Das Institut für Pferdegestützte Therapie (IPTh) feiert in diesem Jahr sein 20. Jubiläum. Dr. Annette Gomolla, Gründerin des IPTh und Leiterin des Hauptsitzes am Bodensee, spricht über die Besonderheit von Therapiepferden, die Voraussetzungen für die Weiterbildung und den achtsamen Umgang mit Pferden.

Frau Gomolla, warum kann gerade ein Pferd einem Menschen in der Therapie helfen?
Der Einsatz von Pferden in Therapie und Pädagogik gehört dem Bereich der Tiergestützten Interventionen an. Diese gründen auf der Annahme, dass es für den Menschen förderlich und „heilsam“ ist, mit anderen Lebewesen zu interagieren, mit ihnen in Beziehung zu treten. In den Tiergestützten Interventionen gehen wir davon aus, dass Menschen sich zu unterschiedlichen Tierarten hingezogen fühlen und im Kontakt mit diesen ihr Wohlbefinden steigern. Viele Menschen fühlen sich zu Tieren hingezogen, mit denen eine klare Kommunikation möglich ist und es zu einem wechselseitigen Austausch kommt. Pferde sind in der Regel interessiert am Menschen, sie sind zudem sehr gut trainierbar und vielseitig einsetzbar und passen sich an den Menschen an. Sie haben eine lange Aufmerksamkeitsspanne, sind arbeitswillig und kooperativ. Zudem können sie bei korrektem mentalen und physischen Training als Reittier eingesetzt werden – eine große Besonderheit im Tierreich. Diese Aspekte, gepaart mit einem besonders harmonischen Erscheinungsbild, dem Ausdruck von Kraft und Schnelligkeit, machen es wohl aus, dass sie auch in der Therapie und Pädagogik besonders beliebt sind.
Was genau ist Pferdegestützte Intervention (PI)?
Pferdegestützte Interventionen beziehen alle fachlichen Angebote im therapeutischen und pädagogischen Bereich ein, die ein Pferd einbeziehen. Das Pferd ist der Motivationsgeber und Dreh- und Angelpunkt der angebotenen Interventionen. Die Ausrichtung hat mit dem Beruf der durchführenden Fachkräfte zu tun. So wird Pferdegestützte Physiotherapie (Hippotherapie) von Physiotherapeuten angeboten, Pferdegestützte Psychotherapie von Psychotherapeuten. In der PI hat sich die Reittherapie oder Pferdegestützte Therapie als additives Verfahren etabliert, das bedeutet als therapeutisches Zusatz-Angebot für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Dies ist vergleichbar mit der Kunst- oder Musiktherapie. Der Bereich des Pferdegestützten Coachings etabliert sich auch in den letzten Jahren, hier arbeiten Coaches mit spezieller Schulung zum Einsatz der Pferde.
Für wen ist diese Therapie geeignet?
Wenn wir nur von der Pferdegestützten Therapie sprechen, dann eignet sich diese für eigentlich alle Menschen mit psychischen Erkrankungen und auch intellektuellen Beeinträchtigungen. Es muss eher auf die Kontraindikationen geachtet werden wie Tierhaarallergie oder körperliche Erkrankungen, die dem Umgang mit dem Pferd vom Boden oder dem Reiten entgegenstehen. Daher ist eine Abklärung mit einem Arzt immer notwendig. Zudem muss die mögliche Unfallgefahr beim Pferd immer bedacht werden. Daher kann es für kleine Kinder oder körperlich deutliche eingeschränkte Personengruppen nur bedingt Therapieangebote mit dem Pferd geben.
Wie läuft so eine Therapiesitzung in der Regel mit dem Pferd ab?
