McLaren ist mit zuletzt zwei Siegen das Team der Stunde in der Formel 1. In der Markenwertung haben sie die Bullen abgehängt. In der Fahrer-WM knabbern Lando Norris und Oscar Piastri an den WM-Punkten des seit sieben Rennen sieglosen Champions Max Verstappen. Wir blicken zurück und nach vorn auf aktuelle Ereignisse.
Beim Grand Prix von Aserbaidschan hat sich bestätigt, was FORUM in seiner letzten Formel 1-Story orakelte: „In Baku kann McLaren bereits Red Bull die Führung in der Marken-Wertung abknöpfen. Und das wäre dann ausgerechnet am Kaspischen Meer, wo in den vergangenen drei Jahren die Konkurrenz baden ging, und die Bullen ganz oben auftauchten: Sergio Perez (2021, 2023) und Max Verstappen (2022), hieß es in der F1-Geschichte „Alarm bei den Bullen“ (Ausgabe vom 13. September 2024). Und so kam es dann auch, das „FORUM-Orakel für Baku“ ist wahrgeworden.
Red Bull schreibt Team-Wertung bereits ab
Der sechsmalige und (noch) aktuelle WM-Rennstall Red Bull ist nach dem 17. von 24 WM-Läufen nicht mehr Spitzenreiter in der Team-/Marken-/oder auch Konstrukteurs-Wertung. McLaren hat mit Baku-Sieger Oscar Piastri und Platz vier seines britischen Teamkollegen Lando Norris die WM-Teamführung übernommen. 847 Tage hat die Bullen-Serie angehalten. Seit dem 22. Mai 2022 (nach dem GP von Spanien) stand Red Bull ununterbrochen an der Spitze der Konstrukteurs-Wertung. Am 15. September 2024 fand diese Regentschaft beim Baku-GP dann vorerst ein Ende. Die McLaren-Piloten Norris und Piastri stießen mit ihrer Punkteausbeute in den letzten Rennen die Bullen (vorerst) von ihrem Konstrukteurs-Thron. Um das Baku-Podium zu komplettieren: Ferrari-Star Charles Leclerc, der bei der Zeitenjagd zum vierten Mal in Folge den ersten Startplatz eroberte, konnte die Poleposition aber nicht wie zuvor in Monza in einen Sieg ummünzen. Der Monegasse wurde in einer wahren 30-Runden-Abwehrschlacht auf Distanz gehalten.
In dem bis zur 50. und vorletzten Runde ereignisarmen WM-Lauf kam es dann noch zum großen Knall. Bulle Sergio Perez lieferte sich ein enges Duell mit Leclerc um Platz zwei. Dann krachte es. Der Mexikaner knallt in den Ferrari von Carlos Sainz, beide Fahrer rauschten in die Mauer, konnten aber glücklicherweise unverletzt ihren völlig demolierten Autos entsteigen. Hinterher gaben sich Sainz und Perez gegenseitig die Schuld. Nutznießer dieses Perez-Sainz-Unfalls war Mercedes-Pilot George Russell. Der Sternfahrer durfte sich als Dritter auf das Podium gesellen und unverhofft 15 WM-Punkte abstaubten. Sein Teamkollege Lewis Hamilton, als 19. aus der Boxengasse gestartet, schaffte es noch auf Rang neun und zwei WM-Punkte.
Einen Negativrekord „im Land des Feuers“, wie Aserbaidschan auch bezeichnet wird, stellte Nico Hülkenberg auf. Der einzige deutsche F1-Pilot in Diensten des US-Rennstalls Haas hatte es verpasst, im Rennen erneut in die Punkte (bis Platz zehn) zu fahren. Damit stellte der 37-Jährige aus Emmerich vom Niederrhein eine Negativ-Serie auf. Denn bereits zum siebten Mal in der aktuellen Saison landete der Haas-Fahrer auf Platz elf. Diese bittere Bestmarke hatte zuletzt der Italiener Michele Alboreto inne, der 1992 sechsmal auf Rang elf die Grand Prix-Rennen beendete.
