In wenigen Wochen wird in den USA gewählt. Schon jetzt legen Republikaner und Demokraten die Grundsteine, um die Integrität der Wahl zu sichern – jeder auf seine Weise.

Die Integrität einer demokratischen Wahl ist einer der wichtigsten Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Daran gab es in den USA auch nie Zweifel – bis Donald Trump kam. Der 6. Januar 2021 markiert einen Wendepunkt. Aufgestachelt von Trump zogen mehrere Tausend seiner Anhänger zum Kapitol, dem Sitz von Senat und Repräsentantenhaus, demonstrierten zunächst, rissen dann die Barrikaden nieder, überwältigen die Capitol Police und drangen ins Gebäude ein. Da sollte der zu jenem Zeitpunkt amtierende Vizepräsident Mike Pence die Wahl von Joe Biden zum 46. Präsidenten der USA bestätigen. Ein ritueller Akt, der von Dutzenden Gewalttaten, von einem erschossenen Polizisten und vier getöteten Demonstranten, 140 schwer verletzten Sicherheitsleuten sowie zahlreichen Prozessen zutiefst verändert wurde.
Anwaltsteams auf beiden Seiten
So etwas soll sich nicht wiederholen. Am 6. Januar 2025 sitzt erneut traditionell die amtierende Vizepräsidentin dem Haus vor, das die Wahlleute für den 47. Präsidenten – oder die Präsidentin – zertifiziert: Kamala Harris, selbst Kandidatin gegen Donald Trump. Und erneut fragt sich das Land, wie die Wahl enden wird, ob sich gar die Ereignisse vom Januar 2021 wiederholen. Denn beide Seiten rüsten sich, die „Integrität der Wahl“ zu gewährleisten. Die Methoden sind jedoch ganz unterschiedlich.
Bei den Demokraten dreht sich alles darum, das Wählen zu vereinfachen. Da der Wahltag in den USA traditionell ein Wochentag ist, der erste Dienstag im November, müssen sich Menschen oft freinehmen, um zu wählen – stundenlanges Anstehen vor dem Wahllokal inklusive. Früheres Wählen und die Briefwahl wären also Möglichkeiten, um auch auf Menschen Rücksicht zu nehmen, die es sich aus finanziellen Gründen überlegen, überhaupt an diesem Tag wählen zu gehen. Das Ausweiten des Wählens erweckt das Misstrauen der Republikaner. Gerüchte, die Demokraten würden sogar illegalen Migranten das Wählen erlauben, um im November die Wahl zu gewinnen, werden nicht zuletzt von Donald Trump und dessen Unterstützern gestreut. „Millionenfach“ würden Demokraten diese in die USA hereinlassen und ihnen Bürgerstatus verleihen – die Grundvoraussetzung, um in den USA wählen zu dürfen. Aus Dankbarkeit dafür würden sie demokratisch wählen. Dies verbreitete unter anderem Elon Musk, einer von Trumps einflussreichsten Unterstützern, auf seinem Kurznachrichtendienst X an seine fast 200 Millionen Follower. Eine Anschuldigung, die jeglicher Grundlage entbehrt.
Auch das sogenannte „early voting“, das Wählen vor dem 5. November, und die Briefwahl werden von den Republikanern als anfällig für Fälschungen angezweifelt. Und selbst das Wählen am Wahltag soll möglichst unangenehm sein: So hat der republikanisch regierte Bundesstaat Georgia ein Gesetz erlassen, wonach es illegal ist, wartenden Menschen vor den Wahllokalen etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Das Gesetz verkürzt unter anderem die Zeit für die Beantragung von Briefwahlunterlagen. Georgias Innenminister Brad Raffensperger jedoch lobte das Gesetz, denn es erhöhe gar die Zahl der Tage, in denen das „early voting“ stattfinden kann. Doch am Wahltag drohen Verzögerungen in Georgia: Drei von fünf Mitgliedern der Wahlkommission des Bundesstaates gehören nach Recherchen mehrerer US-Publikationen zu den „Election Deniers“: Menschen, die von Donald Trumps zigfach widerlegter Lüge der verlorenen Wahl 2020 überzeugt sind. In einer seiner Wahlkampfreden in diesem Jahr hatte Donald Trump die drei deshalb explizit gelobt. Jene Kommissionsmitglieder setzten kürzlich mit ihrer Mehrheit und trotz des Widerstandes von Wahlhelfern durch, dass noch in der Wahlnacht die abgegebenen Stimmen von Hand nachgezählt werden müssen. Der Staat muss nun neue Wahlhelfer dafür einstellen. 2020 wurden in Georgia fünf Millionen Stimmen für die Präsidentschaftswahl abgegeben, die Joe Biden mit knapper Mehrheit für sich verbuchte. Obwohl das Auszählen von Hand in vielen Staaten, auch in Deutschland, üblich ist, ist es in den USA kaum verbreitet – dort übernehmen diesen Schritt Zählmaschinen.
