Invasive Tier- und Pflanzenarten stellen für die heimischen Lebewesen unseres Ökosystems eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Dr. Laura Breitkreuz, Referentin für Biodiversität und Entomologie beim Nabu-Bundesverband, spricht im Interview darüber, was gegen die Eindringlinge am besten hilft, wie die Bevölkerung besser aufgeklärt werden kann und was Quarantäne-Schädlinge sind.
Frau Breitkreuz, was sollte man wissen, wenn man über invasive Arten spricht?
Gebietsfremde Arten kommen hierzulande nicht vor, das heißt, ursprünglich existieren sie nicht bei uns. Es gibt sehr viele verschiedene solcher Arten, die vor allem von uns Menschen eingeführt werden, teilweise mit Absicht wie bei Gartenpflanzen und teilweise unbeabsichtigt, zum Beispiel wenn Insekten über Lieferketten eingeschleppt werden. Wenn jedoch eine Art ein Problem für die heimische Flora und Fauna darstellt, wird sie sozusagen hochgestuft als invasive Art. Mehrere Aspekte spielen dabei eine Rolle: Zum einen treten sie in Konkurrenz zur heimischen Art, indem sie viele Arten fressen oder sie aus ihrem heimischen Lebensraum verdrängen. Eine weitere Eigenschaft von invasiven Arten ist, dass sie sich schnell verbreiten. Wenn eine Art nur wenig Platz beansprucht und sich extrem langsam verbreitet, wird sie kaum als invasive Art eingestuft werden. Im Grunde genommen entscheiden wir, ab wann ein Lebewesen als invasive Art gilt.
Wer nimmt diese Einstufung vor?
Das Bundesamt für Naturschutz, kurz BfN, und die Europäische Kommission betrachten jede Art einzeln und lassen durch Expertinnen und Experten einschätzen, ob die Einstufung berechtigt ist. So ist zum Beispiel auch die relativ neue Einstufung der Asiatischen Hornisse zustande gekommen.
Inwiefern machen sie uns Menschen und insbesondere den heimischen Arten zu schaffen?
Für uns Menschen sind sie oft nicht ganz so relevant. Es gibt jedoch auch Gründe, eine Art wegen der menschlichen Gesundheit als invasiv einzustufen. Aber meistens sind es Arten, die für die heimische Tier- und Pflanzenwelt problematisch sind. Ein Beispiel für Verdrängung aus dem Lebensraum: Es gibt Pflanzen wie den Götterbaum, die so wuchern, dass sie für nichts anderes mehr Platz lassen. Ein weiteres Beispiel für eine invasive Art mit großem Verbreitungspotenzial ist die Asiatische Hornisse, Vespa velutina, sie frisst Bienen und andere Insekten.
Dem Weltbiodiversitätsrat IPBES zufolge haben bis 2023 weltweit Menschen absichtlich und unabsichtlich geholfen, dass sich 37.000 Tier- und Pflanzenarten in andere Regionen ausbreiten. Von diesen gebietsfremden Arten gilt jede zehnte als invasiv. Was weiß man über die Situation bei uns im Land?
Ein Vorteil ist, wenn eine Art als invasiv eingestuft wird, dass damit eine stärkere Beobachtung verbunden ist. Wir wissen über die invasiven Arten recht viel. Von der Bundesregierung werden entsprechende Maßnahmen zur Beobachtung und Kontrolle vorgegeben. Man kann zum Beispiel anhand der Berichte des BfN relativ gut sehen, wie sie sich ausbreiten. Drei verschiedene Stufen werden unterschieden: Auf der Vorwarnstufe wird versucht, die Einwanderung zu verhindern. Wenn eine solche „Problem-Art“ gefunden wurde, ist der zweite Schritt, die bereits bestehende kleine Population einzudämmen. Die dritte Stufe sieht die Kontrolle der etablierten Art vor. Als Art hat sich zum Beispiel der Waschbär etabliert, er ist zwar sehr niedlich, aber dennoch invasiv. Gegen eine einmal etablierte Art in der Tier- und Pflanzenwelt kann man nichts mehr machen, außer die Schäden einzugrenzen.