Zurück in die Gegenwart. Acht Tage nach Baku triumphierten erneut die Papayagelben. Diesmal war es Lando Norris, der in der Hitze der Nacht von Singapur kühlen Kopf bewahrte und von Startplatz eins neben Max Verstappen ganz entspannt zum Sieg „flog“. Sein dritter Saisonsieg und gleichzeitig auch der dritte Triumph in seiner F1-Karriere war einer mit Extraklasse. Mit 20,9 Sekunden Vorsprung auf Verstappen kreuzte der McLaren-Brite die Ziellinie. Als Zweitplatzierter hat der Red Bull-Chefpilot in dieser „zermürbenden Hitze“ (Sky-Kommentator Sascha Roos) nach sieben sieglosen Rennen quasi Schadensbegrenzung betrieben. Dritter wurde in dieser „Mutter aller Nachtrennen“ (seit 2008) McLaren-Jungstar Piastri. Mercedes-Pilot George Russell kam als Vierter vor Charles Leclerc (Ferrari/Fünfter) und seinem Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton ins Ziel. Hülkenberg baute seinen Negativrekord nicht aus, der 37-Jährige beendete den Nacht-GP mit zwei WM-Punkten als Neunter.
Nachdem Norris in den letzten Rennen in ganz großen Schritten auf WM-Rivale Verstappen aufholte, konnte er den Abstand in der Fahrer-WM in Singapur nur um sieben Zähler schmälern.
Mit 52 Punkten Vorsprung (331:279) kann es sich der Weltmeister in seiner Komfortzone noch bequem machen. Zur Erinnerung: Verstappens Vorsprung auf Norris war nach seinem letzten Sieg in diesem Jahr in Spanien auf 69 Punkte (219:150) angewachsen. Sechs Grand Prix inklusive drei Sprintrennen bleiben Norris noch, um die 52 Zähler von Verstappen zu knacken, um mit ihm gleichzuziehen. Mitsamt schnellster Rennrunden sind noch 183 WM-Punkte einzufahren. Wird Verstappen immer Zweiter, kann Norris nicht viel machen, Bulle Max wäre zum vierten Mal Weltmeister. Sein Abstand zum WM-Dritten Leclerc beläuft sich schon auf 86 WM-Punkte (331:245). Im Kampf um den Konstrukteurs-Pokal führt McLaren jetzt mit 39 Punkten vor Red Bull (516:475). Auf die Frage, ob Bullen-Sportdirektor Helmut Marko (81) die Konstrukteurs-WM für seinen Rennstall schon abgeschrieben habe, antwortet der Doktor der Rechtswissenschaften bei Sky schnörkellos: „Ehrlich gesagt, ja.“ Sky-Experte Ralf Schumacher geht sogar noch weiter: „Ich glaube, dass Red Bull maximal Dritter in der Teamwertung wird, Ferrari hat ein gutes Auto, es wird eng für Red Bull, Platz zwei in der Teamwertung zu halten.“ Die Italiener sind aktuell WM-Dritter (441) vor der abgeschlagenen Mercedes-Mannschaft (329).
Hülkenbergs trauriger Rekord
Bleiben wir bei Red Bull und dessen Schwesternteam Racing Bulls. Toro Rosso und AlphaTauri, diese Bezeichnungen waren gestern, Racing Bulls ist heute. Und Daniel Ricciardo war gestern. Für den 35-jährigen Australier war der Singapur-GP sein vorerst letztes von 257 Rennen seiner F1-Karriere. Die Vögel zwitscherten seinen Abgang schon zuvor von den Dächern im Fahrerlager. Die Teamleitung bei den Bullen hat eine kurze Zündschnur. Wer nicht liefert, wird geliefert. Wer keine Leistung bringt, wird gnadenlos ausgetauscht. Schon bei dem nächsten Rennen in den USA (20. Okt.) wird Ricciardo durch den 22 Jahre jungen Neuseeländer Liam Lawson aus dem Bullen-Nachwuchskader ersetzt. Dem achtmaligen GP-Sieger wird noch nicht einmal vergönnt, seine wohl letzte F1-Saison zu Ende zu fahren. Derzeit ist der Publikumsliebling 14. der Fahrerwertung (zwölf WM-Punkte). In seiner 14-jährigen Formel 1-Karriere seit seinem F1-Debüt beim GP Großbritannien 2011 hat der „ Aussie“ aus Perth unzählige Fan-Herzen erobert, sei es als er für die Teams HRT, Toro Rosso, Red Bull, Renault, McLaren oder nach seiner Rückkehr Mitte der Saison 2023 im Junior-Team der Bullen, für das er schon 2012 und 2013 unterwegs war.
