Jedes Jahr im Oktober trifft sich die Gastro- und Spirituosenbranche zum Bar Convent in Berlin. Dass nun auch ein Spirituosen-Wettbewerb stattfindet, ist einer Berliner Destillerie zu verdanken.

Markus Haas mag gute Geschichten. In einer dieser Geschichten geht es darum, wie er selbst einem Mann eine Geschichte erzählt hat, ohne zu wissen, mit wem er redet. Dem Mann ist er auf einer Spirituosen-Messe in Wien begegnet. Das ist zwar schon zwei Jahre her, aber Markus Haas erinnert sich noch gut an die Frage, die der Mann ihm gestellt hat, nachdem er die Gin-Flaschen von Haas’ Firma AASpirits am Stand betrachtet hatte: „Warum soll ich hier bei Ihnen den zweitausendsten Gin probieren?“ Anders formuliert: Der Spirituosenmarkt wird mit Gin überflutet, warum sollte mich ausgerechnet dieser hier interessieren? Die Geschichte, die Markus Haas dem Mann dann erzählt hat, begann 2017 rund 700 Kilometer weiter entfernt – im Berliner Bezirk Reinickendorf.
Klaus Hagmann Perfekter Partner für die Umsetzung
In der Aroser Allee hatte der gelernte Winzer vor sieben Jahren die Weindimensional GmbH gegründet. Spirituosen auf den Markt zu bringen, war nicht der Plan. „Dann haben wir aber in einem alten Buch, das wir zufällig in die Hand bekommen haben, ein Gin-Rezept entdeckt“, erzählt Markus Haas. Es sei schnell klar gewesen, dass man dieses Rezept ausprobieren wolle. Und es sei auch von Anfang an klar gewesen, wo destilliert werden sollte: im ehemaligen Kesselhaus ein paar Meter vom Weindimensional-Büro entfernt. In dem 1908 erbauten, denkmalgeschützten Backsteingebäude befand sich einst die Luxus-Papierfabrik Albrecht & Meister, später gehörte es zu einem Industrieareal der AEG. Heute wird das imposante Gebäude vom benachbarten Victor’s Residenz-Hotel Berlin-Tegel als Eventlocation genutzt.
Man sei sich schnell einig geworden, im historischen Kesselhaus die Destille unterzubringen. Ein wundervoller Ort, um Gin herzustellen, erklärt Markus Haas – nicht nur wegen des faszinierenden Gebäudes. Der historische Bau steht an der Ecke Holländer Straße/Aroser Allee. Das habe ihn an das niederländische „Vorläufergetränk“ des Gins, den Genever, erinnert, sagt Haas. Das habe sich alles „irgendwie passend angefühlt“.
Geschützter Markenzusatz

So viel Ahnung wie von Wein hatten Markus Haas und sein Team von Gin allerdings nicht. Also auch keinen echten Plan, wie aus einem alten Rezept ein neues Produkt werden könnte. Also hat man sich mit einem Mann zusammengesetzt, der wie kaum ein anderer in Deutschland weiß, was einen guten Gin ausmacht und wie man ihn herstellt: mit dem Master Distiller Dr. Klaus Hagmann. Auch daran kann sich Markus Haas noch sehr gut erinnern. Es war der 14. Januar 2018, als man mit Klaus Hagmann zusammensaß und probierte. Es sei schnell klar gewesen, dass man am alten Rezept etwas arbeiten müsse.
„Wichtig war, dass man den Gin auch pur genießen kann, nicht nur als Bestandteil eines Cocktails, also einfach in einem großen Glas mit Eis“, sagt Haas. Der Anspruch war von Anfang an: Es soll ein hochwertiger Gin sein; einer, der für sich steht. AASpirits wurde gegründet. Die ersten beiden Buchstaben stehen für den Firmensitz: die Aroser Allee. Weil der Standort der Destille in einem Gebäude aus der Belle Époque ist, wurde das Etikett in entsprechendem Stil gestaltet. Bevor der erste Gin abgefüllt werden sollte, ging aber noch etwas Zeit ins Land.
Für einen besonderen Gin braucht man auch eine besondere Brennblase, habe man sich gedacht, erinnert sich Haas. Auch dabei war Klaus Hagmann behilflich. In der Justizvollzugsanstalt im baden-württembergischen Kapfenberg wurde eine Anlage stillgelegt. Klinge komisch, dass in einem Gefängnis, wenn auch im offenen Vollzug, Alkohol produziert werde, aber so sei das nun mal gewesen, erzählt Markus Haas. So kam AASpirits an eine von Hand gehämmerte Brennblase. Das Problem: Die Destille wurde mit Holz befeuert. Holzfeuer in der historischen Papierfabrik? Da erhoben sowohl der Brand-, also auch der Denkmalschutz Einspruch. „Wir mussten umbauen: alter Kern, modern ergänzt“, sagt Haas. Das habe man „liebevoll von der Traditionsfirma Carl“ erledigen lassen.

