Dieser Tage wäre der Schriftsteller, Schauspieler und Drehbuchautor Truman Capote 100 Jahre alt geworden – seinem bewegten Leben bereitete er vor vier Jahrzehnten jedoch selbst das Ende.

Der schlanke Türsteher in offenem Hemd und Jeans lächelt: „Sorry, no entry“ und schüttelt bedauernd die blonde Mähne. Im Vorüberschlendern deutet er jetzt lässig auf ein Mädchen in der dritten Reihe, für welches – frei nach Chandler – „ein Bischof eine Kirchentür eintreten würde“ und löst bei ihm Jubelschreie mit Hopsern und Klatschern aus. Denn sie hat es geschafft, was sonst nur der High-Society vorbehalten ist. Sie darf sich drinnen zeigen. Neidische Blicke begleiten sie hinein in den legendären Disco-Nachtclub „Studio 54“ – berühmt-berüchtigt für seine gesetzeswidrigen Berauschungen und sittenspottenden Exzentriker, für Kokain üppig bis zur Razzia, für verschwitzten, enthemmten Sex auf dem Balkon.
Nach Yul Brynner als Ehrengast zur Eröffnung 1977 strömten die Bühnen-glitzernden jener Epoche hinzu: von Robert de Niro und Mick Jagger über Liza Minnelli, Diana Ross und Grace Jones bis zu Elizabeth Taylor. Von Michael Jackson, der noch aussah wie er selbst, zu „Rocky“ Stallone. Auch ein 32-Jähriger mit reichlich Taschengeld war zugegen, Donald Trump. Dort drinnen zu stehen, war zum Statussymbol geworden, auch wenn man ohne Kunstsinn hereintrabte. Auf Sandalen schlurfte ein kleiner, beleibter Mann durch die Pforte. Im Bademantel, hellem Strohhut. Fehlte bloß die schwarze Fliege. Selbst jener abgewiesene Club-Fan, der sich durch Hausschächte ins „Studio 54“ durchzukämpfen suchte und unterwegs jammervoll verstarb, trug sie.
Der Kleine hier genießt Narrenfreiheit. Schließlich ist er weltbekannt. Gleichwohl: Die Sicherheits-Taue seines Fahrstuhls in die mondäne Gesellschaft sind zerfetzt, der ungebremste Weg in den Abgrund unvermeidlich. Seine gesellschaftlich glitzernde Position hat der offen lebende Homosexuelle (seinerzeit in manchen US-Bundestaaten noch als Verbrechen geltend) weitgehend eingebüßt. Längst lebt er nicht mehr mit „Chivas Regal“, sondern nur mehr für ihn. Mit einer eigentümlich kindlichen, ja niedlich-lispelnden Stimme begrüßt er Andy Warhol, den Hals dabei naturwidrig wendend.
Auch sonst war er ein Wendehals. Geboren am 30. September 1924 als Truman Streckfus Persons im Sternzeichen der Waage, dem er wenig Ehre machen wird. Späterer Nachname Capote, der manch einen an Al Capone gemahnte, sehr zu Unrecht übrigens, denn der galt als überaus verlässlich.
Durchbruch mit Roman „Frühstück bei Tiffany“
Scheidungskind Truman, in den Südstaaten aufgewachsen, von der Mutter anfangs verlassen, über Schulen hinwegmäandert, wird bald trinkfest, dabei früh schriftstellerisch ambitioniert. Dazu ausgestattet mit einer brillanten Beobachtungsgabe, wird er in der Tat zum fein ziselierenden Stilisten. Lorbeeren gab es schon früh für „Andere Stimmen, andere Räume“, als Debüt eines Wunderkindes gepriesen. Und nicht über Nacht, aber doch alsbald wird er zum Darling der Oberen Tausend.
Vor allem aber wird er – gepflegt, schlank, geistreich – zum intimen Freund Dutzender glamouröser Damen, die sich mit ihren mächtigen Gemahlen langweilen, doch nicht mit dem ihnen sexuell ungefährlichen Truman. Sie – seine „Schwäne“, wie er sie dezent betitelt– mit den knallroten Lippen, beichten ihrem Truman (sein Vorname klingt immerhin nach einem „vertrauenswürdigen Mann“) blauäugig viel. Allzuviel. Über ihre Laster, Sehnsüchte, Selbstversklavungen, ihren geifernden Neid auf die da hinten, die gerade zur Tür herein-stelzen und mit ausgesuchter Falschheit begrüßt werden.
