Der dichte grüne Regenwald, durchzogen von unendlich vielen kleinen Wasserläufen, ist nicht nur ein Naturparadies – auch Kriminelle fühlen sich hier wohl. Ein riesiges Problem für Einheimische und Naturschützer gleichermaßen.

Die Hafenstadt Barcarena ist nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen, sie ist auch ein wichtiger Umschlagplatz für illegale Drogen. Von hier aus werden zahlreiche Substanzen aus dem Amazonasgebiet hinaus in die ganze Welt verschifft. Das brasilianische Forum für öffentliche Sicherheit schätzte bereits 2021, dass 40 Prozent der rund 2.000 Tonnen Kokain von Peru, Kolumbien und Bolivien über Barcarena exportiert wurden.
Wer nicht kooperiert, wird bedroht
Hier gab es nur ein Jahr später auch den größten Einzelfund an Drogen überhaupt. Fahnder konnten drei Tonnen Kokain sicherstellen. Verantwortlich dafür sind kriminelle Banden wie das Comando Vermelho. Die Gruppierung bildete sich im 3.000 Kilometer entfernt liegenden Rio de Janeiro. Sie teilt sich inzwischen die Kontrolle des riesigen Amazonas-Gebietes mit anderen kriminellen Vereinigungen wie kolumbianischen Splittergruppen. Eine Recherche von „Amazon Underworld“ unter der Leitung des Journalisten Bram Ebus ergab, dass heute schon sieben von zehn Gemeinden durch Kriminelle wie diese kontrolliert werden. Tendenz steigend. Wer nicht kooperiert, wird bedroht, eingeschüchtert, vertrieben oder umgebracht.
Schon Jugendliche müssen mithelfen, die Drogen zu transportieren oder sie an einem der zahlreichen Dickichte im Dschungel zu verstecken. Wer jung ist, der lässt sich leicht auf die falsche Fährte locken, zu groß ist der Einfluss der Banden. Diese negative Spirale konnte auch ein Friedensprozess in Kolumbien im Jahr 2016 nicht stoppen. Ganz im Gegenteil. Neben den Drogen kamen andere Schätze mit ins Spiel, wie Öl und Gold. „Ölboom schafft Nährboden für Mord und Totschlag“, titelte die Organisation „Rettet den Regenwald“ in Hamburg. So seien bei einem Überfall auf eine Siedlung im ecuadorianischen Amazonas-Gebiet mindestens 16 Ureinwohner getötet worden. Darunter überwiegend Frauen und Kinder. Der Massenmord fand in der Provinz Pastaza nahe dem Dorf Tiguino statt. Hier lebten die Huarorani friedlich und zurückgezogen, bis sie kriminellen Holzfällern zum Opfer fielen. „Der Massenmord muss im Zusammenhang mit der Ölförderung im Amazonas gesehen werden, auch mit der von der WestLB finanzierten Ölpipeline in Ecuador“, meint Pressesprecher Werner Paczian. Und weiter: „Der Ölboom zerstört die Kultur der Ureinwohner. Das ist der Nährboden für Mord und Totschlag.“
Lebensräume werden zerstört

Polizeilichen Ermittlungen zufolge wurde ein anderer Ureinwohner-Clan von Holzfällern dazu angestachelt, während eines Dorffestes ausgestattet mit Waffen und Benzin, die Mitglieder des anderen Stammes zu ermorden. Viele konnten flüchten. Andere wurden dabei tödlich verletzt. Wie hoch die Todeszahlen waren, ließ sich aufgrund des starken Verwesungszustands der Leichen nicht genau ermitteln. Bis zu diesem Verbrechen verging eine lange Zeit. Noch Ende der 1960er-Jahre lebte das Volk der Huarorani vollkommen isoliert von der westlichen Zivilisation. Bis sie von Holzfällern, Siedlern und Ölmultis aufgespürt wurden. Ihr Lebensraum fiel Rodungen zum Opfer, inzwischen leben sie am Rande von Holz- und Ölfirmen. Die nehmen nicht nur Territorium ein, sie vergiften mit ihrem Abwasser auch den Boden. Ölprojekte sollen ganz verboten werden, fordern inzwischen aktive Umweltschützer, denn sie geben Verbrechen wie dem Massenmord erst den nötigen Raum.
Dabei gilt dem Ölsektor längst nicht mehr die volle Aufmerksamkeit, zumindest nicht in allen Gebieten Amazoniens wie zum Beispiel in Venezuela. Nachdem der Niedergang des Ölsektors dort besiegelt war, investierte die Regierung in den Bergbau. Dafür wählte man ausgerechnet die Amazonas-Region aus. Neben der Zerstörung der Natur gab es hier schon bald eine weitere Bedrohung: Goldgräber, die illegal versuchten, die Bergwerke für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Das führte zu einem Konflikt zweier großer Verbrechersyndikate in Brasilien. Es herrschte Krieg am Amazonas. Jeder wollte ein großes Stück abhaben, das Goldfieber kam und brachte nichts Gutes. Dann startete die Corona-Pandemie und damit begann die Regierung sich um andere Dinge zu kümmern und überließ den Kriminellen das Feld. Das ist bis heute so geblieben. Die Angst geht um, wer kann, der flüchtet sich in „sichere Wohngebiete“, denn selbst unter Polizeischutz kann es für die, die bleiben und sich dem Einfluss der Banden widersetzen, gefährlich geworden.

