Berlin muss sparen, sagt der Senat und kündigt unter anderem an, dass bei der Kultur 110 bis 150 Millionen Euro gekürzt werden. Es regt sich Widerstand.
Es klang für viele nach Zwergenaufstand, als der Berufsverband der bildenden Künstlerinnen und Künstler (BBK) im Juni auf „Kürzungen bei Künstlerinnen und Künstlern und Einkommensschwachen der Gesellschaft“ gewarnt hat. Die Summe, um die es ging, schien lächerlich, das Interesse am Schicksal der Betroffenen hielt sich in Grenzen. Der BBK kritisierte, dass der Berliner Senat den Ausstellungs-Honorarfonds um mehr als zehn Prozent kürzt. „Wir verstehen, dass die Haushaltssituation schwierig ist. Sparen an den Künstlerinnen und Künstlern selbst heißt: Sparen an denen, die am verletzlichsten sind, und dort, wo selbst kleine Summen, die fehlen, wie hier – wir reden über 70.000 Euro bei locker einer Milliarde Kulturhaushalt! – unverhältnismäßig ins Gewicht fallen. So nicht“, schrieb der Berliner BBK-Vorstand.
Bühnenverein schreibt Brandbrief an den Senat
Eine Milliarde Euro – das klingt nach viel. Es sind aber gerade mal 2,1 Prozent des Berliner Gesamthaushalts. Darauf haben nun die Großen der Kulturszene hingewiesen. Denn seit dem 19. September ist klar: Der Senat arbeitet an Sparplänen, die die Berliner Kultur sehr hart treffen werden. An diesem Tag wurden den Vertreterinnen und Vertretern aller Kulturbereiche in einer Informationsveranstaltung des Senats „die Haushaltsnotlage des Landes Berlin und die notwendigen und drastischen Einsparauflagen in 2025 und 2026 auch für den Kulturetat erläutert“. Auf dieses Treffen nimmt nun der Berliner Landesverband des Deutschen Bühnenvereins in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, Finanzsenator Stefan Evers und Kultursenator Joe Chialo Bezug.
Was den Bühnenverein zu einem sehr deutlichen Brief an die drei CDU-Politiker veranlasst hat: „Ein Einsparvolumen von 110 bis 150 Millionen Euro oder mehr für 2025 und nochmals eine ähnliche Summe für 2026 stehen im Raum.“ Deshalb ruft der Verbund der Opern- und Konzerthäuser, der Sprechtheater, der Revue und des Kabaretts in Berlin den Senat dazu auf, „bei den anstehenden Beratungen zur Konsolidierung des Gesamtlandeshaushalts den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert der Kultur in den Fokus zu nehmen“.
Das nun präsentierte Einsparvolumen „im kleinsten Ressortetat der Stadt steht in einem eklatanten Missverhältnis zu den immensen Schäden, für die man noch in Jahrzehnten einen hohen Preis zahlen wird“, warnen die Bühnenleute. Sie appellieren daher an die Politik: „Graben Sie der Kultur Berlins nicht das Wasser ab. Berlin lebt von der Kultur. Die Kultur bildet Gesellschaft und schafft Lebensqualität. Sie ist der entscheidende Standortfaktor Berlins. Sie prägt Berlins Image, auch und gerade im Vergleich mit anderen deutschen sowie internationalen Metropolen.“
Versuchen also die Vertreterinnen und Vertreter der Berliner Bühnen, ihre Häuser zu sichern nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, wird gehört und womöglich besser wegkommen als andere? Nein. Der Bühnenverein betont, dass er „solidarisch zusammensteht mit allen Bereichen der Kultur in Berlin“. „Wir lassen uns nicht in Verteilungskämpfe treiben. Berlin braucht die Vielfalt der Kultur, Berlin profitiert von den wechselseitigen Impulsen der unterschiedlichen Kulturbereiche. Das macht die Stadt reich und zukunftsfähig. Jeder Euro für die Kultur ist eine Investition, die sich vielfach auszahlt. Ideell, gesellschaftlich und wirtschaftlich“, heißt es im Brief an den Senat, den unter anderem Daniel Barenboim, Frank Castorf, Lars Eidinger, Ulrich Matthes, Kirill Petrenko, Simon Rattle, Christian Thielemann, Rolando Villazón und Sasha Waltz unterzeichnet haben.

