Die drastische Zunahme der Hitzewellen vor allem in Westeuropa konnten Wissenschaftler mit einer längeren Verweildauer des Phänomens der sogenannten doppelten Jetstreams erklären.
Natürlich war es nur ein Zufall, dass ausgerechnet im Sommer 2022, der laut dem EU-Erdbeobachtungsdienst Copernicus in Europa die höchsten Temperaturen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen mit sich gebracht hatte, erstmals eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für dieses in unseren vormals gemäßigten Breiten noch ziemlich ungewöhnliche Wetter-Phänomen geliefert werden konnte. Mitte Juni 2022 waren der südliche Teil und das Zentrum Europas von einem extremen Hitzeeinbruch betroffen, im folgenden Monat Juli hatte von Westen her eine zweite Hitzewelle den Kontinent überzogen, was vor allem in Spanien und Frankreich für teils fatale Folgen wie verheerende Waldbrände gesorgt und in Großbritannien erstmals zum Knacken der 40-Grad-Marke geführt hatte. Im heißesten europäischen Sommer waren 2022 mehr als 61.000 Hitzetote zu beklagen, davon mehr als 8.000 allein in Deutschland, wo noch immer der sogenannte Jahrhundertsommer 2003 den Spitzenplatz in Sachen Temperaturhöchstwerte seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 behauptet. Global betrachtet war laut dem EU-Klimadienst der Sommer 2023 die heißeste warme Jahreszeit der bekannten Wettergeschichte. Und der 21. Juli 2024 war laut Copernicus der heißeste Tag, der jemals auf der Erde gemessen wurde, was als deutliches Zeichen für das Voranschreiten des globalen Klimawandels gedeutet wurde.
Mehr extreme Hitzeereignisse in Europa
Eine konkrete Erklärung für die Zunahme der über Europa hinwegziehenden Hitzewellen hat ein internationales Forschungsteam unter Federführung des Potsdam-Instituts für Klimafolgeforschung (PIK) in einer 2022 im Fachmagazin „Nature Communication“ veröffentlichten Studie geliefert. Die PIK-Geografin und Meteorologie-Klimatologie-Spezialistin Dr. Efi Rousi zeichnete als Hauptautorin der Studie verantwortlich. Das Resümee der wissenschaftlichen Untersuchung lautete: „Doppelte Jetstreams und ihre zunehmende Verweildauer sind der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen und zukünftigen Hitzewellen über Westeuropa.“
Das internationale Forscherteam hatte für seine Studie die Wetter-Beobachtungsdaten für die beiden wärmsten europäischen Monate, Juli und August, über den Zeitraum der letzten 42 Jahre ausgewertet. Mit dem überraschenden Ergebnis, dass über Europa die Hitzewellen drei- bis viermal schneller zugenommen haben als in den übrigen nördlichen Mittelbreiten, wie etwa in den USA oder Kanada. Die Wissenschaftler erkannten Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation als ursächlich und stellten eine Korrelation mit dem im Wandel begriffenen Jetstream her. Für ihre Analyse hatte das Team anhaltende Hitzewellen als mindestens sechs aufeinanderfolgende Tage definiert, an denen die maximale Lufttemperatur den Schwellenwert der zehn Prozent wärmsten Tage an einem bestimmten Ort überschreitet (eine weltweit verbindliche Definition des Begriffs „Hitzewelle“ gibt es noch nicht). „Sommerliche Hitzewellen sind an sich kein neues Phänomen. Neu ist aber, dass extreme Hitzeereignisse in Europa in den letzten Jahren häufiger und intensiver aufgetreten sind. Wir rechnen damit, dass das noch schlimmer wird“, so Dr. Rousi, „unsere Studie zeigt, dass diese Hitzeextreme in Europa mit doppeltem Jetstreams und deren zunehmender Verweildauer über dem Gebiet Eurasiens zusammenhängen.“
