Als kreativer Kopf der „Neuen Deutschen Welle“ war sie Komponistin und Produzentin für Stars wie Ideal, Rio Reiser, DÖF oder Udo Lindenberg. Ihren größten Erfolg hatte sie mit Adel Tawil im Duo Ich + Ich. Heute arbeitet die 73-Jährige nur noch als Produzentin.
Man muss in diesem Beruf wissen, was man kann und was man nicht kann“, erklärte Annette Humpe im Vorjahr der „Berliner Zeitung“. „Ich bin keine Rampensau“, begründet sie ihren Rückzug 2007 von der Bühne, die sie nach einem kleinen Durchhänger Ende der 90er-Jahre ab 2004 zusammen mit dem 28 Jahre jüngeren Adel Tawil als Duo „Ich + Ich“ mit immensem Erfolg wieder betreten hatte.
Nach drei Jahren hat Humpe Tawil aber nicht mehr bei Auftritten begleitet und war froh, nur noch hinter der Bühne agieren zu können: „Ich war ja überhaupt nicht so der Singezahn. Was ich kann, ist Songs zu schreiben.“ Um eine gute Show abzuliefern, müsse man die Bühne lieben, und das tue sie eben definitiv nicht, weil sie zu „ängstlich und verletzlich“ sei. Zwischen sich und dem Publikum habe sie deshalb immer das Klavier als Sicherheitspuffer aufgebaut. Auch das Promotion-Machen in den „ganzen bescheuerten Fernsehsendungen“ sei nicht ihre Sache gewesen.
Mehr Pop-Appeal für Max Raabe
Ohne Zweifel ist Annette Humpe eine der erfolgreichsten Protagonistinnen der jüngeren deutschen Musikgeschichte und erhielt für ihre Arbeit 2018 sogar das Bundesverdienstkreuz. Als Komponistin, Texterin und vor allem als Produzentin wurde sie seit 1980 mit Preisen überhäuft. Als jüngste Auszeichnung kam vor ein paar Wochen der Gema-Sonderpreis „Inspiration“ hinzu. „Ihre Bedeutung für die deutsche Musikszene ist ohne Vergleich. Sie hat mindestens drei Generationen von Musikschaffenden geprägt und beeinflusst“, hieß es bei der Preisverleihung in Berlin. „Ich freue mich sehr über diese wunderbare Auszeichnung“, bedankte Humpe sich und würdigte ihre eigenen musikalischen Vorbilder und Inspiratoren wie Joni Mitchell, „Blondie“-Frontfrau Debbie Harry oder die außergewöhnliche Performerin Nina Hagen: „Über allem schweben die unerreichten Beatles, ohne die ich mir mein Leben gar nicht vorstellen könnte“, schwärmte sie bei der Gema-Preisverleihung.
Als sie in den 60er-Jahren die Titel der Beatles im Radio gehört habe, sei ihr bewusst geworden, was ein guter Song ist und der Wunsch entstanden, selbst die Musik zum Beruf zu machen. Nach den Anfängen mit ihrer jüngeren Schwester Inga bei den „Neonbabies“ landete sie mit „Ideal“ ihre ersten Hits und wurde spätestens mit dem Song „Blaue Augen“ zur Deutsch-Pop-Ikone. Da Humpe sich jedoch nicht kommerzialisieren und verramschen lassen wollte, machte sie nach drei „Ideal“-Alben Schluss, verlegte sich aufs Produzieren und landete mit DÖF („Deutsch-Österreichisches Feingefühl“) und ihrem „Codo“ („Ich düse, düse, düse im Sauseschritt…“) prompt einen Superhit, bei dem ihre Schwester Inga, heute erfolgreich mit „2raumwohnung“, als Frontfrau agierte.
Mit Inga zusammen kehrte sie 1985 als Duo „Humpe & Humpe“ kurzzeitig erfolgreich als Interpretin zurück. Nachdem ein Solo-Album Ende der 90er-Jahre gefloppt war, gelang ihr zusammen mit Adel Tawil als Duo „Ich + Ich“ ein sensationeller Schlager-Pop-Erfolg und mit „Wir sind vom selben Stern“ ein unverwüstlicher Ohrwurm, auch wenn Tawil die Songs bei Live-Auftritten zuletzt allein performen musste.
Ein Liebeslied für Berlin
Humpe trat als Produzentin oder Komponistin in die von ihr geschätzte zweite Reihe zurück, war fortan für Künstler wie Udo Lindenberg, Nena, Rio Reiser, Annett Louisan oder die „Prinzen“ tätig und hat auch schon einen Song für Herbert Grönemeyer geschrieben. Ihre jüngste Zusammenarbeit mit Max Raabe bezeichnet sie als besondere Herausforderung, weil sie zuvor noch nie jemand mit einer ausgebildeten Stimme produziert hatte. Dass Humpe dem Frontmann des nostalgischen „Palastorchesters“ einen verspielten, zeitgemäßen Pop-Appeal verpasst hat, belegt das 2022 gemeinsam produzierte Album „Wer hat hier schlechte Laune“.
Annette Humpe verfolgt die Entwicklungen des aktuellen deutschen Musikmarktes nach eigener Aussage nur noch bedingt: „Ich muss wirklich sagen, dass mein Interesse ein bisschen nachgelassen und sich auf die Literatur gesetzt hat. Ich lese jetzt wahnsinnig viel“, sagte sie 2023 der „Südwest-Presse“.
Humpe weist den Irrglauben vieler Leute zurück, sie könnte bis heute allein von den „Ideal“-Tantiemen leben: „Wenn ich Paloma Blanca geschrieben hätte, sähe die Sache vielleicht anders aus. ‚Ideal‘ wird nicht auf jedem Schützenfest gespielt.“ Dennoch habe sich nach „Ideal“ ihr Traum erfüllt, allein mit Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Vor genau 50 Jahren ist Humpe auf der Flucht vor „provinziellem Spießertum“ nach Berlin gezogen und lebt mit zehnjähriger Unterbrechung immer noch dort. Ihrer Stadt hat sie mit „Wir stehn auf Berlin“ ein „Liebeslied“ gewidmet, weil sie sich nach wie vor dort von Gleichgesinnten umgeben fühlt. Hier herrsche „ein anderer Spirit“, es sei „ein Sammelbecken für Outsider aller Art“ und „Hardcore-Individualisten“. Wie früher kleidet sich die praktizierende Buddhistin dort bis heute am liebsten ganz entspannt in Second-Hand-Läden ein: „Wenn ich in einen Prada-Laden gehe, strengt mich das an!“