Drei Fragen
„Wieder mal Schaufensterpolitik“
Die Politik habe in den letzten zehn Jahren viele Fehler gemacht. Man werde die doppelte Zeit brauchen, um diese zu beheben, so der arabische Israeli Ahmad Mansour, der seit 20 Jahren in Berlin lebt und als Migrationsexperte gilt.
Herr Mansour, in letzter Zeit gab es viele tödliche Messerattacken, die Täter kamen fast immer aus dem arabischen oder vorderasiatischen Raum. Woran liegt das?
Da muss man unterscheiden: Die jüngsten Taten von Mannheim und Solingen waren radikalisierte Islamisten, die zum Messer gegriffen haben. Schauen wir uns die täglichen Messerattacken auf Deutschlands Straßen an, da spricht die Kriminalstatistik für sich: Über 90 Prozent werden von Tätern verübt, die aus dem arabischen Raum stammen. Das liegt an deren Sozialisation, fast alle Täter sind männlich und meist jünger als 30. Sie kommen aus patriarchalen Strukturen, die ein gewisses Männlichkeitsbild formen. Sie wollen sich behaupten, keine Opfer sein und darum andere erniedrigen.
Bringt denn ein Messerverbot aus Ihrer Sicht da etwas, ist das sinnvoll?
Das ist die typische Phantom-Behandlung der Politiker, die immer einsetzt, wenn das politische Scheitern in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Natürlich fühle auch ich mich auf Volksfesten sicherer, wenn dort Messer verboten sind. Doch wer kontrolliert das, hat die Polizei die Kapazitäten, um ein Messerverbot durchzusetzen? Eher nicht. Was passiert mit den Personen, die mit einem Messer erwischt werden, werden sie umgehend juristische Konsequenzen spüren? Auch da habe ich meine Zweifel. Also das Messerverbot kann nicht umgesetzt werden, wieder mal Schaufensterpolitik.
Wie hilflos sind die deutschen Sicherheitsbehörden gegenüber Gewalttätern gerade aus dem arabischen Kulturraum?
Da muss ich die Polizei und die Justiz in Schutz nehmen, sie tun was sie können, und sie haben in den letzten Jahren immer wieder gewarnt. Haben in Brandbriefen, direkt an Politiker, die Gefahrenlage beschrieben, doch die Politik wollte und will dies nicht hören und wahrhaben. Die Politik hat in den letzten zehn Jahren viele Fehler gemacht, wir werden die doppelte Zeit brauchen, um diese zu beheben. Eins ist klar, nicht die Messer, sondern die, die diese tragen, sind das Problem. Und bei den Menschen müssen wir ansetzen. Interview: Sven Bargel
Deutschlandticket soll nicht zu teuer werden
Das Bundesverkehrsministerium warnt, dass der Preis für das Deutschlandticket ab Januar kommenden Jahres nicht zu stark steigen dürfe. Sonst gehen zu viele Abonnenten verloren, was für den ÖPNV und Umweltschutz kontraproduktiv wäre, so das Ministerium. Eine Untersuchung im Auftrag von Bund und Ländern kommt zu dem Schluss, dass eine Erhöhung von fünf bis zehn Euro ausreiche, den Pauschalfahrschein weiter finanzieren zu können. Aus dem 49-Euro-Ticket sollte also maximal ein 59-Euro-Ticket werden. In der Studie ging es vor allem um die Frage, wie sich eine Preiserhöhung auf die Kunden auswirke, sprich wie viele Kunden verloren gehen könnten. Bei einer Erhöhung von fünf Prozent könnten es bis zu sieben Prozent sein, würde das Deutschlandticket um zehn Euro teurer, dann könnten laut der Studie bis zu einem Fünftel der Abonnenten verloren gehen. Damit sind Bund und Länder in der Zwickmühle: Eigentlich wollten sie den Preis erhöhen, um Kosten abzufangen, doch damit würde das Ticket für Autofahrer unattraktiv – gerade für jene, die man zum Umsteigen bewegen will.