Was sich hinter der Bezeichnung „doppelter Jetstream“ verbirgt, erklärte der Klimaspezialist und Studien-Mitautor Professor Kai Kornhuber von der New Yorker Columbia University folgendermaßen: „Die Studie zeigt, dass es typischerweise drei Zustände des Jetstreams gibt. Einer davon ist der Doppeljet-Zustand. Dabei teilt sich der Jetstream in zwei Zweige mit erhöhtem Wind, einer über Süd- und einer über Nordeurasien.“ Während sich die Anzahl der Doppel-Jet-Ereignisse pro Jahr nicht wesentlich verändert habe, seien diese doch im Laufe der letzten Jahre immer länger und damit anhaltender geworden. Diese gesteigerte Langlebigkeit trage daher einen weiteren Anteil zu dem durch Menschen verursachten Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels bei und führe zu noch intensiveren Hitzewellen. „Unsere neuen Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig es ist, die dynamischen Prozesse in der Atmosphäre zu verstehen, um künftige Risiken extremer Hitze vorhersehen und globale Hotspots wie Westeuropa identifizieren zu können.“
Wetterrisiken werden häufig unterschätzt
Die zunehmende Verweildauer von Doppel-Jetstreams ist daher besonders für Westeuropa ungemein relevant. „Unsere Studie zeigt“, so Dr. Rousi, „dass die zunehmende Verweildauer von Doppeljets etwa 30 Prozent der Hitzewellentrends für ganz Europa erklärt. Wenn wir jedoch nur die kleinere westeuropäische Region betrachten, erklärt sie fast 100 Prozent. In dieser Region, die mit dem Ausgang der vom Nordatlantik nach Europa ziehenden Sturmbahn zusammenfällt, kommen die Wettersysteme normalerweise vom Atlantik und haben daher eine abkühlende Wirkung. Wenn es aber zum Doppeljet kommt, werden die Wettersysteme nach Norden abgelenkt und es können sich über Westeuropa anhaltende Hitzewellen entwickeln.“ Das stehe im Gegensatz zu anderen europäischen Regionen wie dem Mittelmeerraum oder Osteuropa, wo Hitzewellen aller Wahrscheinlichkeit nach eher mit trockenen Böden zusammenhängen.
„Doppeljets können durch eine Vielzahl von Gründen ausgelöst werden“, so der PIK-Forscher und Studien-Mitautor Dr. Dim Coucou, „unter anderem durch chaotische Schwankungen in der Atmosphäre. Die interessante Frage ist jedoch, was die Doppeljets so hartnäckig macht. Eine mögliche Erklärung ist die verstärkte Erwärmung der hohen Breiten, insbesondere über Landregionen wie Sibirien, Nordkanada und Alaska. Im Sommer haben sich diese Regionen viel schneller erwärmt als der arktische Ozean, da die überschüssige Energie über dem Ozean das Schmelzen des Meereises beschleunigt.“ Das Land rund um den arktischen Ozean habe sich daher im Sommer sehr schnell erwärmt, was mit einem schnellen Rückgang der Schneedecke im späten Frühjahr einhergehe. „Dieser zunehmende Temperaturunterschied zwischen Land und Ozean begünstigt das Fortbestehen von Doppel-Jet-Zuständen im Sommer“, so Dr. Coucou. Extremereignisse wie Hitzewellen sollten laut dem Forscherteam auch bei der Erstellung künftiger Klimamodelle viel stärker berücksichtigt werden. „Klimamodelle neigen dazu“, so Prof. Kai Kornhuber, „extreme Wetterrisiken zu unterschätzen. Daher müssen künftige Forschungen prüfen, inwieweit die ermittelten Zusammenhänge von den Modellen erfasst werden. Die Prognose für extreme Hitze im Falle fortdauernder Emissionen könnten andernfalls zu konservativ sein, und es ist möglich, dass wir extreme Hitzewellen in Wirklichkeit noch öfter und mit stärkerer Intensität erleben werden, als es Modelle in diesen Szenarien ohnehin schon prognostizieren.“