„In dieser 150-Liter-Kupferbrennblase, die wir mit 120 Litern füllen, destillieren wir langsam und schonend. Dabei werden die Aromen durch die von Hand gehämmerte Oberfläche der Brennblase auf besondere Weise intensiv verwirbelt und erlauben die Freisetzung selbst feinster Aromen“, erklärt Haas.
Destilliert wird unter anderem mit Weizen und Wacholder, frischem Ingwer, Grapefruitschalen, schwarzen Johannisbeeren, Kardamom und diversen Botanicals. Nachdem fertig destilliert ist, wird der Gin „mit Berliner Wasser“, wie Haas betont, auf die passende Alkoholstärke verdünnt. Wobei AASpirits in eine eigene Wasseraufbereitungsanlage investiert hat.

An Weihnachten 2018 stand die Anlage. Kurz zuvor war der Standort genehmigt worden – als „Berliner Destille Nummer fünf“, wie Haas sagt. 2019 hat das junge Unternehmen mit der Produktion begonnen – unter Corona-Bedingungen. Das mit der „Nummer fünf“ habe ihn gewundert, sagt Markus Haas. Denn es gibt viele Spirituosen-Marken, die mit Berlin als Standort werben, aber nur sehr wenige Destillerien. „Das wollten wir ganz bewusst nicht: ein Berlin-Etikett auf die Flasche kleben und anderswo brennen lassen.“ Wohl weil es wenige Berliner Destillen gibt, sei es auch gelungen, den Markenzusatz „Spirit of Berlin“ schützen zu lassen.
Im Lauf der Jahre kamen Vermouth und Vodka dazu. Bei der Herstellung des Vermouths wird Gin mit badischem Weißburgunder und einem speziell dafür hergestellten Destillat vermählt. Das Vermouth-Kraut sammle man selbst. Für den Vodka verwendet AASpirits Roggen und Kampot-Pfeffer. Den Gin gibt es inzwischen auch als „Navy Strength“, also mit 57 Volumenprozent Alkohol. Für den Dry Gin gab es bei der San Francisco World Spirits Competition, einem der wichtigsten Spirituosen-Wettbewerbe der Welt, in diesem Jahr Gold.
Wettbewerb in der „The Mix“-Location
Bereits im vergangenen Jahr ist man mit den Machern des Wettbewerbs auf einer Berliner Messe ins Gespräch gekommen. Die Amerikaner haben sich die Destille im Kesselhaus angeschaut und waren begeistert. Für eine „europäische Satellitenveranstaltung“ hat das Unternehmen aus San Francisco eine Location gesucht. Als sie im ehemaligen Kesselhaus standen, sei klar gewesen, wo diese Spirituosenverkostung stattfinden würde, erzählt Markus Haas.

Und so findet der europäische Satellitenwettbewerb der San Francisco World Spirits Competition vom 18. bis 19. Oktober in Berlin statt – direkt im Anschluss an den Bar Convent Berlin. Der BCB, der in diesem Jahr vom 14. bis 16. Oktober läuft, ist die führende internationale Fachmesse für die Bar- und Getränke-Industrie. Barbesitzer, Bartender, Händler und Hersteller aus knapp 90 Ländern kommen jedes Jahr nach Berlin aufs Messegelände, um Kontakte zu knüpfen und zu vertiefen, sich über neue Produkte und Trends auszutauschen und in Seminaren weiterzubilden. Man muss aber nicht in der Branche arbeiten, man kann die Messe auch einfach als Besucher genießen.
Beim Spirituosen-Wettbewerb in der „The Mix“-Eventlocation bleiben die Juroren der San Francisco World Spirits Competition unter sich. Sie verkosten dort, anders als an Ständen des Bar Convents, ausschließlich Spirituosenmarken mit Sitz in Europa. Gewinner dieses europäischen Satellitenwettbewerbs qualifizieren sich dann für die San Francisco World Spirits Competition 2025, wo sie in der letzten Verkostungsrunde gegeneinander antreten.
Diesen letzten Teil der Geschichte – nämlich, dass direkt neben der Destille die besten Spirituosen Europas bewertet werden – konnte Markus Haas dem Mann in Wien vor zwei Jahren natürlich noch nicht erzählen. Aber der Besucher war dennoch beeindruckt. Und fast wäre aus dieser Geschichte eine weitere entstanden. Der Mann arbeitete nämlich für ein großes Kreuzfahrt-Unternehmen und war auf der Suche nach einem besonderen Gin für die Bordbars. Die Mengen, die der Mann dafür brauchte, konnte das kleine, exklusive Berliner Unternehmen aber nicht liefern. Einen neuen Freund hatte der „Spirit of Berlin“ aber gewonnen.