Markus Söder legt vor
Es war abzusehen: Der Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen war wieder ein Motivationsschub für den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten, dann doch noch ein bisschen mehr vom politischen Kuchen für sich zu beanspruchen. Zwar sei für Markus Söder Ministerpräsident von Bayern der schönste Job der Welt, aber: „Ich würde mich nicht drücken, Verantwortung für unser Land zu übernehmen.“ Bei einem der größten Volksfeste in Bayern erklärte er im Bierzelt sein Land zu einem Super-Freistaat, hier funktioniere alles. Wobei Söder wohl auch ein bisschen sich selbst damit meinte. „Bei der letzten Bundestagswahl hatten wir den falschen Kandidaten, das darf uns nicht noch einmal passieren.“ Ein Seitenhieb auf CDU-Chef Friedrich Merz, der die Unions-Kanzlerkandidatur für sich beansprucht. Damit wird es in den kommenden Wochen im Umgang zwischen der CDU und ihrer Schwesterpartei CSU robuster werden. Anfang Herbst soll die Unions-Kanzlerkandidatur intern entschieden sein.
EU-Bericht
USA und China im Visier
Die USA und China sind mit ihrer aktuellen Wirtschaftspolitik Gegenspieler der EU. Dies ist eine der Kernaussagen des Berichtes zur Wettbewerbsfähigkeit der EU, den Ex-Zentralbankchef Mario Draghi auf Bitten der aktuellen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angefertigt hat. In seiner Rede attackierte Draghi die beiden Wirtschaftsmächte scharf: China wegen seiner erheblichen Überkapazitäten vor allem in Sachen Elektromobilität und Solartechnologie, die diese Technologien in der EU unter Druck setzt; die USA wegen des „Inflation Reduction Acts“ und des starken Protektionismus, der internationale Konkurrenz ausschließe. Dieses Verhalten könne auch EU-Zölle nach sich ziehen, so Draghi. Die Ära des freien, regelbasierten Welthandels gehe jedoch zu Ende. Außerdem warb Draghi für Eurobonds, die unter den Mitgliedsstaaten umstrittene gemeinsame Schuldenaufnahme, eine gemeinsame Industriepolitik und ein Ende nationaler Vetos. Nichts anderes als ein radikaler Wechsel der aktuellen europäischen Politik hin zu einer tieferen gemeinsamen Integration.
Olaf Scholz rechnet fest mit zweiter Amtszeit
Bundeskanzler Olaf Scholz hält auch nach den jüngsten Wahldebakeln und ungeachtet parteiinterner Kritik an seiner Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2025 fest. Er rechne „fest damit, dass die SPD und ich 2025 ein so starkes Mandat bekommen, dass wir auch die nächste Regierung anführen werden“, so Scholz in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“. In dem Gespräch zeigte sich der Bundeskanzler äußerst optimistisch. „Regieren wird nicht einfacher, also sollten wir es machen. Mein Ziel ist auch in der kommenden Legislatur eine SPD-geführte Bundesregierung“. Nach den extrem schlechten Wahlergebnissen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wird in der SPD darüber diskutiert, ob Scholz tatsächlich der richtige Kanzlerkandidat ist. Auf die Frage, ob er Verteidigungsminister Boris Pistorius die Kanzlerkandidatur überlassen würde, wenn er zu dem Schluss käme, dass die SPD mit ihm bessere Chancen hätte, antwortete der Kanzler: „Auch Boris Pistorius will, wie viele andere, dass ich wieder als Kanzler antrete. Ich sehe das genauso“.
Zahl der Messerangriffe fast halbiert
Im Saarland hat sich die Zahl der Straftaten mit dem „Tatmittel Messer“ von 306 im Jahr 2020 auf 161 im vergangenen Jahr nahezu halbiert. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der CDU-Fraktion hervor. Erfasst werden demnach in der Statistik Straftaten und Tathandlungen, bei denen ein Angriff mit einem Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um sogenannte Rohheitsdelikte oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit, also Raub, gefährliche Körperverletzung, Bedrohung oder Nötigung (151 von 161 Fälle).
