Polykrise ist wohl das Wort, dass den Zustand unserer Welt gerade gut auf den Punkt bringt – und es ist auch eines der wichtigsten Worte im neuen „Kids Rights Index“. Dabei handelt es sich um die einzige jährliche globale Rangliste darüber, wie Länder weltweit die Kinderrechte einhalten.
Polykrise beschreibt das Phänomen der zeitgleich stattfindenden einschneidenden Krisen. Im „Kids Rights Index“ von 2023 wurde erstmals der aktuelle Zustand der Polykrise in der Welt als Hauptfaktor für die Entstehung von Problemen bei Kinderrechten weltweit beschrieben. In dem 60 Seiten starken Bericht von 2024 nun ist zu lesen, dass man derzeit nur zu dem Schluss kommen könne, „dass diese Situation noch düsterer geworden ist“.
Auch die Vereinten Nationen stellten in einem Bericht aus dem Vorjahr fest: „Die Pandemie hat auch die Lernkrise verschärft, die schon vorher kritisch war.“ Besonders ausgeprägte Lernverluste seien in Südasien, Lateinamerika und der Karibik zu beobachten, wo die Schulen am längsten geschlossen waren. Neben Covid-19 hätten sich laut Kids Rights Index auch finanzielle Zwänge weiter verschärft, die sich unter anderem aus den hohen Kosten ergeben – etwa Energie, Lebensmittel und weitere Lebenshaltungskosten. Darüber hinaus gebe es neue politische Realitäten im Zusammenhang mit gewaltsamen Konflikten und dem Aufstieg rechter politischer Führer und Anti-Migrations-Stimmungen, die vielerorts den Ausbau von Kinderrechten blockierten.
Luxemburg als Spitzenreiter
In den Kids Rights Index fließen 20 Indikatoren aus fünf übergeordneten Themengebieten ein: Leben, Gesundheitssystem, Bildung, Schutz und Umgebung. Zum Bereich Leben gehören die Sterblichkeitsrate der Kinder unter fünf Jahren, die Lebenserwartung bei der Geburt sowie die Müttersterblichkeit. In den Themenbereich Gesundheitssystem fließen unter anderem der Zugang zu Wasser und die Qualität der sanitären Einrichtungen ein.
Die Bildung umfasst die erwarteten Schuljahre, getrennt nach Mädchen und Jungen, sowie die Geschlechterungleichheit in der Schulbildung. Zum Schutz gehören Statistiken zur Kinderarbeit, zur Geburtenrate bei Jugendlichen und die Registrierung der Geburten. Die Umgebung umfasst unter anderem Nichtdiskriminierung, das Wohl des Kindes, die Achtung ihrer Ansichten und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft für deren Teilhabe. Zusätzlich hat der Kids Rights Index nun zum zweiten Mal in Folge den Klimawandel mit aufgenommen. Dieser Bereich basiert auf den Bemühungen zur Eindämmung des von Menschen verursachten Klimawandels. Der Index soll als Grundlage für Empfehlungen dienen, wie Regierungen Kinderrechte verbessern könnten.
Ein staatlicher Neuzugang ist Liechtenstein, womit sich der Kids Rights Index 2024 also mit dem Zustand der Rechte in 194 Ländern befasst. Nicht mit im Index sind aus verschiedenen Gründen acht Länder: Niue, Tokelau, Vatikanstadt, Anguilla, Montserrat, die Turks- und Caicosinseln, die Britischen Jungferninseln und die USA, die die Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert haben. Wenig überraschend sind die westlichen Länder auf den vorderen Plätzen zu finden, während die hinteren Ränge von afrikanischen und asiatischen Ländern dominiert sind. Die „Top 3“ besteht aus Luxemburg, Island und Griechenland, während die Schlusslichter Afghanistan, Südsudan und Tschad heißen.
Der Tschad gilt als autoritär regiert, als eines der korruptesten Länder der Welt und als „gescheiterter Staat“. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt trotz hoher Einnahmen durch Ölverkauf unterhalb der Armutsgrenze. Seit mehr als 20 Jahren ist der Index der menschlichen Entwicklung des Landes einer der niedrigsten der Welt. Im Südsudan herrscht seit 2017 eine Hungersnot, bei der mehr als 100.000 Menschen der Hungertod droht und fast fünf Millionen Menschen auf Unterstützung mit Nahrungsmitteln angewiesen sind – also mehr als 40 Prozent der Bevölkerung. Er gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Durch die autoritäre Regierung kommt es regelmäßig zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte.
Nach ihrer Machtübernahme 2022 schlossen die Taliban in Afghanistan die Schulen für Mädchen ab 13 Jahren. Unterricht für sie findet daher, wenn überhaupt, nur durch Ehrenamtliche im Geheimen statt. 80 Prozent der Ärzte arbeiten in Kabul, es befinden sich zudem 60 Prozent der Krankenhausbetten und 40 Prozent der Apotheken in der Hauptstadt. Afghanistan hat eine der höchsten Mutter-Kind-Sterblichkeitsraten der Welt: Nur bei 19 Prozent der Geburten steht medizinisches Fachpersonal zur Verfügung. Jährlich sterben etwa 24.000 Frauen vor, während oder direkt nach einer Entbindung.
Auf der anderen Seite: Um die Kinderrechte in Luxemburg besser bekannt zu machen, organisiert das Ministerium regelmäßig Veranstaltungen, die Kinder und Jugendliche dazu einladen, aktiv an der Verteidigung ihrer Rechte mitzuwirken, wie es online erklärt. Dazu gehören etwa ein Kinderrechtsfest, eine Feier zum Internationalen Kindertag, die Kinderkonferenz „Chico“, der mit der Unicef organisierte Kreativwettbewerb „Deng Zukunft. Deng Stëmm“, eine Zaubershow zur Prävention von sexuellem Missbrauch oder Veranstaltungen dazu, wie man Kinder im Internet vor Gewalt schützt.
Personalmangel bei Geburten
Isländische Kinder wachsen laut dem Portal „MSN Nachrichten“ mit viel Freiheit auf, zudem gebe es dort nur wenig Kriminalität und wenige Autos. Gleichzeitig würden die Kinder viel Zeit draußen verbringen, sobald die Temperaturen über 14 Grad steigen. In Island scheint man generell gelassen zu sein, denn es wird auch davon berichtet, dass Babys dick eingepackt und im Kinderwagen vor dem Haus abgestellt werden, während die Eltern drinnen bleiben und sie beobachten – und das auch im Winter. Außerdem würden Kinder in Island früh Verantwortung lernen, beispielsweise durch Ferienjobs in der Gemeinde.
Verschwörungstheoretiker und Querdenker werden es übrigens nicht gern hören, aber: Deutschland belegt Platz vier, ist im Vergleich zum Vorjahr sogar einen Rang nach oben geklettert. Bereits 2023 hieß es in dem Bericht, dass sich Deutschland bei den Indikatoren Respekt für die Meinung des Kindes und bestes verfügbares Budget deutlich verbessert habe. In Bezug auf die respektierte Meinung des Kindes wurde Deutschland für seine ressortübergreifende Jugendstrategie „Geteilte Verantwortung: Eine Politik für, mit und von jungen Menschen“ gelobt und dafür, dass in einigen Gebieten das Mindestalter für die Stimmabgabe bei Kommunalwahlen gesenkt wurde. Es gab jedoch auch deutliche Kritik wegen mangelnder Berücksichtigung der Meinung von Kindern in Gerichts- und Verwaltungsverfahren.