Einst galten sie als streng geheim und dienten den USA dazu, militärische Gegner auszuspionieren. Heute nutzen Satellitenbilder aus dem Kalten Krieg der Wissenschaft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der Schwarzwald rasant. Der Holzbedarf war damals hoch. Vieles war zerstört worden und musste wiederaufgebaut werden. Auch zahlte Deutschland einen Teil seiner Reparationen in Form des begehrten Rohstoffs an die Alliierten. Im Schwarzwald wurden deshalb viele Flächen gerodet und mit Fichtenmonokulturen neu bepflanzt – ein Eingriff, der laut der Ökosystem-Forscherin Catalina Munteanu von der Universität Freiburg bis heute nachwirkt. „Selbst wenn diese Gebiete heute wieder bewaldet sind und sehr nachhaltig bewirtschaftet werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Artenzusammensetzung und Struktur immer noch von Wäldern, die in der Vergangenheit nicht so intensiv genutzt wurden“, erklärt sie.
Wie sich die Waldnutzung von damals auf die heutige Biodiversität in Gebieten des Schwarzwalds ausgewirkt hat, wollen Munteanu und ihr Team herausfinden. Dafür nutzen sie ein ungewöhnliches Werkzeug: Satellitenbilder aus ehemaligen US-amerikanischen Spionageprogrammen.
Im Kalten Krieg ließen die USA zahlreiche Satelliten-Aufnahmen aus dem Weltall machen, um industrielle und militärische Anlagen von Gegnern wie der Sowjetunion und China auszukundschaften. In mehreren Spionageprogrammen entstanden über Jahre hinweg überwiegend hochauflösende Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Lange galten diese als streng geheim und wurden unter Verschluss gehalten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden viele Bilder seit Mitte der 1990er-Jahre jedoch für die Forschung freigegeben und werden seitdem von verschiedenen Disziplinen genutzt. Archäologen etwa machten mit ihnen schon neue Entdeckungen, Klimaforscher wiesen das Schmelzen von Gletschern nach.
Seit mehr als drei Jahren treiben Munteanu und ihre Gruppe den Einsatz der Bilder auch für die Ökologie und den Naturschutz voran. Sie sahen mehr als eine Million freigegebene Militäraufnahmen aus vier Spionageprogrammen durch und stellten fest, dass diese fast den gesamten Globus abdecken und für alle Jahreszeiten vorliegen. Für die Ökosystem-Forscherin ist es deshalb naheliegend gewesen, die analogen historischen Aufnahmen ergänzend zu modernen digitalen Luftbildern zu nutzen.
„Digitale Fernerkundungsdaten sind eine der wichtigsten Datenquellen für die großflächige ökologische Forschung, aber ihnen fehlt die zeitliche Tiefe, die diese Spionagesatellitenbilder bieten können“, sagt sie. Auch gibt es hochauflösende moderne Luftaufnahmen erst seit den 2000er-Jahren. Die Ursachen, die zu den heute erkennbaren Veränderungen in Ökosystemen oder Artenpopulationen geführt haben, liegen häufig aber viel länger zurück.
Um die Veränderungen in zuvor ausgewählten Naturgebieten nachzuvollziehen, vergleichen Munteanu und ihr Team die älteren mit den neueren Bildern. Dazu nutzen sie eine Software, mit der ursprünglich Drohnenaufnahmen verarbeitet wurden. 2020 gelangten sie so zu einer Erkenntnis, die in den Medien ein großes Echo hervorrief.
Schützenswerte Wälder wurden entdeckt
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten mithilfe von Satellitenbildern aus dem Spionageprogramm „Corona“, wie sich die Bestände von Steppenmurmeltieren in Kasachstan über Jahrzehnte hinweg entwickelt haben. Steppenmurmeltiere (Marmota bobak) legen unter der Erde weitläufige Tunnelsysteme an und hinterlassen dabei oberirdisch große Erdhügel, die vom Weltall aus sichtbar sind.
Da die Baue der Murmeltiere auch von anderen Arten genutzt werden und das Graben den Stickstoffgehalt der Böden fördert, gelten die Tiere als Ökosystem-Ingenieure und Schlüsselart für die Region.