Der Rückgang von Messerangriffen ist nach der Auflistung durchgängig im Land festzustellen. In Saarbrücken sank die Zahl in vier Jahren von 119 auf 51, in Neunkirchen von 15 auf 12, in Völklingen nach einem Höchststand 2021 von 21 auf 10, ähnlich wie in Saarlouis. Im Saarland gab es bislang keine Waffenverbotszonen, die Landesregierung werde aber „zeitnah die rechtlichen Voraussetzungen schaffen“, um Waffenverbotszonen einrichten zu können, heißt es in der Antwort.
Papst auf Visite in Luxemburg und Belgien
Papst Franziskus wird nur wenige Tage nach seiner Reise, die ihn unter anderem nach Osttimor geführt hat, in Luxemburg und Belgien erwartet. Vom 26. bis 29. September wird das 87-jährige Oberhaupt der Katholischen Kirche in beiden Ländern „nicht nur die üblichen diplomatischen Höflichkeitsbesuche wahrnehmen“, heißt es in einer Ankündigung des Vatikans. Den ersten Tag wird er in Luxemburg verbringen, dort unter anderem in der Kathedrale „Notre Dame“ eine Ansprache halten. Am zweiten Tag besucht er unter anderem die Katholische Universität in Löwen, am Sonntag ist ein großer Gottesdienst im König-Baudouin- Stadion in Brüssel geplant mit der Seligsprechung von Anna von Jesus, einer engen Mitarbeiterin der Teresia von Avila (1515–1582).
Rauchverbot in Spielhalle gekippt
Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis hat das strikte Rauchverbot in einer Spielhalle per einstweiliger Anordnung außer Kraft gesetzt. Ein Gesetz sieht ein absolutes Rauchverbot auch dann vor, wenn ein getrennter Raucherbereich vorhanden ist. Die Betreiberin einer Spielhalle hatte dagegen geklagt. Sie sieht eine Ungleichbehandlung von Spielhallen gegen Spielbanken, wo Rauchen in abgetrennten Bereichen nicht verboten ist. Für diese sieht auch das Gericht keinen „rechtfertigenden Grund“. Weder der Nichtraucherschutz noch der Spielerschutz oder das Ziel der Suchtbekämpfung stellten eine tragfähige Grundlage für ein absolutes Rauchverbot dar, das auf Spielhallen beschränkt sei, nicht aber für Spielbanken. Dieses Urteil gilt zunächst für den Fall der Klägerin, dürfte aber wohl weitreichende Folgen haben. Der Gesetzgeber wird sich entscheiden müssen, wie er diese Ungleichbehandlung aus der Welt schafft.
Migration
Regeln umsetzen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat alle Beteiligten bei den Migrationsberatungen zur Kompromissbereitschaft aufgerufen. Er verfolge die andauernden Migrationsgespräche mit der Erwartung einer Verständigung zwischen Regierung und größter Oppositionspartei, der Union. „Ich bin überzeugt, dass es an den Parteien der demokratischen Mitte ist, Lösungen für Fragen zu erarbeiten, die viele Bürgerinnen und Bürger umtreiben“, sagte Steinmeier. „Es bedarf einer gesamtstaatlichen Anstrengung, über Parteigrenzen und staatliche Ebenen hinweg“, so das deutsche Staatsoberhaupt. Steinmeier hatte bereits bei der Trauerfeier für die Opfer des Anschlags von Solingen, eine Woche nach der Messerattacke, eine „gesamtstaatliche Kraftanstrengung“ zur Lösung des Problems der ungeregelten Zuwanderung angemahnt. „Wir müssen jede, wirklich jede Anstrengung unternehmen, um die Regeln zur Begrenzung des Zugangs, die es schon gibt, und die, die wir gerade zusätzlich schaffen, umzusetzen“, so der Bundespräsident.