Die Umsetzung ist vielfältig und muss natürlich an den einzelnen Klienten angepasst werden. Im Standard hat eine therapeutische Einheit eine Phase der Begrüßung und Beziehungsgestaltung zum Pferd, danach eine Sequenz mit Interaktion oder auch Handlungen rund um das Pferd, wie zum Beispiel Pflege des Pferdes und auch das Vorbereiten auf das Reiten, falls dies in der Einheit genutzt wird. Danach folgt eine Phase mit Handlungen mit dem Pferd, also Führen des Pferdes auf dem Reitplatz, mit Kindern Spiele spielen mit dem Pferd oder vom Pferd aus, kleine Ausritte in die Natur. Zum Abschluss wird das Pferd verabschiedet und die Stunde reflektiert. Eine Einheit in der Pferdegestützten Therapie kann aber zum Beispiel ausschließlich beinhalten, sich einen Platz auf der Wiese zwischen den Pferden zu suchen, die Pferde achtsam zu beobachten und ganz das Hier und Jetzt in der Herde zu genießen!
Werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen?
Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Es gibt einige wenige private Kassen, die es bezahlen. Weiterhin kann in Einzelfällen bei Kindern und Jugendlichen das Jugendamt die Kosten übernehmen, ebenso ist eine Finanzierung bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen möglich. Allerdings gibt es auch dort keine Regelfinanzierung und die Betroffenen oder Eltern müssen nicht selten die Finanzierung vor Gericht einklagen.
Welche Eigenschaften muss ein Therapiepferd haben? Wie unterscheidet es sich von einem Reitpferd?

Pferde für die therapeutische und pädagogische Arbeit auszuwählen und zu schulen, ist nicht so trivial. Darüber machen wir uns seit eh und je Gedanken. Klar, es ist einfacher, ein Pferd in die Angebote einzusetzen, das von sich aus einen weniger stark ausgeprägten Fluchtinstinkt zeigt, Neugierverhalten zeigt und sich gut regulieren kann und nicht so schnell in Stress kommt. Von einem Reit- oder Freizeitpferd unterscheidet es sich nicht grundsätzlich. Es ist die individuelle Schulung, die es wohl zum guten Therapiepferd macht. Und – das haben wir auch über die Jahre gelernt – jedes Pferd kann etwas besonders gut oder kann mit gewissen Klienten besonders gut. Das muss man auch nach und nach herausfinden und dann die Pferde auch je nach Neigung einsetzen.
Welche Voraussetzungen muss jemand mitbringen, um eine Weiterbildung im Bereich der PI zu absolvieren?
Der Berufsverband PI legt dies genau fest: ein sozialer Grundberuf (abhängig auch von dem Bereich innerhalb der PI) und eine reiterliche Qualifikation. Letzteres kann durch verschiedene Reitabzeichen oder Prüfungen nachgewiesen werden.
Worin sehen Sie aktuell Herausforderungen in der Arbeit in der PI?
Herausfordernd finde ich die dauerhafte Ausrichtung auf das Wohl der Tiere. Die Haltung gegenüber Tieren entwickelt sich in ethischer Sicht weiter, wir hinterfragen immer wieder, ob wir Tiere überhaupt halten und dann auch noch für unsere Zwecke nutzbar machen dürfen. Falls ja, in welcher Form.
Dann gibt es natürlich immer die praktische Herausforderung mit der Gesunderhaltung der Tiere, das ausreichende Training. Und natürlich die finanzielle Situation. Die Tierarztkosten sind immens gestiegen, ebenso die Kosten für alle Waren und Personal. Das ist für Therapiehöfe eine existenzielle Herausforderung, vor allem, da es keine Regel-Finanzierung für die Angebote gibt.
Pferde sind als Fluchttiere sehr sensible Tiere und reagieren auf kleinste energetische Schwingungen. Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit die Pferde selbst physisch und psychisch gesund bleiben?
Wir achten darauf, dass die Pferde sehr gut lernen, sich selbst zu regulieren. Dabei wird von uns besonders auf die Mimik des Pferdes geachtet, neben den Anzeichen wie Körperspannung und Positionierung. Wir versuchen, das Pferd bei minimalen Stressanzeichen in die Eigenregulation zu bringen durch Atmung und Bewegung. Hinzu kommen die Rahmenbedingungen. Unsere Pferde leben in einer stabilen Herde, ihre Grundbedürfnisse werden erfüllt und sie fühlen sich mit der Bezugsperson, mit der sie auch in der Therapie und Pädagogik arbeiten, sicher.
