Petra P. war 31 Jahre nach ihrem Verschwinden wieder aufgetaucht. Doch neben diesem wohl spektakulärsten Vermisstenfall der jüngeren deutschen Vergangenheit gibt es noch viele andere Beispiele.

Werden Menschen vermisst, rechnet verständlicherweise das direkte verwandtschaftliche Umfeld immer mit dem Schlimmsten. Spektakuläre Fälle wie der der Wienerin Natascha Kampusch, die als zehnjähriges Kind gekidnappt wurde und danach 3.096 Tage in Gefangenschaft verbrachte, oder der belgischen Schülerin Sabine Dardenne, deren Martyrium in einem Kellerverlies 80 Tage gedauert hatte, pflegen in den Köpfen der betroffenen Familien herumzuspuken und Gefühle quälender Ungewissheit oder abgrundtiefer Verzweiflung zu erzeugen.
Angst vor Klinikeinweisung
Allerdings gibt es auch eine Reihe spektakulärer Fälle, bei denen Vermisste nach langen Jahren der Absenz urplötzlich mehr oder weniger unbeschadet wieder aufgetaucht waren. So hatte sich beispielsweise Ende 2023 ein britischer Teenager namens Alex Batty, der im Alter von elf Jahren während eines Spanien-Urlaubs verschwunden war, nach sechs Jahren Ungewissheit über sein Schicksal auf einer Polizeiwache in der Nähe von Toulouse wieder wohlbehalten zurückgemeldet. Anfang 2023 konnte im US-Bundesstaat Pennsylvania eine seit dem Jahr 1992 vermisste und zwischenzeitlich als verstorben deklarierte Frau namens Patricia Kopta nach 31 Jahren lebend wieder aufgefunden werden. Aus Angst vor einer Einweisung in eine Klinik hatte sich die unter psychischen Störungen und ersten Anzeichen einer Schizophrenie leidende Frau einfach nach Puerto Rico abgesetzt und war dort schließlich in einem Pflegeheim als Demenz-Patientin eindeutig mithilfe eines DNA-Tests identifiziert worden.

Auch in Deutschland kommt es immer wieder mal vor, das Langzeit-Vermisste zur großen Freude ihres früheren privaten Umfeldes wieder auf der Bildfläche erscheinen. Wobei der Fall der aus Braunschweig gebürtigen Petra P. hierzulande für die größten medialen Schlagzeilen gesorgt hatte. Nicht nur, weil sie ebenso wie Patricia Kopta 31 Jahre lang als vermisst gegolten, sondern auch, weil sie ihre Lebensgeschichte in einem RTL-Interview öffentlich bekannt gemacht hatte, was für die Mehrzahl der anderen wieder aufgetauchten deutschen Vermissten offenbar keine Option gewesen war. Am 26. Juli 1984 war die damals 24-jährige Informatik-Studentin aus ihrem Studentenwohnheim verschwunden. „Ich denke, dass ich schizophren geworden bin. Ich bin in meinen ersten fünf Lebensjahren extrem sexuell missbraucht worden“, so Petra P. im Rückblick bei RTL als mögliche Erklärung für ihre damalige Entscheidung zur endgültigen Trennung von ihrer Familie.
Wahre Identität wurde durch Einbruch bekannt

Ihr Abtauchen wurde von der Polizei schnell als mögliches Gewaltverbrechen eingestuft. Es fand sich sogar ein Verdächtiger, der einen Mord an Petra P. begangen haben wollte. Was allerdings niemals bewiesen werden konnte. 1989 ließen die Eltern ihre Tochter für tot erklären. Dabei war Petra P. putzmunter gewesen. Nach einem letzten Zahnarzttermin hatte sie sich, nur mit dem Allernötigsten und 3.000 D-Mark versehen, im Sommer 1984 zum Braunschweiger Bahnhof aufgemacht, war von dort gen Essen gefahren, hatte sich den Decknamen Susanne Schneider zugelegt und war schließlich über weitere Stationen in Nordrhein-Westfallen in Düsseldorf gelandet. Dort logierte sie völlig zurückgezogen in einer Mietwohnung und verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Nachhilfestunden und als Reinigungskraft. Da sie ihren Personalausweis nicht nutzen wollte, konnte sie weder ein Konto eröffnen noch in Urlaub fahren. Alle Rechnungen wurden bar beglichen. Ihre wahre Identität wurde am 11. September 2015 wegen eines Einbruchs in ihre Wohnung festgestellt. Denn die ermittelnden Beamten bestanden auf die Vorlage ihres Ausweises. Mit ihrer Familie wollte Petra P. auch nach ihrer Enttarnung, die sie selbst als Befreiung empfunden hatte, weil ihr nun Alltägliches wie Arztbesuche oder eigene Kontonutzung möglich waren, keinen Kontakt mehr aufnehmen.

