Jamal Musiala, Florian Wirtz – und dann? Hat der deutsche Fußball denn noch mehr Talente zu bieten als die beiden Überflieger? Hat er. Besonders die Namen Paul Wanner und Max Moerstedt sollte man sich merken.
Jahrelang hieß es, dem deutschen Fußball drohen schwere Zeiten. Weil er zu wenig Talente hervorbringt. Keine Mittelstürmer, keine Torhüter und Außenverteidiger sowieso nicht. Und dann kamen Jamal Musiala und Florian Wirtz. Beide 21 Jahre jung, in der Nationalmannschaft schon feste Größen und von nahezu allen europäischen Top-Clubs gejagt. Okay, sie sind beide keine Mittelstürmer, Torhüter oder Außenverteidiger, sondern Offensivspieler. Und die Kritiker monierten auch weiter, das seien eben Zufälle. Der Leverkusener Wirtz nunmal ein „Jahrhundert-Talent“ und der Bayern-Profi Musiala nicht einmal in Deutschland, sondern in England ausgebildet.
Und die Entwicklung der letzten Jahre gab wahrlich keinen Anlass zur Euphorie. Nachdem Deutschland zwischen 2006 und 2016 fünfMal in Folge mindestens im Halbfinale einer WM oder EM stand, werden es vor dem nächsten großen Turnier, der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko, schon zehn Jahre ohne Halbfinale sein. Und das sollen Wirtz und Musiala alleine ändern? Müssen sie nicht. Denn nach ihnen steht schon eine neue Generation in den Startlöchern, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Darunter sogar drei Torhüter.
Wird Seimen der „neue Neuer“?
TOR: Nicht wenige prophezeien Deutschland nach der Ära des soeben zurückgetretenen Manuel Neuer (38) ein Problem im Kasten. Marc-André ter Stegen ist 32 und fällt nun lange aus, die zuletzt nominierten Oliver Baumann (34) und Alexander Nübel (28) sind noch ohne Länderspiel. Kevin Trapp (34) und Bernd Leno (32) sind auch nicht mehr die Jüngsten und bei Julian Nagelsmann derzeit außen vor. Doch es gibt mindestens drei junge Torhüter, die Anlass zur Hoffnung geben. Freiburgs Noah Atubolu ist 22, Deutschlands aktuelle Nummer eins in der U21 und schon im zweiten Jahr beim SC Freiburg. Der Kölner Jonas Urbig (21) spielte als Leihgabe bei Greuther Fürth eine so starke Saison, dass Stammverein Köln nach seiner Rückkehr den zuletzt von der Nationalmannschaft beobachteten Marvin Schwäbe zur Nummer zwei machte. Paderborns Trainer Lukas Kwasniok nannte ihn schon einen „künftigen Nationaltorhüter“. Doch das vielleicht größte Talent ist Dennis Seimen. Ganze 18 Jahre alt, Stammtorhüter der Zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart in der Dritten Liga und ein echtes Juwel. Wenn Nübel in ein oder zwei Jahren als Neuer-Nachfolger zu den Bayern zurückkehrt, soll Seimen übernehmen. Und spätestens dann dürfte das Tor für ihn weit offen stehen. Seinen Vertrag hat der VfB gerade bis 2029 verlängert.
INNENVERTEIDIGUNG: In dem erst 24 Jahre alten Dortmunder Nico Schlotterbeck spielt ein Innenverteidiger der nächsten Jahre schon eine Weile im DFB-Team. Davor und danach fehlt es etwas. Aber ein paar Jahre danach kommen Talente. Allen voran in Hoffenheim das Eigengewächs Tim Drexler (19), das sich in der vergangenen Rückrunde einen Stammplatz eroberte und ihn nicht wieder hergab. Und der Freiburger Max Rosenfelder (21), der sich in der Vorbereitung festspielte und einen ganz starken Saisonstart hinlegte. Oder Bochums Tim Oermann (20), der schon 22 Bundesliga-Spiele für Bochum machte. In der Zweiten Liga eroberte Julian Pauli (19) einen Stammplatz in Köln. Hendry Blank (20) kam im Vorjahr zu einem Einsatz für die Dortmunder Profis und spielte nun für RB Salzburg schon in der Champions League. Ebenso wie Yann Bisseck (23) für Inter Mailand.
AUSSENVERTEIDIGER: Es ist und bleibt die Problem-Position, doch drei Talente machen etwas Hoffnung. Tom Rothe (20) von Union Berlin, Luca Netz (21) von Borussia Mönchengladbach und Frans Krätzig (21) aus Stuttgart. Das Problem: Alle spielen am liebsten links. Und Rothe wurde vom BVB an Union verkauft, nicht verliehen. Und Krätzig tut sich nach Raketenstart bei den Bayern und Leihe zu Austria Wien in Stuttgart noch schwer.