Zu guter Letzt verabschiedete sich der sympathische und ewige Dauergrinser mit schneeweißen Zähnen mit der schnellsten Rennrunde. Damit klaute er Lando Norris den Extra-Punkt und leistete seinem Ex-Teamkollegen Verstappen noch wichtige Schützenhilfe im Meisterkampf. Dieser bedankte sich am Funk mit den Worten „Gut gemacht, Daniel“, artig beim „Honeybadger“ (deutsch: Honigdachs), wie der Aussie auch genannt wird. Ricciardo gesteht sich ein, dass er 2024 mit den jüngeren Konkurrenten nicht mehr mithalten kann: „Es fiel mir einfacher als ich 25 war und nicht 35. Aber vielleicht ist die Konkurrenz auch stärker geworden und es ist wahrscheinlich eine große Aufgabe für mich, Woche für Woche auf diesem Niveau zu kämpfen.“ Der in Papaya gekleidete McLaren-Pilot Lando Norris, mit 24 Jahren elf Jahre jünger als Ricciardo, hat seinem Team mit seiner Machtdemonstration bei der Nachtshow auf dem Marina Bay Street Circuit seit 2009 wieder einen Sieg im asiatischen Stadtstaat beschert. Die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ schrieb: Das orangefarbene Raumschiff beherrschte auch die Dunkelheit und tummelte sich konkurrenzlos in der Bucht von Singapur.
Verfahren gegen Verstappen
Reichlich Action gab es auch neben der Strecke. Ein englisches Schimpfwort erregte die Gemüter. In der offiziellen Pressekonferenz des Automobil-Weltverbandes FIA hat Max Verstappen das verkorkste Set-up seines Autos in Baku mit dem Wort „fucked“ beschrieben. Wegen seiner hemmungslosen Äußerung ist der Bullen-Pilot prompt ins Visier der FIA-Kommissare geraten. Die FIA leitete wegen der unglücklichen Ausdrucksweise ein Verfahren ein. Konsequenz: Die hohe Institution verdonnerte Verstappen zu gemeinnütziger Arbeit, was zum Beispiel die Teilnahme an Steward-Seminaren oder einen Aushilfsdienst in der Rennleitung bedeutet. Ausgelöst hatte die Debatte ein Vorstoß von „Moralapostel“ FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem, der die Piloten aufforderte, künftig mehr auf die Wortwahl zu achten. Dabei ging es dem Verbandschef hauptsächlich um unflätige Funksprüche im Cockpit (zu vermeiden). Zur Erklärung: „Fuck“ oder „fucking“ stammt aus dem Englischen und wird oft mit „verdammt“, „zum Teufel“ oder „scheiß…“ übersetzt, wobei allerdings nur letzterer Ausdruck einem ähnlich vulgären Sprachgebrauch entspricht. Verstappen hat sogar mit einem Rücktritt aus der Formel 1 gedroht. „Diese Art von Dingen entscheiden definitiv auch über meine Zukunft, wenn man nicht man selbst sein kann oder mit diesen dummen Dingen umgehen kann“, haderte der Weltmeister. Ich bin in einer Phase meiner Karriere, in der man sich nicht ständig mit solchen Dingen beschäftigen will.“ Die anschließende Pressekonferenz wurde daraufhin zur Farce. Für Lewis Hamilton ist das Vorgehen der FIA „ehrlich gesagt ein Witz. Das ist die Königsklasse des Sports. Fehler werden gemacht. Ich würde das mit Sicherheit nicht machen. Ich hoffe, dass Max das nicht macht.“ Lando Norris findet das Ganze „ziemlich unfair. Ich bin mit all dem nicht einverstanden.“
Der rastlose und manchmal auch ratlose Zirkus legt eine knapp vierwöchige Verschnaufpause ein. Am 20. Oktober startet er mit einem Dreierpack in Austin/USA in die heiße Phase der Meisterschaft. Bis dahin werden sich die erhitzten Gemüter beruhigt haben.