Ähnlich dramatisch war der Fall von Till R. aus Markt Bibart im mittelfränkischen Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim. Der damals 15-Jährige war im September 2017 aus dem Elternhaus verschwunden und hatte sich mit dem Zug auf den Weg zu einer Online-Bekanntschaft ins emsländische Lingen aufgemacht. Dort war er nach einigen Tagen beim örtlichen Jugendamt vorstellig und hatte den Mitarbeitern erklärt, dass er erst wieder zurückkehren werde, wenn eine zufriedenstellende Lösung für das Mobbing, dem er in seiner Schule wegen seiner pummeligen Figur ständig ausgesetzt gewesen sei, gefunden werden könnte. Statt der erhofften Unterstützung erhielt er von den Amtsverantwortlichen ein Rückfahrtticket in die Heimat. Er nutzte einen Halt in Düsseldorf, um sich aus dem Staub zu machen. Danach lebte er in Nordrhein-Westfalen auf der Straße, freundete sich mit Obdachlosen an und landete schließlich in Berlin, wo er sich mit Schwarzarbeit über Wasser hielt. Im Jahr 2019 hatte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gemeinsam mit der Kriminalpolizei Ansbach Ermittlungen wegen eines möglichen Tötungsdelikts gegen Till R. aufgenommen. 2022 wurde der Fall auch in „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ vorgestellt. „In der Sendung wurde nach mir gesucht. Und 5.000 Euro Belohnung ausgesetzt, falls ich gefunden werde. Das war Kopfgeld“, so Till R. Im April 2024 nahm er nach knapp sieben Jahren über ein geliehenes Handy per Whatsapp wieder Kontakt mit seiner Familie auf, weil ihn die wachsende Sehnsucht nach seinem Zuhause zu diesem Schritt veranlasst hatte.
Junge kehrte nicht zu seiner Familie zurück
Ähnlich wie Till R. war auch Amani A., ein 16-jähriges Mädchen aus Rechtenstein im Alb-Donau-Kreis mit syrischen Wurzeln, kurz vor den Sommerferien Ende Juli 2021 auf dem Weg zur Schule angeblich freiwillig untergetaucht. Eine Spaziergängerin hatte wenig später den Rucksack mit Schulutensilien, Geldbeutel und Handy aufgefunden. Als möglichen Grund für das Verschwinden wurden häufigere Streitereien mit dem Vater genannt, von dem offenbar eine Bedrohung für die Familie ausging, weshalb diese aus Sicherheitsgründen sogar in ein anderes Bundesland umgesiedelt worden war. Die Behörden hatten den Fall sehr ernst genommen und daher eine internationale Fahndung samt Suchplakaten an Flughäfen und Bahnhöfen eingeleitet sowie den Fall auch bei „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ vorgestellt. Nachdem der Vater nach Syrien zurückgekehrt war, kehrte die nunmehr 18-jährige Amani A. nach zwei Jahren zu Mutter und Geschwistern zurück und ließ sich mit ihnen wieder im Alb-Donau-Kreis nieder. Aus persönlichen Gründen und zum Schutz der Familie wurden keine weiteren Einzelheiten über den Fall publik gemacht.

Fünf Jahre lang galt Maria-Brigitte Henselmann aus Freiburg als vermisst. Sie war im Alter von 13 Jahren im Mai 2013 in Begleitung eines rund 40 Jahre älteren und aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen stammenden Mannes, den sie im Netz kennengelernt, mit dem sie sich mehrfach in Freiburg getroffen und der sie offensichtlich komplett manipuliert hatte, untergetaucht. Nach einem Aufenthalt in Polen war das ungleiche Paar, bei dem sich der Mann womöglich des sexuellen Missbrauchs und sicher der Kindesentziehung in einem besonders schweren Fall schuldig gemacht hatte, mit dem Fahrrad nach Italien gefahren und hatte dort zuletzt in einer gemeinsamen Wohnung in Sizilien und von Tagelöhner-Tätigkeiten gelebt. Familie und Polizei hatten fieberhaft und auch unter Mithilfe von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ jahrelang vergeblich nach dem Aufenthaltsort von Maria-Brigitte Henselmann gesucht. Letzten Endes meldete sie sich selbst über ein soziales Netzwerk bei ihren Angehörigen, woraufhin sie in Mailand abgeholt wurde und am 31. August 2018 wieder zu ihrer Familie zurückkehrte.
Mit dem im Alter von neun Jahren im Juni 2000 spurlos aus München verschwundenen Jean-Black kongolesischer Herkunft zählte ein weiteres Kind zu den bundesweit bekannt gewordenen Vermisstenopfern. Nach knapp sechs Jahren im Februar 2006 konnte mithilfe der privaten Internetseite „gesuchte-kinder.de“ und unter Mitwirkung eines Sozialarbeiters aus Amsterdam, der auf dem eingestellten Foto den Jungen erkannte wieder aufgefunden werden. Die Umstände des Verschwindens waren mysteriös, sein straffällig gewordener Vater hatte den Jungen eigenen Angaben zufolge nach seiner Verhaftung alleine in einem Schnellimbiss zurückgelassen und danach den Behörden keinerlei Mitteilung über den verschwundenen Sohn gemacht. Erst im Dezember 2001 wurde der Fall aktenkundig. Die daraufhin sofort eingeleiteten Ermittlungen ergaben, dass das Kind schon im Juni 2000 in Begleitung eines Unbekannten per Bahn nach Den Haag gefahren war und dort von der örtlichen Polizei in die Obhut der Jugendfürsorge übergeben worden war. Nach einem Treffen mit seinen Eltern brachte der 15-Jährige seinen Wunsch zum Ausdruck, nicht mehr zu seiner Familie zurückkehren, sondern lieber in seinem neuen Umfeld und bei seinen Bekannten in den Niederlanden bleiben zu wollen.