DEFENSIVES MITTELFELD: Nach den Rücktritten von Toni Kroos (34) und Ilkay Gündogan (33), der Versetzung von Kapitän Joshua Kimmich (29) nach rechts hinten und der Formkrise von Leon Goretzka (29) wird neues Personal gesucht. Auch Pascal Groß (33), Robert Andrich und Emre Can (30) haben schon eine 3 vorne. Aktuell dabei und deshalb heißeste Anwärter sind Bayerns Überflieger Aleksandar Pavlovic (20) und der in Stuttgart im Vorjahr bärenstarke Angelo Stiller (23).
Viele Talente im Mittelfeld
Aber auch dahinter tut sich was. Bochums Mats Pannewig (19), Aljoscha Kemlein von Union Berlin (20), Umut Tohumcu (20) von Hoffenheim und Heidenheims Luca Kerber (22) kamen diese Saison schon zu Bundesliga-Ehren. Schon weiter sind trotz einiger Hänger zuletzt der Gladbacher Rocco Reitz, der Freiburger Merlin Röhl und der Kölner Eric Martel (alle 22). Super-Talent Assan Ouedraogo (18) hat nach seinem Zehn-Millionen-Wechsel aus Schalke in Leipzig noch nicht ganz Fuß gefasst, ist aber vielseitig verwendbar.
OFFENSIVES MITTELFELD: Dort gibt es weiter viel Auswahl. Auf den Außenbahnen sind Dortmunds Karim Adeyemi und der Frankfurter Ansgar Knauff schon erfahren, aber erst 22. Den Ex-Mainzer Brajan Gruda (20) ließ sich Brighton and Hove Albion gerade bis zu 40 Millionen Euro kosten. Stuttgarts Justin Diehl (19) gilt ebenfalls als sehr talentiert.
Doch das größte aller Talente spielt am liebsten auf der Zehn. Paul Wanner ist erst 18, debütierte mit 16 bei den Bayern, überzeugte im Vorjahr als Leihgabe bei Zweitligist Elversberg und traf nun in Hoffenheim mal eben in den ersten vier Pflichtspielen. Das Problem: Wanner könnte auch für Österreich spielen. Er hat eine österreichische Mutter und einen deutschen Vater, ist in Österreich geboren und größtenteils in Deutschland aufgewachsen. „Ich kann ganz klar sagen, dass meine Entscheidung noch offen ist“, beteuerte er zuletzt: „Eigentlich will ich erst mal ein komplettes Jahr Bundesliga spielen, um zu sehen, wo es hingeht, aber vielleicht fällt die Entscheidung auch schneller.“ Wanner wird sicher auch beobachten, ob er neben Musiala und Wirtz seinen Platz finden könnte.
Weitere Talente im offensiven Mittelfeld sind der Hoffenheimer Tom Bischof, der Augsburger Mert Kömür (beide 19), der Mainzer Paul Nebel (21) oder auch Bence Dardai (18). Der jüngste und vielleicht talentierteste der drei Dardai-Brüder wurde durch einen Einsatz in Wolfsburg zum bisher jüngsten Bundesliga-Spieler dieser Saison.
STURM: Man glaubt es kaum, aber die Auswahl im Sturm scheint künftig groß. Gefühlt seit dem Abgang von WM-Rekordschütze Miroslav Klose nach dem WM-Triumph 2014 war das Land von Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann auf der Suche nach neuen Mittelstürmern. Im Moment konkurrieren Arsenal-Profi Kai Havertz (25), der über Jahre eigentlich eine Position dahinter spielte, und der schon 31 Jahre alte Spätstarter Niclas Füllkrug um den Platz ganz vorne. Doch da könnte sehr bald Rettung nahen. Der gerade von Hoffenheim nach Dortmund gewechselte Maximilian Beier (21) war ja schon bei der EM dabei und durchaus ein belebendes Element. Er kann auch auf dem Flügel spielen, aber durchaus auch ganz vorne in der Spitze.
Ein Neuner wird gesucht
Ein echter klassischer Mittelstürmer ist derweil Max Moerstedt. Der 18-Jährige, in Mannheim geboren und 2021 vom heutigen Hannover-Manager Marcus Mann vom FC Bayern nach Hoffenheim gelotst, hat zuletzt für mächtig Aufsehen gesorgt. Welt- und Europameister mit der U17, jeweils als überragender Spieler, ebenso wie beim historischen ersten Double-Sieg der Hoffenheimer U19. Sowohl in der Meisterschaft als auch im DFB-Pokal wurde er dabei Torschützenkönig.
Weitere Kandidaten: Nelson Weipper (19), der in Mainz einen Superstart hingelegt, zuletzt aber einen Durchhänger hatte. Jonathan Burkardt, an dem Weipper nicht vorbeikommt. Er ist zwar schon 24, hat aber auch schon über 100 Bundesliga-Spiele mit 40 Torbeteiligungen und nach elf Monaten Pause wegen einer Knie-OP zuletzt zu alter Stärke zurückgefunden. Er könnte noch ein Thema für Nagelsmann werden. Oder Nicolo Tresoldi (20), der für Hannover schon fast 50 Zweitliga-Spiele absolviert und dabei acht Tore erzielt hat. Zu beachten sein dürfte auch Keke Topp (20), der bei Werder Bremen mit einem Dreierpack in der ersten Pokal-Runde auf sich aufmerksam machte.