Die Diskussion um erfolgreichen Spitzensport nimmt erneut Fahrt auf
Kein anderes Ereignis als Olympische Spiele bildet die Gesamtheit des Spitzensports besser ab. Sportgroßereignisse sind nicht nur für die Athleten prestigeträchtig, sondern auch eine willkommene Bühne für die Politik. Es wäre müßig, dieses Beziehungsgeflecht in einer Endlosschleife zu diskutieren. Vielmehr interessiert der seit mehreren Olympiaden beobachtete Stillstand der Sportnation Deutschland in der Mittelmäßigkeit. Als entscheidendes Kriterium für einen erfolgreichen olympischen Sport, also als harte Währung, gilt der Medaillenspiegel. Über dessen Sinn oder Unsinn sollten wir uns nicht abarbeiten. Um aber faktenbasiert zu diskutieren, brauchen wir einen Maßstab. Der bloße Medaillenspiegel ist vielleicht nicht der beste, aber zumindest ein brauchbarer.
Häufig wird verglichen, was nicht vergleichbar ist. Das deutsche Medaillenhoch mit dem dritten Platz in der Nationenwertung bei den Olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona, zwei Jahre nach der politischen Wende, ist zum großen Teil auf das Erbe des DDR-Sports zurückzuführen. Dieses Guthaben war etwa zehn Jahre später weitgehend aufgebraucht, sodass die Olympischen Spiele 2000 in Sydney oder 2004 in Athen als Vergleichsmaßstab realistischer sind. Auch statistische Verzerrungen durch beispielsweise neue Sportarten oder weitere Frauenwettbewerbe müssen berücksichtigt werden. Die Anzahl deutscher Goldmedaillen ist seit 2000 annähernd konstant geblieben.
Rechtfertigen diese Zahlen die aktuellen Kassandrarufe? Einigen wir uns darauf, der deutsche Spitzensport stagniert in diesem Jahrtausend in der Mittelmäßigkeit. Alle bisherigen Maßnahmen sind fehlgeschlagen. Wollen wir mehr, brauchen wir Innovationen, die den Namen verdienen. Und Investitionen. Aber bitte keine neuen Bürokratiemonster.
Zentralisierung wird immer dann gefordert, wenn erhoffte Erfolge ausbleiben. So auch jetzt. Das Beispiel Niederlande, viel kleiner aber olympisch erfolgreicher als Deutschland, macht die Runde. Im nationalen Trainingszentrum in Papendal trainieren mehr als 500 Athletinnen und Athleten verschiedener Sportarten und erhalten eine Rundumbetreuung. Ist so etwas im föderalistisch strukturierten Deutschland möglich? Ich könnte mir ein klassisches „Jein“ als Antwort vorstellen. In manchen Wintersportarten ist die Konzentration auf bestimmte Standorte aufgrund der örtlichen Bedingungen ein Selbstläufer. Hingegen spricht einiges dafür, auf Vereinsebene gewachsene Strukturen mit mehreren talentierten Sportlern und einem kompetenten Betreuerstab zu fördern.
Eine andere Art der Spitzensportförderung ist das College-System in den USA. Mit einem Sportstipendium werden gleichermaßen Studium und Sport gefördert. Die Gelder werden unter anderem aus Sponsoring und Einnahmen von Sportveranstaltungen generiert. Erfolgreiche Sportteams steigern die Attraktivität einer Universität. Der Universitätssport in Deutschland hat eine vergleichsweise geringe Bedeutung, um Ähnliches wie in den USA bewirken zu können. Um diese Ressource zu erschließen, bedürfte es entsprechender Einnahmen. Vielmehr ist die Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium (oder auch Ausbildung) ein ständiges Thema.
Mein Respekt gilt allen, die Deutschland in Paris vertreten haben. Ich hatte stets den Eindruck, alle haben alles gegeben. Aber ist diese Leistungsbereitschaft repräsentativ für ein ganzes Land? Abseits von der Diskussion um Sportsysteme muss eine Debattenkultur auch die Frage nach dem Wert der Leistung in unserer Gesellschaft aushalten können, ohne gleich als populistisch oder konservativ zu gelten. Gefühlt ist Leistung entgegen früheren Zeiten nicht immer positiv besetzt. Dennoch wird es immer Personen geben, die ihre individuellen Fähigkeiten nutzen und Olympiasieger werden.
Die Stagnation im deutschen Spitzensport in diesem Jahrtausend macht nachdenklich. Erlauben unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nur noch Mittelmaß? Hoffen wir, dass die viel gerühmte Work-Life-Balance nicht aus dem Gleichgewicht gerät.