Union Berlin kassiert seine erste Saisonniederlage auf ganz bittere Art und Weise. Wie gut hat sich das Team davon erholt? Das Duell mit Borussia Dortmund wird es zeigen. Für einen Profi ist es ein besonderes Spiel.
An den FC Bayern hatte Nenad Bjelica bislang keine guten Erinnerungen. Im Auswärtsspiel in München im November des Vorjahres leistete sich der kroatische Trainer eine Tätlichkeit gegen Nationalspieler Leroy Sané. Es war – so früh nach seinem Amtsantritt beim 1. FC Union Berlin – eigentlich schon der Anfang vom Ende für Bjelica, der sich erst mit etwas Abstand bei Sané entschuldigen wollte. Er wurde für drei Spiele in der Fußball-Bundesliga gesperrt, doch der Imageschaden war ein noch größeres Handicap. Nach der Entlassung bei Union im Frühjahr war Bjelica arbeitslos – bis das Schicksal ihn wieder mit dem FC Bayern verband. Die Münchener schossen in der Champions League Mitte September den kroatischen Topclub Dinamo Zagreb mit 9:2 ab, was zur Entlassung von Trainer Sergej Jakirović führte. Und plötzlich dürfte Bljelica ein großer Bayern-Fan gewesen sein, denn als Nachfolger wurde er auserkoren. Schon von 2018 bis 2020 hatte er den größten Fußballclub seines Heimatlandes gecoacht.
Bjelica nicht mehr als eine Fußnote
Bei Union nahm man die Nachricht von der neuen Anstellung des Ex-Trainers emotionslos hin. Die Zeit unter Bjelica, der auf den langjährigen Erfolgscoach Urs Fischer gefolgt war, aber nie aus dessen langen Schatten treten konnte, ist nicht mehr als eine Fußnote in der Club-Historie. Bo Svensson trauen sie dagegen in Berlin-Köpenick zu, hier als Chef an der Seitenlinie seine Fußspuren zu hinterlassen. Die Art des freundlichen, aber auch bestimmten Dänen passt ganz augenscheinlich viel besser zum Verein als der knorrige Führungsstil von Bjelica. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Er sei zu einem Verein gekommen, „mit dem ich mich identifizieren kann“, sagte der frühere Trainer des FSV Mainz 05: „Ich habe sehr viele nette Personen kennengelernt, ich fühle mich in dieser Umgebung wohl. Dazu kommt die Stadt Berlin, denn ich finde es schön, wieder in einer Großstadt zu leben. All diese Punkte sorgen dafür, dass ich mich gut eingelebt habe.“
Der sportlich gute Start mit dem Erstrundensieg im Pokal in Greifswald und der Acht-Punkte-Ausbeute aus den ersten vier Ligaspielen beschleunigte den Integrationsprozess. Viel hatte nicht gefehlt, und das Heimspiel am Samstag (15.30 Uhr) gegen Borussia Dortmund wäre auch tabellarisch ein Topspiel für Union. Doch das 0:1 bei Borussia Mönchengladbach zog bei den Eisernen so ein klein wenig den Euphorie-Stecker. Nicht so sehr das Ergebnis, das die erste Pflichtspielniederlage der Saison bedeutete. Sondern die Art und Weise des Rückschlags dürfte das Team in den vergangenen Tagen mächtig beschäftigt haben. Das späte Gladbacher Siegtor durch Tomas Cvancara in der sechsten Minute der Nachspielzeit traf die Unioner mitten ins Herz. Denn eigentlich schienen sich die meisten auf dem Rasen und auch auf den Rängen mit dem Unentschieden längst arrangiert zu haben.