Doch nicht nur die Wähler stehen im Fokus der Versuche, das Wahlsystem noch vor dem 5. November zugunsten der Republikaner zu beeinflussen. Die meisten Staaten gehen nach dem „Winner-takes-it-all“-Prinzip vor, das heißt, der Gewinner der meisten Stimmen erhält auch alle Wahlmännerstimmen. Nicht so Maine und Nebraska, diese beiden Bundesstaaten splitten ihre Wahlmännerstimmen auf. Präsident Joe Biden gewann in Nebraska den 2. Distrikt im Jahr 2020 und damit eine von fünf Wahlmännerstimmen des Staates. Trump gewann 2016 alle fünf. Der 2. Distrikt erhielt den Beinamen „der blaue Punkt“ im ansonsten tiefroten Nebraska im Jahr 2008, als Barack Obama ihn gewann. Dass sich dies 2024 wiederholt, versuchten republikanische Abgeordnete in Nebraska nun kurz vor der Wahl noch zu verhindern: Vor wenigen Wochen wollten sie mithilfe ihrer Mehrheit in der Legislatur das „Winner-takes-it-all“-Prinzip einführen. Weil jedoch einer der wichtigsten republikanischen Unterstützer des Gesetzes, Senator Mike McDonnell, seine Stimme änderte, wird das Stimmensplitting nun nicht mehr kurzfristig geändert, berichtet der „Nebraska Examiner“.
Studie gibt Anlass zur Besorgnis
In zwei Drittel aller US-Bundesstaaten wurden bis heute Gesetze erlassen, die die Wahlprozedur erschweren. So hat Louisiana beispielsweise einzelne Schritte wie die Unterstützung beim Ausfüllen eines Wahlzettels für behinderte Menschen unter Strafe gestellt, wenn der Wahlhelfer mehr als einer Person helfen sollte. Schon jetzt treffen sich Anwaltsteams beider Parteien regelmäßig vor Gericht, um strittige Fragen zum Wahlprozedere zu klären. Doch selbst wenn gerichtlich Streitigkeiten beigelegt werden können – politisch bleibt die bange Frage, ob am Ende alle Wahlkommissionen ihre Wahlen zertifizieren und die Wahlfrauen und -männer der einzelnen Staaten ihrer Pflicht nachkommen.
Denn das Zertifizieren einer Wahl galt als Aufgabe, die nicht nach eigenem Ermessen erfolgte, sondern zu den Pflichten der Kommission eines Wahldistriktes gehörte. Dabei geht es vor allem darum, den Prozess des Auszählens abzuschließen – nicht darum, festzustellen, ob alles korrekt ablief. Dafür sind in der Regel US-Gerichte zuständig. Doch diese Zeiten sind vorbei. Trump rief 2020 persönlich Aufsichtsgremien an, in Georgia beispielsweise Innenminister Brad Raffensperger, mit der Absicht, die Zertifizierung aufzuhalten. Seither säte Trump immer wieder Zweifel an dem Verfahren. Mehrere Fälle, in denen sich seither Wahlhelfer tatsächlich weigerten, eine Wahl zu zertifizieren, sind unter anderem aus Georgia und Pennsylvania bekannt, beides wichtige Swing States. Doch auch in anderen Bundesstaaten könnte dies passieren, da die „Grand Old Party“ (GOP) seit vier Jahren gezielt versucht, eigenes Personal in die entsprechenden Wahlkommissionen zu bugsieren – vor allem jene, die die Trump-Lüge einer gefälschten Wahl unterstützen.

Ist die Zertifizierung umstritten, könnte ein mehrheitlich republikanisch kontrollierter Bundesstaat eigene Wahlleute bestimmen, die nach Belieben der Partei und nicht nach dem Wählerwillen abstimmen. 1876 trafen zuletzt konkurrierende Wahlmänner in Washington aufeinander, weil der Ausgang der Wahl in einigen Staaten für Unklarheiten sorgte. Eine gemeinsame Kommission aus Republikanern und Demokraten löste damals die Probleme. Dennoch waren auch 2020 einige Staaten bereit, illegal Elektoren nach Washington zu schicken, die nach dem Wunsch Trumps abstimmen sollten. Jene Personen aus Arizona, Georgia, Pennsylvania, Michigan, Nevada, New Mexico und Wisconsin, gegen die teils Strafprozesse laufen, tauchten auf dem diesjährigen GOP-Parteitag auf. Der Ex-Abgeordnete Adam Kinzinger, der die Republikanische Partei mittlerweile verlassen hat, sagte, die Wahllüge werde „mittlerweile zur Eintrittskarte in die Partei“. Eine Lüge, für deren Wiederaufleben Trump im November wieder sorgen wird, wenn er die Wahl gegen Harris verliert.
Ein Bericht des World Justice Project, einer internationalen Gruppe, die die Rechtsstaatlichkeit in verschiedenen Ländern bewertet, enthält dazu einige überraschende Erkenntnisse. Fast die Hälfte der republikanischen Befragten, 46 Prozent, sagten, sie würden Wahlergebnisse nicht als legitim anerkennen, „wenn der Kandidat der anderen Partei siegen würde“. Darüber hinaus erklärten 14,2 Prozent, sie würden „Maßnahmen ergreifen, um Wahlergebnisse zu kippen“. Die Art dieser Maßnahme aber wurde nicht näher spezifiziert.