Nina Meinke erfüllt sich endlich den Traum vom WM-Titel. Und das nicht irgendwie, sondern in einem packenden Zwölf-Runden-Kampf. Der soll auch der Gleichberechtigung im Boxsport dienen.

Der Anblick bei der Urteilsverkündung war nichts für schwache Nerven. Bei Nina Meinke lief vom Haaransatz bis zum Kinn ein Rinnsal Blut über das Gesicht, auch ihre argentinische Gegnerin Daniela Bermudez war nach zwölf hart umkämpften Runden sichtlich gezeichnet. Und selbst Ringrichterin Karoline Pütz sah von der „Blut-Schlacht in Hamburg“, wie die „Bild“-Zeitung später titeln sollte, reichlich mitgenommen aus: Ihr blaues Hemd war blutverschmiert. Doch einen Schönheits-Wettbewerb wollte ja auch keine der Beteiligten des WM-Kampfes im Federgewicht gewinnen, am allerwenigsten Meinke.
Sie war zu ihrem 22. Profikampf einzig mit dem Ziel angetreten, sich endlich zur Weltmeisterin zu küren. Als die Ringrichterin dann bei der Urteilsverkündung im Ring ihren Arm in die Höhe hielt und das Publikum lautstark jubelte, sank die Berlinern überwältigt von ihren Gefühlen auf die Knie. Nach all den Jahren harter Arbeit und zahlreicher Rückschläge war sie endlich am Ziel ihrer Träume angekommen.
„Alles, worauf ich hintrainiert habe, ist heute in Erfüllung gegangen. Meine Emotionen schwappen über. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll – alles kommt auf einmal“, sagte die 31-Jährige dem übertragenden Sender DAZN nach dem Punktsieg. Das Dauergrinsen ging ihr später gar nicht mehr aus dem Gesicht. „Es war genial“, sagte Meinke über den in gleich mehrerer Hinsicht größten Kampf ihrer Karriere: „Es hat so viel Spaß gemacht. Ich bin einfach unglaublich glücklich.“
Einer der ersten Gratulanten war Sven Ottke, der den Kampf am Ring nicht nur interessiert, sondern auch höchst emotional mitverfolgt hatte. Kein Wunder: Der Ex-Weltmeister ist Meinkes Patenonkel – und als solcher litt er während des intensiven Fights mächtig mit. „Zuzusehen ist für mich die Hölle. Nina ist wie mein eigenes Kind“, sagte der 57-Jährige. Seine Nichte hätte gerade am Ende des Kampfes, als sie auf den Zetteln der Punktrichter schon vorne lag, „den Ottke machen müssen“, wie der frühere Defensiv-Boxer sagte. Also: Deckung hoch, mit viel Beinarbeit, taktisch zurückziehen, mit schnellen Fäusten kontern. „Aber Nina muss halt immer reinknallen“, sagte Ottke: „Das macht mich fertig.“
Ungeachtet des konträren Stils ist Ottke einer von Meinkes boxerischen Vorbildern. „Ich war ja damals schon als kleines Kind live bei seinen Kämpfen dabei“, sagte sie. Dass sie nun genau wie damals ihr berühmter Onkel den WM-Gürtel des Verbandes IBF trägt, macht sie zusätzlich stolz. Doch es gibt etwas, das den WM-Sieg noch größer macht: Meinke erkämpfte ihn sich in ihrem ersten Zwölf-Runden-Fight überhaupt. Die bei Männern übliche Distanz ist bei Frauen-Kämpfen noch eine absolute Ausnahme. Auch deshalb zollte Ex-Weltmeisterin Regina Halmich ihrer Nachfolgerin als Nummer eins im deutschen Frauen-Boxen via Social Media ihren größten Respekt: „Ich gratuliere und verneige mich vor Dir, neue Weltmeisterin.“
Meinke war bei ihrem Titelkampf auch auf einer Mission, die das gesamte Frauen-Boxen betrifft. „Wir Frauen haben gezeigt, dass wir das Gleiche schaffen können wie die Männer“, sagte sie. Und das nicht irgendwie, sondern auf sportlich hohem Niveau. „Wir reden alle von Gleichberechtigung. Und wenn man irgendwann die gleichen Gagen und Gleichberechtigung möchte, dann müssen wir auch die gleiche Zeit boxen. Ich sehe da nichts, was dagegenspricht“, sagte „The Brave“ (die Mutige), wie sich Nina Meinke nennt. Ihr Dank galt auch Gegnerin Bermudez, die die Niederlage nach zwölf Runden mal drei Minuten akzeptierte. Meinke will bei ihrer Titelverteidigung daran festhalten – wohlwissend, dass dafür aktuell nicht viele Herausforderinnen infrage kommen. „Ich denke, wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir es auch schaffen. Aber da müssen auch die anderen Frauen mitmachen.“ Sie selbst ist auf den Geschmack gekommen und möchte nicht mehr zurück zur bei Frauen üblichen Distanz von zehn Runden. „Ich möchte weiter an dieser Bewegung festhalten und bin sehr stolz darauf, jetzt auch Vorreiterin in Europa zu sein.“