Munteanu und ihr Team untersuchten mehr als 12.500 Murmeltierbaue. Sie stellten fest, dass die Bestände der Steppenmurmeltiere seit den 1960er-Jahren um etwa 14 Prozent zurückgegangen waren. Damals waren in Kasachstan große Teile der Steppen zu Ackerland umgewandelt worden. Die Forscherinnen und Forscher nahmen an, dass landwirtschaftliche Praktiken wie regelmäßiges Pflügen den Murmeltieren auf lange Sicht zugesetzt haben. Denn in Gebieten, die die längste Zeit über landwirtschaftlich genutzt wurden und die seit den 1960ern durchweg der Landwirtschaft gedient haben, sei der Rückgang der Bestände am stärksten gewesen. Etwa die Hälfte der Baue befand sich jedoch noch am selben Ort wie schon vor 50 Jahren. Die Murmeltiere blieben ihren Bauen in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Grasland, dabei häufiger treu als auf landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Doch was lässt sich daraus ableiten? Munteanu macht deutlich, dass es ihr nicht um eine Wiederherstellung früherer Ökosysteme geht. „In einzelnen Fällen mag das zwar eine gute Idee sein, oft wird es aber schlichtweg nicht möglich, machbar oder wünschenswert sein, weil der Kontext eben heute auch ein ganz anderer als früher ist“, sagt sie. So würden beispielsweise Wälder mittlerweile durch die zunehmende Nachfrage nach Holz und den Klimawandel stark beeinflusst.
Munteanu möchte mit ihrer Forschung dafür sensibilisieren, dass Entscheidungen über Eingriffe in Ökosysteme langfristige und manchmal auch erst langsam sichtbar werdende Auswirkungen auf die Zukunft und damit auch auf künftige Generationen haben werden. Das betrifft die Steppenmurmeltiere in Kasachstan wie auch den Schwarzwald in Deutschland.
Mit ihrer Arbeit wollen die Ökosystem-Forscherin und ihr Team aber auch Wissen für Entscheidungsträger bereitstellen. Konkret haben sie das 2021 in einer Studie beschrieben, für die sie Wälder in den rumänischen Karpaten, die für den Erhalt von Biodiversität, Ökosystem-Dienstleistungen und den Klimaschutz besonders wichtig und deshalb schützenswert sind, anhand der Satellitenbilder identifiziert haben. Ihre Methoden, schreiben sie, können dabei auch auf andere Regionen angewandt werden, um solche Wälder zu erkennen und Maßnahmen zu ihrem Schutz zu entwickeln.
Im Schwarzwald wollen die Forschenden in den kommenden Jahren herausfinden, ob die frühere intensive Nutzung einiger Gebiete diese heute anfälliger gegenüber Klimaveränderungen gemacht hat. Bekannt ist etwa, dass die Fichte unter vermehrt trockenen Sommern leidet. Als flach wurzelnder Baum kommt sie nicht an die Feuchtigkeit der unteren Bodenschichten heran. Das schwächt sie und macht sie anfällig für Schäden durch den Borkenkäfer. Auch Unwettern hat die Fichte nur wenig entgegenzusetzen. Fachleute sehen deshalb keine Zukunft für den „Brotbaum“ der Forstwirtschaft und suchen nach Alternativen.
Einheitslösungen für die Wälder gibt es nicht
Für Munteanu ist dabei klar, dass es bei der Gestaltung des „Waldes der Zukunft“ keine Einheitslösung geben kann: Jeder Wald sei anders. „Wichtig ist aber in jedem Fall, dass Wälder auch weiterhin eine Vielzahl an Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen erbringen können“, meint die Wissenschaftlerin.
Neben Wäldern, die den Kern ihrer Forschung bilden, befassen Munteanu und ihr Team sich auch weiter mit der Entwicklung von Artenpopulation. Eines ihrer Projekte dreht sich um Kaiserpinguine (Aptenodytes forsteri). „Dank moderner Fernerkundungsdaten und Felduntersuchungen kennen wir die Lage der meisten, wenn nicht sogar aller aktuellen Kaiserpinguin-Kolonien auf dem antarktischen Kontinent“, berichtet die Forscherin. Anhand der historischen Daten wollen sie und ihr Team herausfinden, ob sich die Kolonien bereits vor 50 Jahren in denselben Gebieten befanden, in denen sie heute leben, oder ob sie „umziehen“ mussten, weil sich die Verfügbarkeit von festem Meereis geändert hat. Auf dieses sind die Tiere angewiesen, um dort unter anderem ihre Küken großzuziehen. Studien haben 2022 und 2024 gezeigt, dass das einigen Kolonien zunehmend schwerfällt, da wegen des Klimawandels Eisflächen schmelzen.
Munteanu und ihrem Team eröffnen sich noch viele Möglichkeiten für weitere Forschungsprojekte mit den Satellitenbildern. Einige technische Schwierigkeiten stehen ihnen dabei aber noch im Weg. Schwierig ist es zum Beispiel, die Satellitenbilder so zu bearbeiten, dass sie digital ausgewertet werden können. Die Forscher hoffen, dass sich solche Probleme in Zukunft beheben lassen werden. Eine Rolle könnte dabei der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Bildanalyse spielen.