In Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, startet die Formel 1 am Sonntag in ihr letztes Saisondrittel. Die verbleibenden acht Rennen entscheiden die Fahrer- und Marken-WM. Bei Red Bull und Champion Max Verstappen schrillen die Alarmglocken. McLaren ist die große Papaya-gelbe Gefahr für die roten Bullen. In deren Stall rumort es gewaltig.

Mit dem Grand Prix von Italien verabschiedet sich der F1-Zirkus traditionell aus Europa. Doch dieser Abschied hat nach der Sommerpause mit den Rennen in Zandvoort/Niederlande und Monza/Italien die Formel 1 etwas durcheinandergewirbelt. Dabei stellt sich vor allem die Frage: Was ist bloß mit Red Bull und Weltmeister Max Verstappen los? Seit dem Spanien-GP am 23. Juni ist Bulle Max nun schon seit sechs Rennen (inklusive Monza) sieglos. Eine solche Serie hat es für den Dreifach-Champion zuletzt mit fünf Rennen ohne GP-Erfolg 2020 gegeben. Ziemlich ernüchternd war sein erstes Rennen nach der Sommerpause. Und das ausgerechnet bei seinem Heimspiel in den niederländischen Dünen von Zandvoort. Dreimal in Folge (2021, 2022, 2023) gelang Verstappen ein Sieg auf seiner Hausbahn. Doch dieses Mal musste sich der Red Bull-Star geschlagen geben. Und wie! Und das tat weh!
Mit einem Respektabstand von 22,8 Sekunden deklassierte Polesetter (Fahrer vom ersten Startplatz) Lando Norris im Papaya-orangen McLaren den Nationalhelden und verwies ihn auf Platz zwei. Der 24-jährige Brite vermasselte Verstappen damit seine Heim-Party und auch gleichzeitig dessen 200. F1-Karriererennen. Für Norris ist es der zweite Sieg nach seinem Debüt-Triumph in Miami/Florida. Als Dritter gesellte sich Ferrari-Pilot Charles Leclerc aufs Podium.
„Da muss viel passieren“

Mit dem Abstand von einer Ewigkeit abgeschlagener Zweiter zu werden und jeweils ein fünfter Platz in den zwei Rennen zuvor in Belgien und Ungarn – das ist ganz und gar nicht der Anspruch von Verstappen und Red Bull. Im Bullen-Stall rumort es gewaltig. Er steht gehörig unter Druck, der Wind bläst ihnen plötzlich ins Gesicht, die Luft wird dünner, es wird ungemütlicher, der Ton rauer. Und Max‘ Vater Jos Verstappen verschärft den Ton nur noch. Der 107-malige Ex-F1-Pilot sieht den Vorgesetzten seines Sohns, Teamchef Christian Horner, in der Bringschuld. „Max wird damit nicht zufrieden sein, wenn er so ein Auto hat wie jetzt. Es liegt an Horner, das Team wieder in die Spur zu bringen. Da muss viel passieren. Der ganze Spirit muss sich verändern.“
Verstappen bleibt nach seiner schmerzlichen Niederlage äußerlich noch aufgeräumt. „Zandvoort war ein schlechtes Wochenende. Aber die letzten paar Rennen waren nicht wirklich fantastisch. Das war in gewisser Weise ein bisschen beunruhigend“, so der Weltmeister. „Aber wir wissen, dass wir nicht in Panik verfallen müssen“, gibt sich Max nach fünf sieglosen Rennen noch ziemlich gefasst. Sein Ober-Boss, Motorsportberater Helmut Marko, rüttelte das Team nach der krachenden Niederlage wach. „Es ist alarmierend. Das Team muss härter arbeiten, oder beide Weltmeisterschaften sind in Gefahr“, so der 81jährige Doktor der Rechtswissenschaften.“ Und diese Gefahr rückt nach dem GP Italien (immer) näher. Dabei wollte der Verlierer im Ferrari-Land zurückschlagen.

Im Tempo-Tempel von Monza hatte Max Verstappen die vergangenen zwei Jahre 2022 und 2023 die „Siegesmesse“ gelesen. In diesem Jahr war der rote Ferrari-Star Charles Leclerc der „Hohe Priester“ in der Hochgeschwindigkeits-Kathedrale. Nach 2019 spendete der Monegasse den 130.000 „Gläubigen“ im brodelnden Autodromo Nazionale di Monza zum zweiten Mal den „Ferrari-Segen“. Man muss wissen: Ferrari ist in Italien eine Religion. „Hier in Monza und in Monaco, wo ich auch dieses Jahr mein Heimrennen gewonnen hab, ist für mich als Ferrari-Fahrer das Höchste. Diese beiden Rennen wollte ich immer gewinnen, und das hab ich jetzt vollbracht“, so der überglückliche Sieger nach seinem 138. GP-Start und dem 117. Rennen für Arbeitgeber Ferrari. Der 26jährige Leclerc gewinnt völlig überraschend das Europa-Abschiedsrennen. Nur als Vierter gestartet, rast er mit einem Strategie-Thriller vor McLaren-Pilot und Ungarn-Sieger Oscar Piastri (23) und dessen Teamkollege Lando Norris (24), der von der Pole Position neben Piastri gestartet war, ins Ziel. Mit einer gewagten Ein-Stopp-Strategie im Reifenpoker kam Leclerc zu seinem siebten F1-Sieg. „Unser Paket hat sehr gut funktioniert hier. Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht“, so der erleichterte Sieger. „Ferrari landet im Paradies“ titelte Tuttosport. Eigentlich galten die Papaya-gelben McLaren als Favoriten. Doch Ferrari spuckte dem Team mit den schnellsten Autos mit einem Taktik-Trick in die Suppe, nachdem Leclerc mit nur einem Pflichtstopp über die 53 Runden (306,720 km) ins Ziel kam. Der zweite Ferrari-Fahrer Carlos Sainz, ebenfalls mit nur einem Stopp unterwegs, kreuzte an seinem 30. Geburtstag als Vierter die Ziellinie.