Warten auf den Titel fiel schwer
Meinke hat aber auch am eigenen Leib erfahren, wie anstrengend diese Umstellung ist. Eigentlich hätte sie schon Anfang März in Puerto Rico gegen die damalige Vierfach-Weltmeisterin Amanda Serrano über zwölf Runden um die IBF-Krone boxen sollen. Der Kampf platzte in letzter Sekunde wegen einer angeblichen Augen-Entzündung Serranos, doch die erste Vorbereitung auf die längere Distanz half Meinke nun erheblich. „Damals bin ich wirklich durch die Hölle gegangen im Trainingslager. Dieses Mal war es schon etwas besser, mein Körper hat sich etwas daran gewöhnt“, erklärte sie. Das Warten auf den Titel fiel ihr dagegen schwerer.
Nachdem der Fight gegen Serrano geplatzt war, habe sie „keine einfache Zeit“ erlebt, gab Meinke zu: „Als es nach Deutschland zurückging, bin ich in ein Loch gefallen.“ Die Hoffnung auf ein neues Duell im Sommer zerschlug sich irgendwann auch, „da bin ich wieder in ein Loch gefallen“. Erst als Serrano den IBF-Gürtel niederlegte, um sich auf den Rückkampf gegen die Irin Katie Taylor im November vorzubereiten und in eine höhere Gewichtsklasse aufzusteigen, hellte sich ihre Stimmung merklich auf. Denn Meinke und Bermudez durften nun um den vakanten Titel kämpfen. Dieses Mal sollte alles glatt laufen. Denn die Absage im März war nicht ihr erster Rückschlag auf dem Weg zum Box-Thron. Zuvor hatte sie in den WM-Kämpfen gegen Sarah Mahfoud (2022) von den Faröer Inseln und gegen Landsfrau Elina Tissen (2018) zwei schwere Niederlagen eingesteckt.

„Aber Nina ist immer wieder aufgestanden“, sagte ihr Trainer Kay Huste: „Wir haben weitergearbeitet, uns weiterentwickelt, und so langsam kommen die Früchte.“ Es wurde aber auch Zeit, findet Meinke. Denn als Boxerin habe man „nur ein gewisses Zeitfenster“. In ihrem Alter knapp über 30 habe man immer „das Gefühl, jetzt wird es eng“ mit der Karriere. Zumal sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft fühlt. „Ich sehe mich jetzt in der besten Phase. Ich fühl mich gut, das Team, das Umfeld – alles passt.“ Dass sie trotz vieler Rückschläge immer an die Erfüllung ihrer Ziele geglaubt und nicht vom Weg abgewichen ist, beeindruckt ihren Trainer, mit dem sie seit acht Jahren zusammenarbeitet. Genau wie ihre boxerischen Qualitäten. „Sie ist perfekt ausgebildet, eine sehr gute Boxerin, sehr schnell, sie hat ein gutes Auge. Und vor allem, wenn sie locker im Kopf bleibt, ist sie schwer zu fassen“, sagte Huste.
Und dass Meinke auch große Nehmer-Qualitäten hat, bewies sie gegen Bermudez. Bereits in der zweiten Runde erlitt sie nach einem Zusammenprall der Köpfe einen Cut am Haaransatz. „Das hat mich am Anfang irritiert, mir ist die ganze Zeit Blut in die Augen gelaufen, und dann habe ich verschwommen gesehen“, berichtete sie. Die Wunde wurde nach dem Kampf noch in der Kabine mit vier Stichen genäht. Die Narbe wird sie immer an den Abend erinnern, aber das ist Nina Meinke nur recht. „Das war richtig hart, aber so muss es sein. Das war ja ein WM-Kampf“, sagte ihr Trainer, der mit der Boxerin viele „Höhen und Tiefen“ erlebt hat. „Jetzt sind wir auf dem Kirchturm!“, frohlockte er.