Trotzdem wollen viele Einheimische nicht weg, weil das Land sehr ertragreich ist. Es bietet nicht nur Bodenschätze und geheime Routen für Drogenhändler, es dient auch dem Anbau von Açai-Beeren und Maniok. Ein Grund, der viele ausländische Unternehmen anlockt, denn es lohnt sich zu investieren. Ein Umstand mit einem ebenso bitteren Beigeschmack, denn Landräuber machen sich daran, die Einheimischen zu enteignen und die Flächen wertvollen Waldes freizuroden, um noch mehr anzubauen und damit mehr Profit einzufahren.
Ganz nebenbei bringt die Abholzung des Waldes Gewinne mit sich, wenngleich das verboten ist. Allein 2023 wurden laut Angaben von Statista.com im gesamten Amazonasgebiet etwa 9.000 Quadratkilometer an Wäldern abgeholzt. Summiert man die Zahlen ab dem Jahr 1990, kommen laut den Portalschätzungen mehr als 450.000 Quadratkilometer zusammen, die rücksichtslos rund um den Amazonas gerodet wurden. Das entspricht ungefähr einer Fläche von Portugal und Deutschland zusammen. Tausende von Holzfällern sind mit der Rodung der riesigen Waldflächen beschäftigt. Bezahlt von Konzernen, die sich den Raubbau an der Natur leisten können.
Buschfleisch ist kommerzialisiert
Der Regenwald steht unter Naturschutz, zumindest auf dem Papier. Doch wo das Geld lockt und die Kriminalität steigt, stellt sich dem Raubbau an der Natur kaum jemand in den Weg. Einzig die brasilianische Umweltbehörde sendet Spezialeinheiten an den Fluss. Sie stellen sich mit rabiaten Methoden gegen die Holzfäller, indem sie mit Waffengewalt versuchen, dem illegalen Treiben ein Ende zu setzen. Doch sie können nicht überall sein. Zwar gibt es auch engagierte Naturschützer, doch die schweben in ständiger Gefahr. Wer sich wehrt, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Laut einer Studie von Global Witness gehört das Amazonasgebiet zu den tödlichsten Einsatzorten für Umweltschützer. Die Brasilien-Expertin der Organisation, Gabriela Bianchini, beobachtet die Gefahr schon seit Jahren: „Wir reden von Menschen, die ihr Land, ihr indigenes Territorium, ihr Haus gegen die mächtigen Interessen verteidigen – und damit auch Gebiete schützen, die zentral sind im Kampf gegen den weltweiten Klimakollaps. Und weil die Staaten sie nicht richtig schützen, geraten sie immer mehr in den Fokus dieser kriminellen, extrem gewaltsamen Gruppen.“

Neben der Rodung der Waldflächen, der Vergiftung des Bodens und der Vertreibung der indigenen Bevölkerungsgruppen gibt es noch ein großes Problem: die Wilderei. Buschfleisch ist in Südamerika längst kommerzialisiert. Dank der steigenden Bevölkerungszahlen und den vielen Arbeitern in den Rodungsgebieten ist es günstig und praktisch, diese mit sogenanntem Bush Meat zu versorgen. Das mittlerweile gut ausgebaute Straßen- und Wegenetz zwischen Peru, Bolivien, Ecuador und Brasilien erleichtert das Schießen von Gürteltieren, Krokodilen, Raubkatzen, Nagetieren, Vögeln und Schlangen. „Rettet den Regenwald“ rechnet vor, dass in einem Jahr allein in Madre de Dios (Peru) 54.190 Affen erlegt wurden. Ein Grund, warum längst viele Arten vom Aussterben bedroht sind, da sich die Population kaum erholen kann.
Verbrechen an Tier, Mensch und Natur sind vielfältig in der grünen Lunge der Welt. Da viele Staaten sich daran bereichern, sind sie gern bereit, wegzuschauen und der Kriminalität keinen Einhalt zu gebieten. Einen kleinen Lichtblick gibt es. Inzwischen patrouillieren Sicherheitskräfte rund um den Fluss Javary, der im Nordwesten von Brasilien liegt. Das steigert das Sicherheitsgefühl aber kaum. Zum einen nicht, da viele Angestellte sich schmieren lassen. Zum anderen, weil das Gebiet sehr groß ist und die Kontrollen wie ein Tropfen auf dem heißen Stein versiegen. Und so bleibt das Amazonas-Gebiet ein extrem gefährdeter Ort für alle jene, die in ihm leben, solange es noch Leben gibt.