Für Verstappen setzte sich seine Sieglosserie auch in Monza fort. Entsprechend desillusioniert und frustriert wirkte er nach der erneuten Pleite. Der Punkt für die schnellste Runde war kein Trost. Im Rennen selbst spielte Verstappen mit Platz sechs nur eine Nebenrolle. „Ferrari feiert die Wiederauferstehung in einem entscheidenden Moment der Meisterschaft, in der Verstappen nicht mehr der einzige Herrscher ist“, schrieb der Corriere della Sera. Nach seinem ernüchternden und für ihn nicht akzeptierbaren sechsten Platz legte der Dauersieger von einst in Richtung seines Bullen-Stalls los, indem er schnelle Verbesserungen verlangt. Am Sky-Mikro redete sich der Chefpilot in Rage: „Alles war zu langsam, wir hatten keine Balance im Auto. Das war das gesamte Wochenende und die letzten paar Rennen schon so. Hier war es schlechter als die letzten Rennen. Eigentlich hat gar nichts funktioniert. Die Strategie und die Pace generell nicht, die Boxenstopps waren auch schlecht. Bis Baku müssen wir noch viel ändern.“ Sein Vorjahresdienstwagen sei „ein großartiges Auto, das dominanteste Auto aller Zeiten gewesen, und wir haben es innerhalb von sechs bis acht Monaten in ein undurchdringliches Monster verwandelt. Jetzt liegt es am Team, Änderungen vorzunehmen“, polterte der 61malige GP-Sieger. „Aktuell“, so der 26-Jährige, „sind beide Weltmeisterschaften nicht realistisch.“
Laut Sky-Experte Ralf Schumacher werden die Bullen ihre Probleme in dieser Saison nicht mehr in den Griff kriegen. „Die Unsicherheit ist da, und es werden noch weitere Köpfe aus dieser Unsicherheit heraus rollen“, so der Ex-F1-Pilot. Für seinen Sky-Kollegen Nico Rosberg, Weltmeister von 2016, ist „die Situation heftig, weil sie es nicht verstehen. Das ist das große Problem. Sie gehen gerade immer weiter rückwärts und andere Teams wie McLaren machen einen phänomenalen Job. Nach den ersten Rennen hätte man nie gedacht, dass Red Bull beide Weltmeisterschaften noch verlieren kann.“
Kein Team für Mick Schumacher

In der Fahrer-WM führt Verstappen dank seiner angehäuften sieben Siege noch beruhigend mit 62 Punkten Vorsprung auf Norris (303:241), doch der knabbert kontinuierlich an diesem Polster. Dritter ist Leclerc (217) vor Piastri (197). In der Konstrukteurs-WM hat sich McLaren bereits bis auf acht Punkte an die Bullen herangerobbt (446:438). Zumindest in dieser Wertung ist der einst erfolgsverwöhnte Rennstall raus aus der Komfortzone. Ferrari als dritte Macht (407) liegt nur noch 39 Punkte vom Branchenprimus zurück. Mercedes mit den Monza-Plätzen fünf (Hamilton) und sieben (Russell) ist abgeschlagen WM-Vierter (292). In Baku können am Sonntag (13 Uhr/Sky und RTL) die Papaya-gelben McLaren bereits die Führung in der Marken-WM übernehmen. Und das wäre dann ausgerechnet am Kaspischen Meer, wo in den vergangenen drei Jahren die Konkurrenz baden ging und die Bullen ganz oben auftauchten: Sergio Perez (2021, 2023) und Max Verstappen (2022).
Bittere Nachrichten erreichten jüngst Mick Schumacher (25). Seit seinem Aus beim US-Rennstall Haas Ende 2022 wartet der Sohn von Rekord-Champion Michael Schumacher (55) auf eine neue F1-Chance. Eine um die andere Tür ist zugefallen. Nach den Absagen von Williams, Alpine und Mercedes ist Schumacher auch beim künftigen Werksteam Audi, das 2025 noch als Sauber antritt, chancenlos. Die „Audianer“ werden den letzten freien Platz neben Nico Hülkenberg (37) entweder an den aktuellen Sauber-Fahrer Valtteri Bottas (34, Finnland) oder den jungen Brasilianer Gabriel Bortoleto (19) vergeben. Bei den Silberpfeilen wird das junge italienische „Wunderkind“ Andrea Kimi Antonelli (18) das Erbe von Lewis Hamilton antreten, der ab 2025 bei Ferrari andockt. Bei allen vier F1-Teams war Mick Schumacher in der Verlosung, doch das Los zogen Micks Mitkonkurrenten.