Die Schäden, die diese invasiven Arten für den Menschen und die heimischen Tier- und Pflanzenarten anrichten, sind immens, sie belaufen sich für jedes Jahr auf mehrere Milliarden Euro. Welche dieser Schäden sind dokumentiert?
Allgemein ist eine solche Dokumentation natürlich sehr schwierig. Eigentlich alle Lebewesen, die gebietsfremd und invasiv sind, können das Ökosystem potenziell schädigen. Ökosysteme haben einen unglaublich großen monetären Wert für uns, weil sie etwa die Bestäubungsleistungen von Insekten, sauberes Grundwasser und fruchtbare Böden einschließen. Insofern ergibt sich natürlich eine Rechnung in Milliardenhöhe.
Ist es schwierig überhaupt solche Schäden zu beziffern?
Absolut. Im IPBES-Bericht wurde der Schaden aber zum Beispiel allein für 2019 weltweit auf über 400 Milliarden geschätzt.
Der Japanische Staudenknöterich ist hierzulande trotz hoher Investitionen in Bekämpfungsmaßnahmen ein dauerhaftes Problem. Wo hakt es dabei?
Der Japanische Staudenknöterich verbreitet sich kaum über Samen. Falls man ihn abschneidet, wächst er weiter über die Wurzeln. Dabei wächst er unglaublich schnell und ist zugleich anspruchslos. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich eine perfekt an einen besonderen Standort angepasste Pflanze gegen den sehr schnell wachsenden Staudenknöterich durchsetzen muss. Es wäre ein großer Personalaufwand, wenn man versuchen würde, eine solche Pflanze zu bekämpfen. Zumindest für invasive Tierarten kann ich sagen, dass etwa die Asiatische Hornisse trotz ihrer ernst zu nehmenden Gefahr für heimische Bienenarten nicht einfach von Privatpersonen getötet werden darf. Hier ist vor allem die Verwechslungsgefahr mit heimischen Arten hoch. Daher sollte man den Fund unbedingt melden, jedoch die Entfernung unbedingt Expertinnen und Experten überlassen.
Wo wächst der Japanische Staudenknöterich überall?
Meiner Erfahrung nach wächst er an fast allen Straßenrändern, die nicht kontrolliert werden. Der eine oder andere hat das bestimmt schon mal gesehen: Ein breitblättriges Gewächs, das durch festen Untergrund durchwächst, ist meistens der Japanische Staudenknöterich. Ganz oft sieht man ihn entlang von Gehwegen. Ich selbst komme aus Berlin, da sieht man ihn häufig am Stadtrand. Wenn man ihn einmal erkannt hat, versteht man, warum er sich hierzulande etabliert hat.
Was passiert, wenn Mensch und Tier mit der Pflanze in Berührung kommen?
Beim Japanischen Staudenknöterich ist das kein Problem. Der Riesenbärenklau, welcher eine weitere invasive Pflanzenart ist, kann hingegen, wenn man mit ihm in Kontakt kommt, durch eine phototoxische Reaktion Hautverbrennungen auslösen.
Was ist über gebietsfremde Arten bekannt, die unserem Ökosystem nicht schaden und vielleicht sogar von Nutzen sind?
Gebietsfremde Arten, die unschädlich sind, kann es durchaus geben. Nicht jede gebietsfremde Art ist per se ein Problem. Allerdings wissen wir über ganz viele noch nicht genug. Zum Beispiel die wunderbare Blauschwarze Holzbiene ist bis vor 20 Jahren nur in Süddeutschland vorgekommen und hat sich in den letzten Jahren in ganz Deutschland ausgebreitet. Bisher sehen wir nicht, dass sie irgendein Problem bereitet. Die Blauschwarze Holzbiene nagt große Gänge in morsches Holz und legt dann darin Nester an. Da es nicht viele andere Arten gibt, die das Gleiche tun, hat sie eine Nische gefunden. Das ist zumindest ein Beispiel für eine gebietsfremde Art, die mit den heimischen Arten koexistiert. Wir wissen jedoch, dass jede neue, gebietsfremde Art das Netzwerk im Ökosystem verändert. Mit anderen Worten: Es gibt nie eine Art, die nicht mit anderen Arten interagiert.
