lohn in Form von Meisterschaft und Pokalsieg erst 2024 kam – was Daum noch erlebte und was ihn sehr glücklich machte – sagten viele, dass dies nicht ohne Daums Vorarbeit fast 25 Jahre später möglich gewesen wäre.
Sein Leben zusammenzufassen, ist nicht einfach. Daum wird mit vielen Kapiteln in der Geschichte der Fußball-Bundesliga unzertrennlich verbunden bleiben. „Ich habe viel einstecken müssen, ich habe viel ausgeteilt. Es war nie langweilig“, sagte er: „Klar, einige Dinge hätte ich natürlich gerne ausgelassen. Aber sie gehören zu meiner Vita mit dazu, und dat‘ nennt man dann Leben.“ Völler erklärte: „Zu Beginn seiner Karriere war man Fan von Daum oder man konnte ihn nicht leiden. Dazwischen gab es bei Christoph nichts. Und ich hatte das Gefühl, dass ihm das ein bisschen gefallen hat.“
Ein „Fußball-Kult-Clip“ wie „Dinner for one“
Elf Titel hat Daum letztlich gewonnen, über 900 Pflichtspiele als Trainer in drei verschiedenen Ländern absolviert. Doch es sind die Geschichten dahinter, an die man sich bei ihm vor allem erinnern wird. Es begann schon im Frühjahr 1989. Der einst schüchterne Jugendcoach Daum war zunächst zum Assistenten und dann zum Cheftrainer des 1. FC Köln aufgestiegen. Von Rang 16 führte er das Team auf Platz drei, und dann zur Vizemeisterschaft und ins UEFA-Cup-Halbfinale. Im Meister-Rennen 1989 klebte er erst 40.000 Mark an die Kabinentür, um seine Spieler zu motivieren, dann legte er sich denkwürdig mit dem FC Bayern an. Das Ganze gipfelte in einem unvergesslichen Vierer-Auftritt von Daum mit seinem Sportchef Udo Lattek sowie Bayern-Trainer Jupp Heynckes und Manager Uli Hoeneß am 20. Mai im ZDF-Sportstudio. „Die Wetterkarte ist interessanter als jedes Gespräch mit Jupp Heynckes“, hatte er gesagt, das gab auf Ansage Hoeneß zu, der sich vorbereitet hatte und die Vorwürfe wie ein Staatsanwalt von einem Klemmbrett vortrug. Gleiches galt für „Heynckes könnte auch Werbung für Schlaftabletten machen“. Hoeneß erklärte: „Ich glaube, du überschätzt dich maßlos. Du musst mal da oben schauen. Das ist ein Ball über dir, das ist kein Heiligenschein.“ Worauf Daum erwiderte: „Um das Maß an Überschätzung zu erreichen wie du, muss ich 100 Jahre alt werden.“ Jahre später sagte Daum über den aus dem Ruder gelaufenen Auftritt lachend: „Es ist wie Dinner for One an Silvester: ein Fußball-Kult-Clip.“
Während der WM 1990 wurde er für viele völlig überraschend beim FC entlassen. Er ging zum VfB Stuttgart. Dort wurde er 1992 Meister, wechselte in der ersten Champions-League-Runde aber einen Ausländer mehr ein als damals erlaubt war. Es war der Anfang vom Ende im Schwabenland. Nach einer ersten von fünf Stationen in der Türkei ging er 1996 zu Bayer Leverkusen. Auch Bayer übernahm er nach einem Fast-Abstieg und machte die Werkself wieder zum Spitzenclub und Meister-Rivalen der Bayern. Obwohl seine sportliche Arbeit für sich sprach, rang er auch immer wieder um zusätzliche Anerkennung. Einmal ließ er Spieler über Scherben laufen, wozu er bewusst einen Bild-Fotografen und -Journalisten hinzunahm. Mal stand er im knallig-hellblauen Anzug an der Seitenlinie, weil die Farbe „positive Energie ausstrahlt“. Stürmer Ulf Kirsten erklärte, Daum habe dem Team den Anzug schon am Vorabend präsentiert, „damit wir vor dem Spiel keinen Lachkrampf kriegen“.
Im Mai 2000 schien Bayer am Ziel, im letzten Spiel in Unterhaching hätte ein Punkt zur deutschen Meisterschaft gereicht. Nach einem Eigentor von Ballack verloren die Leverkusener 0:2, die Bayern holten noch den Titel, und Daum weinte in den Armen seines 13-jährigen Sohnes Marcel, der heute zum Leverkusener Trainer-Stab gehört. Nach dem deutschen EM-Desaster 2000 schien er dennoch der ideale neue Bundestrainer. Weil Bayer-Manager Calmund ihn nicht sofort freigab, sollte Völler für ein Jahr übernehmen. Im Oktober dann sagte Uli Hoeneß eindeutig zweideutig, dass Daum kein Bundestrainer werden könne, „wenn unwidersprochen vom verschnupften Daum“ geredet werde. Der Coach ging in die Offensive, gab eine Haarprobe ab, „weil ich ein absolut reines Gewissen habe“. Als die Probe das widerlegte, flüchtete Daum in die USA. Alles wäre anders gelaufen, „wenn Daum nicht so bescheuert gewesen wäre, die Haarprobe machen zu lassen“, sagte Hoeneß später. Daum gab derweil im Januar 2001 eine Pressekonferenz und sagte lachend, dass die Probe ein Fehler gewesen sei. Er habe sich das auch anders vorgestellt, „da habe ich mit Zitronen gehandelt“.
„Weil ich ein absolut reines Gewissen habe“
So einfach kam er aber nicht davon. In Deutschland war er erst mal schwer vermittelbar, nach Stationen in Wien und Istanbul kam er 2006 aber nach Köln zurück. Im November hatte er nach einer Mandel-Operation noch theatralisch in einer Pressekonferenz im Krankenhaus vor mehr als 100 Journalisten und 20 TV-Teams abgesagt. Rund zwei Wochen später war die Rückkehr perfekt. Das erste öffentliche Training fand im Stadion statt, Menschen drückten ihm Kinder in den Arm, er galt als „Messias“. Dabei war der FC damals Zweitligist. Im Sommer 2007 heiratete Daum seine zweite Frau Angelica im Mittelkreis des Kölner Stadions.
Irgendwie war fast alles, was Christoph Daum tat, immer ein wenig drüber. Doch er hatte den Fußball früh als Show verstanden, spielte mit den Medien, wurde von den Fans geliebt oder als Feindbild auserkoren. Er war ein Vorreiter, inhaltlich wie in der Außendarstellung, und alleine schon deshalb außergewöhnlich. Und deshalb wird er auch abseits von Köln, Stuttgart und Leverkusen lange über seinen Tod hinaus unvergessen bleiben.