Digitalpolitik
„Notfalls X sperren“
Nach der Messerattacke von Solingen und dem in letzter Sekunde verhinderten Anschlag auf das jüdische Generalkonsulat in München schließt Anton Hofreiter (Grüne) eine Sperrung der Plattform X (ehemals Twitter) nicht aus. In beiden Fällen sollen sich die Täter im Internet radikalisiert haben. „Eines der größten Probleme von Extremismus ist die Online-Radikalisierung. Wir müssen die Verbreitung menschen- und verfassungsfeindlicher Inhalte im Internet stoppen“, fordert der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag. Hofreiter hat dabei vor allem Online-Netzwerke, die sich der Durchsetzung von Recht und Gesetz verweigern, im Auge. Diese müssten zur Rechenschaft gezogen „und notfalls gesperrt werden“, so Hofreiter. Das müsse auch den US-Unternehmer Elon Musk treffen, wenn sich dessen Plattform X nicht an die Regeln halte. Laut Hofreiter dürfe der Staat sich dabei neuen Technologien für Ermittlungen nicht verschließen. So könnte es „virtuelle Agenten“ geben, die in Gruppen des umstrittenen Messengerdienstes Telegram mögliche Straftäter identifizieren.
Nachtfahrverbot für Mähroboter gefordert
Tierschützer verschiedener Organisationen in Deutschland fordern, den Einsatz von Mährobotern deutlich zu beschränken. „Ein Nachtfahrverbot für Mähroboter ist das Allermindeste“, so Corinna Hölzel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Noch besser wäre es, ganz auf Mähroboter im eigenen Garten zu verzichten und selber wieder den Rasen zu mähen“. Die kleinen Roboter würden radikal alles wegmähen, das gefährde Biodiversität. „Sie mähen jedes Gänseblümchen weg. Wildbienen, Schmetterlinge oder Käfer verlieren dadurch wichtige Futterquellen“, so die Argumentation des BUND. Tierschützer machen sich auch Sorgen um die Igel-Population in Deutschland, da die sehr leisen Mähroboter vor allem gern nachts eingesetzt werden. Der Igel sei nachtaktiv, mache sich dann auf Futtersuche. Doch der Igel ist kein Fluchttier, er rollt sich zusammen, stellt seine Stacheln auf und wiegt sich in Sicherheit. Der Mähroboter aber fährt dann über ihn einfach hinweg und verletzt oder tötet das Tier. Darum sei ein Nachtfahrverbot für Mähroboter sinnvoll, so die Tierschützer.
Wiegand will’s wissen
Blickpunkt Europa
Wenn das neu gewählte Europäische Parlament zur ersten Sitzung nach Konstituierung zusammentritt, werden wir erfahren, ob die Volksvertretung Einspruch gegen einzelne Kommissaranwärter einlegen wird: Sie muss das 26-köpfige Kollegium abnicken. Christdemokratin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin hat es unter Austarieren politischer und nationaler Befindlichkeiten zusammengestellt.
Zum Redaktionsschluss zeichneten sich drei Wackelkandidaten ab. Darunter ist der italienische Europaminister Raffaele Fitto. Er soll künftig für Wirtschaft verantwortlich sein und sogar Vize von der Leyens werden. Die Liberalen lehnen den Rechtsaußen von der neofaschistischen Partei Fratelli d’Italia – zumindest bislang – ab. Das zweite Problem: die derzeitige Außenministerin Belgiens, Hadja Lahbib (54). Die Liberale gilt ihren Kritikern als unerfahren, gar inkompetent. Lahbib war vor zwei Jahren von einer TV-Sprecherin zur Chefdiplomatin hochkatapultiert worden und beging bereits mehrere Fauxpas. Das EU-Parlament wird sie wohl bei einer Anhörung „grillen“.
Die Sozialistin und spanische Umweltministerin Teresa Ribera, die für mehrere Kommissionsposten infrage käme, findet ebenfalls nicht überall Zuspruch. Osteuropäische EU-Abgeordnete kritisieren ihre negative Haltung zur Atomkraft. Das sei „inakzeptabel“, so tschechische Kreise. Insgesamt wird die künftige EU-Kommission so farbenreich sein, wie der Staatenbund selbst. „Schwarz“ wird aber dominieren. Denn die Mitte-Rechts-Partei EVP wird Schlüsselpositionen besetzen. Ihre Partner, Sozialdemokraten und Liberale verlieren Einfluss. Nächste Woche mehr.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.