All dies gerne im auserlesenen „La Côte Basque“, früheres Hautevolée-Mekka der cuisine française. Der geniale Emporkömmling gewann an Ansehen. Er konnte ja nicht ahnen, dass eben diese illustre Damenwelt, zu der auch Jackie Kennedys Schwester Lee Radziwill zählte, die er beide dreist als „westliche Geisha-Girls“ etikettierte, später sein Schicksal besiegeln würde. Mit dem Kurzroman „Frühstück bei Tiffanys“ betritt er 1958 die Weltbühne. Dessen Verfilmung (1961) mit der bestrickenden Audrey Hepburn statt der kurvenreichen Marylin Monroe ärgerte ihn ungemein. „Paramount hat mich auf jede erdenkliche Weise hinters Licht geführt und die Rolle einfach falsch besetzt.“ In Wahrheit lehnte die Monroe die Rolle schlankweg ab, da sie sich nicht als „Gelegenheits-Flittchen“ zeigen mochte. Zumal er Partygirl Holly Golightly vom Wesen her nach der von ihm bewunder-ten Carol, Ehefrau des Hollywood-Urgesteins Walter Matthau, modelliert hatte. Außerdem endet der Film mit einem Happy-End, im Gegensatz zu Capotes Schrift. Seinem Ingrimm zum Trotz: Die anmutige Baroness-Tochter Audrey wurde 1962 für einen Oscar nominiert.

Gar keinen guten Ausgang nahm hingegen sein ehernes Lebenswerk, mit dem er das neue Genre des Tatsachenromans schuf: „Kaltblütig“ (1965). In diesem Jahr wurden zwei junge Raubmörder durch den Strang hingerichtet. Auf einer Farm in Kansas hatten sie eine ganz normale Familie im Blutrausch erbarmungslos ermordet. Ungeschönter Einbruch des Bösen in eine heile Welt. Der Betrachter bleibt in der Beurteilung der Beteiligten sich selbst überlassen. Ein atemberaubendes, schauriges, grandioses Werk, das nur Abgebrühte filmisch wiedersehen möchten.
Capote zeichnete das Geschehen minutiös auf, sezierte die Seelen aller, schilderte die peniblen Vorbereitungen der Henker. Einer der Delinquenten hofft, „jetzt in eine bessere Welt zu kommen“. Der andere zum Gefängnisgeistlichen: „Ich würde mich gern entschuldigen, aber wo bloß – wo?“
In einen der beiden Mordgesellen hatte sich Capote gar verliebt. Und doch soll er es am Ende, nervlich völlig zermürbt, kaum erwartet haben können, bis sie beide mit gebrochenem Genick baumelten – damit er endlich sein verstörendes Buch fertigstellen konnte. Achttausend Seiten an Notizen. Er interviewte, beobachtete, plauderte mit den Tätern, beutete selbst seine Jugendfreundin Harper Lee (selbst Autorin mit Pulitzer-Preis) eigennützig aus. Nach der Hinrichtung soll Capote zwei Stunden am Straßenrand geweint haben. Ob er sich erbrochen hat, gerade auch über sich selbst, wurde nicht mitgeteilt.
Vertrauen vieler Frauen gnadenlos missbraucht
Gespannt hatte seine Leserschaft auf seinen neuen Roman „Erhörte Gebete“ (1975) gewartet. Das Magazin „Esquire“ berappte seinerzeit unerhörte 25.000 Dollar, verlangte später indes sein Geld zurück. Das Werk wurde nie zu Ende geschrieben. Der Lesewelt mag dadurch viel Verdruss erspart worden sein, denn die Londoner „Times“ charakterisierte das Fragment noch dieser Tage als „schlampig, albern und oberflächlich“. Überhaupt: Seine Kurzgeschichten sanken über die Jahre im Niveau, oft verloren sie sich nach ansprechendem Beginn in eher absonderlichen Windungen. Kein Vergleich zur Güte seiner Zeitgenossen Hemingway oder Steinbeck.