Dass man in Notlagen reden muss, ist klar. Aber: „Einsparungen in dieser Größenordnung kämen einem Kahlschlag für die Kultur in Berlin gleich“, warnt der Bühnenverein. Und er erklärt das auch: „Die institutionell geförderten Opern-, Konzert- und Theaterhäuser wären gezwungen, den bereits geplanten und vertraglich verabredeten Produktions- und Spielbetrieb weitestgehend auszusetzen. Denn mit hohen Fixkosten für Personal und Gebäudeunterhaltung besteht der einzige budgetäre Spielraum im künstlerischen Programm. Die Auswirkungen auf das kulturelle Angebot der Stadt wären drastisch – allein die 29 Mitgliedsbetriebe im Bühnenverein erreichen jährlich rund drei Millionen Besucherinnen und Besucher.“
Viele Berliner leben von der Kultur
„Privatrechtlich organisierten Häusern drohte die Insolvenz“, befürchtet der Bühnenverein. Kürzungen bei den projektbezogenen Förderungen träfen aber auch die ohnehin schlecht und nur unsicher finanzierten Bereiche der Kultur. Der Bühnenverein nennt da die Freie Szene und die Performing Arts, die Literatur, die Bildende Kunst, den Tanz und die kulturelle Bildung. „Wichtige Einrichtungen der Freien Szene, der Clubs, der Literatur, der Bildenden Kunst wären wegen ausbleibender Kooperationen von der Schließung bedroht“, warnt er.
Der „Arbeitsplatz Kultur“ wäre „unmittelbar und in großem Umfang von Entlassungen und dem beruflichen Aus Vieler bedroht“, erklärt der Bühnenverein dem Senat. Und ruft in Erinnerung: „Immerhin arbeiten allein 8,2 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin im Kulturbereich.“ Sollte der Senat an seinen Plänen festhalten, wäre das kulturelle Angebot in Zukunft „ein Bruchteil von dem, was es jetzt ist“. „Damit verschwänden Räume des sozialen Miteinanders und der Begegnung, des gesellschaftlichen Dialogs, Angebote der kulturellen und politischen Bildung, Orte der Freizeit und des Kulturgenusses“, heißt es im Brief.
Auch die mit dem Kultursektor verbundene „Umwegrentabilität sänke massiv“, erklären die Kulturschaffenden. Das bedeutet: „Wirtschaftszweige wie Hotel- und Gaststättengewerbe, Tourismus, Nahverkehr, Einzelhandel etc. würden empfindliche Einbußen erleiden.“ Die hohe internationale Präsenz der Berliner Kultur über Gastspiele und Kooperationen überall in der Welt bräche weg. Die internationale Kulturszene, die über viele Festivals und Kooperationen nach Berlin kommt, bliebe der Stadt fern. „Die Vielfalt, die Exzellenz, die Kraft, die Innovationsfähigkeit der Kultur in Berlin würde geschwächt oder verschwände. Die internationale Strahlkraft Berlins, die viele in unsere Stadt zieht und die die Stadt als Lebensort so attraktiv macht, würde verblassen“, schreibt der Bühnenverein und kommt zu dem Schluss: „Die im Raum stehenden Kürzungen sind für die Kultur keine haushaltspolitischen Weichenstellungen für die Zukunft. Mit diesen Plänen würde die Kultur mit voller Wucht gegen die Wand fahren.“
Der Berufsverband der bildenden Künstlerinnen und Künstler hatte bereits im Juni gemahnt: „Die Akteurinnen und Akteure der Berliner Kultur werden und müssen jetzt zusammenhalten.“ Neben „heftigen Einsparungen“ bei den Mindesthonoraren für Kinder- und Jugendtheater treffe es auch die bildenden Künstlerinnen und Künstler. Gerade erst habe man „die längst fällige Honorierung ihrer künstlerischen Leistungen erkämpft“ – schon werden sie wieder zusammengestrichen. Auch für die von den Bezirken finanzierten Kommunalen Galerien sei „die Lage bitter“. „Sie müssen ihr Programm zukünftig reduzieren und im laufenden Jahr entstehende Fehlbeträge für zugesagte Ausstellungsvergütungen aus ihren Etats selbst finanzieren. Ab 2025 bedeutet es: weniger Ausstellungen mit weniger Künstlerinnen und Künstlern in immerhin 36 kommunalen Galerien Berlins.“ Dazu kommt, dass auch der Bund seine Ausgaben für Kultur reduziert.
Ob die Berliner Kultur es schafft, vor allem dem Regierenden Bürgermeister und dem Finanzsenator klar zu machen, was auf dem Spiel steht, wird sich bis Ende Oktober zeigen. Dann soll eine Entscheidung fallen.