Australien hat einen regelrechten Krieg gegen die überhand nehmende Kaninchenpopulation geführt – letztlich konnten sie erfolgreich mit Viren eingedämmt werden. Was können Jäger, Förster und Landwirte tun, um – im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes – gegen unliebsame Flora- und Fauna-Arten vorzugehen?
Das Beispiel Australien zeigt, dass man nie eine „Problem-Art“ mit einer anderen Art versuchen sollte zu bekämpfen, denn man weiß nie, was jene andere Art im Ökosystem später anrichtet, sobald die „Problem-Art“ weg ist. Es ist verständlich, dass man eine invasive Art hierzulande bekämpfen will, wenn man durch sie zum Beispiel Ernteverluste hinnehmen muss. Doch man muss versuchen, langfristig zu denken. Die kurzfristige Bekämpfung einer Art wird zwar helfen, kann jedoch auch vieles andere zerstören. Es gibt kaum Pestizide, die besonders artspezifisch wirken. Sprich: Wenn ich zum Beispiel im Obstbau gegen eine Wanzenart Pestizide ausbringe, dann wird sich dieser Einsatz auch auf die Bestäuber im näheren Umfeld auswirken. Ebenso problematisch wäre es, wenn ich Schlupfwespen einbringe, von denen ich vorher nicht weiß, ob diese sich auf die heimischen Arten spezialisieren und sie parasitieren können. Zum Beispiel wurde in Frankreich zur Bekämpfung von Blattläusen der Asiatische Marienkäfer eingeführt – mittlerweile kommt er überall vor. Im Falle des als gebietsfremd eingestuften Asiatischen Marienkäfers sind wir uns immer noch nicht hundertprozentig sicher, ob er problematisch ist oder nicht. Biologische Vielfalt in einem System ist immer die beste Lösung gegen Eindringlinge – hier können Försterinnen und Förster, Jägerinnen und Jäger wie auch Landwirtinnen und Landwirte ansetzen.
Was können die politisch Verantwortlichen und Privatleute tun, um das Einschleppen und die Verbreitung weiterer schädlicher Arten einzudämmen?
Auf politischer Ebene, also in den Städten und Gemeinden, müsste das Personal in den unteren Naturschutzbehörden dringend aufgestockt werden. Die machen teilweise einen Superjob, aber ihnen fehlt es an Kapazitäten. Das ist ein Berufsfeld, das unbedingt ausgebaut werden muss, zumal immer mehr im Naturschutz auf uns zukommt. Das ist unter anderem auch wichtig für die invasiven Arten. Ansonsten ist ganz wichtig, dass wir stärker die Bevölkerung aufklären, denn es ist wichtig zu verstehen, wann es sich um eine invasive Art handelt. Invasive Arten können sogar für die heimischen Arten ein Problem sein, wenn sie tatsächlich gar nicht auftreten, weil sie verwechselt werden. Privatpersonen können dadurch helfen, dass sie aufmerksam sind und Funde melden – entweder an die untere Naturschutzbehörde oder über Online-Meldeportale.
Was weiß man darüber hinaus über problematische Arten, die nicht als invasiv eingestuft werden?
Wir haben bisher nur über invasive Arten gesprochen, doch es gibt auch Quarantäne-Schädlinge, die im Grunde genommen invasiv sind, vor allem jedoch in der Landwirtschaft ein Problem darstellen. Entsprechend werden sie nicht von den unteren Naturschutzbehörden gelistet, sondern vom Pflanzenschutzdienst der Länder kontrolliert. Dazu gehört etwa der Japankäfer, über den vor kurzem mehrfach in Medien berichtet wurde. Er hat durchaus Eigenschaften, die es erlauben, ihn als invasiv einzustufen. Da er aber bereits auf der Quarantäne-Schädling-Liste steht, muss er nicht auch noch als invasiv eingestuft werden.
Inwiefern ist der Japankäfer ein Ernteschädling?
In Norditalien ist er inzwischen etabliert und hat dort große Schäden bereitet. Das Problem ist, dass er sehr unspezifisch ist und extrem viele verschiedene Pflanzenblätter, Blumen und Früchte frisst. Dieser Käfer könnte ein Problem für die heimische Flora und Fauna werden, doch aufgrund seines Schadenspotenzials für die Landwirtschaft ist er ohnehin unter Beobachtung und es wurden schon Maßnahmen zur Kontrolle entwickelt.