„Der Schiri findet irgendwie acht Minuten auf der Uhr, ohne dass es einen VAR-Einsatz gab, und dann kommt so etwas zustande“, sagte Svensson auf die Frage eines Reporters, warum der entscheidende Gegentreffer so spät noch fallen konnte. Der Ärger der Unioner auf Schiedsrichter Daniel Schlager war aber etwas übertrieben, denn das an Höhepunkten arme Spiel hatte viele kleine Unterbrechungen. Verletzungspausen gab es zum Beispiel nach Fouls an Benedict Hollerbach und Ko Itakura. Vizekapitän Rani Khedira wollte deswegen auch nicht die Schuld beim Schiedsrichter suchen. Der Lucky Punch der Gladbacher sei zwar „ärgerlich“ und „bitter“, meinte der Mittelfeldspieler: „Aber wir müssen trotzdem den Kopf nach oben richten und versuchen, uns in der Trainingswoche so gut auf Dortmund vorzubereiten, dass wir es da wieder geraderücken können.“
Tom Rothe weckt große Hoffnungen
Die Dortmunder konnten am vergangenen Wochenende mit Mühe eine erste Saison-Krise zwar verhindern. Beim 4:2 im Revierduell mit dem VfL Bochum wirkte der Champions-League-Starter aber alles andere als sattelfest. Bedanken konnte sich BVB-Trainer Nuri Sahin, der bei einer weiteren Niederlage mindestens angezählt worden wäre, bei Doppelpacker Serhou Guirassy. „Wir sind alle sehr glücklich, dass er bei uns ist“, sagte Sahin über den Angreifer: „Ich bin nicht nur froh, wie er die Tore macht, sondern auch wie er sich gibt.“ Der vor der Saison für 18 Millionen Euro aus Stuttgart verpflichtete Guirassy macht da weiter, wo er beim VfB aufgehört hat. Er trifft und trifft und trifft. Dazu spielt er sehr mannschaftsdienlich, ist läuferisch stark und sich auch für das bei vielen Torjägern ungeliebte Gegenpressing nicht zu schade. Kurzum: ein kompletter Mittelstürmer, der auch gegen Union seine Klasse zeigen will. „Er wird noch besser werden“, frohlockte Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl. Schon jetzt gebe Guirassy der Mannschaft „genau das, was wir uns von ihm erhofft haben“.
Einer, der in der Abwehr mithelfen soll, Guirassy beim Heimspiel zu stoppen, ist Tom Rothe. Der Linksverteidiger wechselte im Sommer vom BVB nach Berlin, mit dem Ex-Stuttgarter hat er somit nicht mehr gemeinsam gespielt. Dennoch dürfte er seinem Trainer Svensson das ein oder andere Detail über Dortmund erzählen können, sollte dieser danach fragen. Sahin verriet derweil, dass er in seiner Premierensaison als BVB-Coach gern mit Rothe weitergearbeitet hätte. Schließlich war der Abwehrspieler gerade erst von einer erfolgreichen Leihe zum Club Holstein Kiel, mit dem er den Aufstieg in die Bundesliga perfekt gemacht hatte, nach Dortmund zurückgekehrt. „Aber Tom wollte unbedingt diesen Schritt gehen“, sagte der frühere türkische Nationalspieler: „Man muss auch sagen: Wenn ein junger Spieler unbedingt diesen Schritt gehen will, dann muss man ihm auch helfen.“
Sahin legte also beim Wechsel kein Veto ein – und das war ein Glück für Union und Rothe. Der 19-Jährige hat sich auf der linken Abwehrseite einen Stammplatz erkämpft, nachdem Robin Gosens kurz vor Transferschluss nach Italien gewechselt war. „Tom wird der zukünftige linke Außenverteidiger in der Nationalmannschaft sein“, prophezeite Union-Präsident Dirk Zingler: „Er ist der beste 19-Jährige, den wir auf dieser Position haben. Wenn er sich weiterentwickelt, wird er auch von unseren Nationaltrainern gesehen werden.“ Die Entwicklung ihres Ex-Spielers beobachten auch die BVB-Bosse sehr genau, denn dem Vernehmen nach hat der deutsche Topclub eine Rückkaufklausel in den Vertrag eingebaut. „Wir analysieren gemeinsam mit den Beratern und den Spielern die Situation: Was ergibt Sinn? Eine erneute Ausleihe, eine Rückkehr oder ein Verkauf? Das schauen wir uns in Ruhe an“, sagte Sportdirektor Kehl allgemein über die „Schattenspieler“ seines Clubs.
Der komplette Fokus unter der Woche galt aus Dortmunder Sicht aber weniger Rothe und Union, sondern der Champions League und Celtic Glasgow. Nach dem Auftakt-Erfolg beim FC Brügge (3:0) war der BVB heiß auf den zweiten Sieg in der neuen Ligaphase, in der der Tabellenstand ausschlaggebend für die Qualifikation für die spätere K.-o.-Runde ist. Dortmunds Doppelbelastung könnte ein Vorteil für Union sein – doch dafür muss das Team aktiver agieren als in Mönchengladbach. Das fahrige Spiel mit vielen Unterbrechungen und Fehlpässen hatte eigentlich keinen Sieger verdient gehabt.