Bereits das als Aperçu gedachte Kapitel „La Côte Basque 1965“ löste Schockwellen aus. Doch die Kugeln – „ich habe mein Buch als Waffe aufgebaut“ – trafen ihn selbst. Was er an Geheimnissen, kaum verschleiert, verraten konnte, das verriet der Kerl. Welche Gesellschaftsgöttinnen hatten was mit Cary Grant und Clark Gable? War die narzisstische Schwester von Jackie wirklich rasend neidisch auf die Präsidentengattin?
Die Damen, die ihm so nahestanden, wurden jedenfalls reihenweise von ihm geteert und gefedert. Die von Capote verabscheute Ann Woodward nahm Zyanid. Sie soll ihren Mann ermordet haben, aber, da die Jury es, wohl zu Recht, als Unfall wertete, ohne Strafe davongekommen sein. War es denn wirklich die Wahrheit, die er niederschrieb? Seine Devise war doch bekannt: „Lass nicht zu, dass die Wahrheit einer guten Geschichte im Weg steht.“
Auch mit Wölfinnen muss man heulen, und sie bleckten mit Recht die Reißzähne: Unmittelbar danach stand Capote ohne Freundeskreis da. Der kleine, witzige Hofnarr hatte ausgedient, fiel der Ächtung anheim. Gloria Vanderbilt: „Das nächste Mal, wenn ich Truman Capote sehe, werde ich ihm ins Gesicht spucken.“ Warum hatte Capote so unerklärlich ehrlos, so bösartig gehandelt? Rache, doch warum? Am Ende für die recht unverhohlene Homophobie seiner USA, unter der er gelitten haben dürfte? Die zweite Hälfte der 1970er-Jahre brachte er in Entzugskliniken zu oder im „Studio 54“.
Freitod durch eine Überdosis Tabletten
In „Baum der Nacht“ erzählt Capote über eine Frau, „dass es keinen Menschen gab, zu dem sie sich flüchten konnte, sie war allein: eine Tatsache, die ihr schon lange nicht mehr zu Bewusstsein gekommen war und deren jähes Gewicht sie betäubte. Hier in ihrer eigenen Wohnung in dieser erstorbenen Stadt gäbe es Dinge, denen sie nicht ausweichen konnte, denen sie – sie erkannte es mit erschreckender Klarheit – keinen Widerstand entgegenzusetzen vermochte.“

Der „Geworfenheit ins Sein“ ist er zunehmend nicht mehr gewachsen. Er trinkt und nimmt Drogen. Er weint, jammert, ist zickig. Als drogenabhängiges Wrack wirkt er in raren Interviews wie ein betrunken Lallender. Ein letztes Aufbäumen wird eine verunglückte Zusammenarbeit mit den Rolling Stones. Keith Richards mochte ihn nicht, vor allem, wenn sich der müde Capote über das dauernde Lärmen und Feiern der Band beschwerte. Der englische Erzähler W. Somerset Maugham bemerkte einst, es sei „sehr schwierig, Gentleman und Schriftsteller zugleich zu sein“. Capote scheiterte daran, ja mehr noch, hatte er doch nicht nur die Upperclass bloßgestellt, sondern auch sein entschwundenes Talent. Am 25. August 1984 – einen Monat vor seinem 60. Geburtstag – setzte Truman Capote, wie es bereits seine Mutter getan hatte, seinem Leben ein jähes Ende. Mit einer Überdosis Tabletten. Schriftstellerrivale Gore Vidal schmähte Capotes Abgang sarkastisch als „klugen Karriereschritt“. Capotes Asche wurde späterhin auf Auktionen verkauft, 2016 in Los Angeles noch für 45.000 Dollar. Laut seiner undurchsichtigen Wohngenossin Joanne Carson soll er es so gewollt haben, weil seine Asche sonst in einem Regal verstaube.
Die „New York Times“ gedachte seiner dergestalt, „dass er es nicht geschafft habe, sich in die Reihe der wirklich großen amerikanischen Schriftsteller einzureihen, weil er seine Zeit, sein Talent und seine Gesundheit für das Streben nach Berühmtheit, Reichtum und Vergnügen vergeudet“ habe.