Wie sieht für Sie artgerechte Pferdehaltung aus?
Wie bereits erwähnt, wichtig sind für uns die Laufstallhaltung und die stabile Zusammensetzung der Herde. Weiterhin leben unsere Pferde an einem recht stressfreien Ort, mit viel Weide und wenig Lärm. Die Pferde haben sehr viel Zeit für sich in der Gruppe. Ihre Grundbedürfnisse des Fressens und Laufens auf einer Wiese werden erfüllt, sie können ihrem Spieltrieb gemeinsam auf dem Sandplatz nachgehen, ebenso dem Wälzen im Sand. Wir versuchen, die natürlichen Rhythmen des Pferdes mitzugehen, sodass sie morgens quasi zur Weide laufen, mittags eine Ruhephase haben, Nachmittags nach der Therapie noch mal eine Zeit auf dem Sand zum Wälzen und Spielen haben und wir auch die Abend- und Nachtruhe nicht stören nach der letzten Fressphase.
Es geht auch darum, was wir nicht tun: Wir reißen unsere Tiere zum Beispiel nicht um 20 Uhr aus einem Stall, gehen in eine hell beleuchtete Stallgasse und reiten sie dann noch eine Stunde in einer Halle, um sie dann wieder in die Isolation einer Box zu stellen.
Im Jahr 2011 haben Sie das German Research Center for Equine Assisted Therapy (GREAT) gUG gegründet und leiten dieses ebenfalls. Was wird da genau gemacht?
GREAT wurde gegründet als Forschungseinrichtung, um Studien zur PI durchführen zu können. Neben diesen wird auch die Konferenz „horses4humans“ von GREAT umgesetzt, um wissenschaftliche Erkenntnisse den Fachpersonen aus der Praxis näher zu bringen und diese dann auch in die Praxis einfließen zu lassen. Forschung der Forschung wegen ist ja in unserem Feld nicht sinnvoll, es sollte eine direkte Wirkung auf die Verbesserung der therapeutischen Angebote haben und auch auf den Einsatz der Pferde. Vieles in der Pferdegestützten Therapie ist noch nicht wirklich verstanden. Welche Wirkmechanismen sind es, bei welchen Klienten macht es besonders viel Sinn, wie müssen die Angebote gestaltet werden, um eine hohe Wirkung zu erreichen?

Neben Ihren Funktionen beim IPTh und der GREAT gUG sind Sie als wissenschaftliche Beirätin der Fachzeitschrift „Mensch und Pferd“ vom Ernst Reinhard Verlag aktiv sowie im Vorstand des Berufsverbandes für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen. Darüber hinaus organisieren Sie und Ihr Team alle zwei Jahre die internationale Fachkonferenz für Pferdegestützte Intervention namens „horses4humans“. Woher nehmen Sie all die Motivation und welches Programm erwartet die Teilnehmer?
Noch immer faszinieren mich Pferde und ich lerne weiterhin täglich etwas hinzu. Dies speist immer wieder die Motivation für die Arbeit.
Wie alle zwei Jahre möchten wir auf der Konferenz „horses4humans“ die neuesten Entwicklungen und Ansätze sowie wissenschaftliche Befunde teilen. So erhält das Feld der PI und die darin tätigen Menschen auch immer wieder neue Ideen und Motivation! Das macht mir Freude!
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der PI?
Für die Zukunft wünsche ich mir weiterhin engagierte Menschen, die die Pferdegestützte Intervention weiter entwickeln und neue Impulse ins Feld bringen. Ich wünsche mir, dass noch achtsamer mit den Tieren umgegangen werden kann, dass wir es uns als Gesellschaft leisten in unserem Wohlstand, gut danach zu schauen, wie ein guter Einsatz der Tiere aussehen kann. Dies geht damit einher, dass auch die Bevölkerung sich mehr damit auseinandersetzt, was der Wert des Zusammenseins mit Tieren ist und dass es dabei nicht um eine menschlich-egozentrische Nutzung mit größtmöglichem Event-Faktor geht.