Die „Ära Thomas Bach“ an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees endet entgegen langlebiger Spekulationen nach zwölf Jahren im kommenden Frühling. Der Wahlkampf um die Nachfolge des listigen wie machtbewussten Strippenziehers ist dabei – kaum zufällig– schon vor seiner Eröffnung zum Intrigenspiel geraten.

Also sprach Thomas Bach, nein, eigentlich also sprach Ban Ki-moon, aber eben für Thomas Bach. Was der oberste Ethik-Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Mitte September nämlich zu verkünden hatte, war nicht weniger als Regelwerk und Roadmap zur Wahl eines Nachfolgers für seinen scheidenden Boss aus Deutschland– und beinahe erwartungsgemäß schon das erste Schurkenstück im letzten Akt der Präsidentschaft des Strippenziehers im Olymp. Bach kennt, salopp ausgedrückt, seine Pappenheimer im IOC nur zu gut. Deswegen konnte sich der vom mündigen Sportler zum aalglatten Profi-Funktionär mutierte „Herr der Ringe“ recht genau ausrechnen, wer denn aus seinem elitären Zirkel Ambitionen auf sein im kommenden Frühling wieder frei werdendes Amt hegen würde.
Bach konnte dadurch nach zwölf Jahren aber auch passgenau ein raffiniertes Szenario entwickeln, um unliebsame Kandidaten nach außen elegant und vermeintlich ohne sein Zutun möglichst vom mächtigsten Amt des Weltsports fernhalten zu können. So erfüllt – kaum zufällig – im Kreis der sieben angemeldeten Kandidaten einzig Simbabwes von Bach lange protegierte Sportministerin Kirsty Coventry alle von Ban brav als unumstößliche Charta-Vorgaben vorgetragenen Kriterien. Ob ihr Alter, ihre auf Verbandsebene exklusive Verpflichtung gegenüber dem IOC und – zwischen allen Zeilen – idealerweise auch ihr Geschlecht: Coventry wirkt wie eine von Bach eigenhändig geschnitzte Traumkandidatin, zumal die zweimalige Schwimm-Olympiasiegerin an Loyalität gegenüber ihrem fränkischen Mentor schon in den vergangenen Jahren kaum zu überbieten war und dadurch im Falle ihrer Wahl dem künftigen Privatier Bach jederzeit einen Nebeneingang zur Macht offenhalten dürfte.
Darum alleine geht es Bach: um seinen Einfluss im und auf den Ringe-Orden auch nach dem bevorstehenden Ende seiner zweiten Amtszeit. Bachs künftige Bedeutung für das IOC wäre außer bei der auch schon unter Korruptionsverdacht geratenen Ministerin eines autokratischen Regierungschefs bei fast jedem anderen Wahlsieger schmerzlich kleiner.
Das gilt innerhalb der Kandidaten-Gruppe mit Abstrichen sogar schon für den französischen Radsport-Weltpräsidenten und Bach-Zögling David Lappartient ebenso wie für den umstrittenen Ski-Weltverbandsboss Johan Eliasch aus Schweden. Während Japans Turn-Boss Morinari Watanabe oder auch der jordanische Prinz Faisal al-Hussein neutral eingestuft werden, hatte und hat Bach vor allem einen Erfolg entweder seines spanischen „Vize“ Juan Antonio Samaranch oder noch vielmehr des britischen Leichtathletik-Weltverbandspräsidenten Sebastian Coe zu fürchten.

Entsprechend liest sich Ban Ki-moons Kriterienkatalog nicht nur als Wahlkampfhilfe für Coventry, sondern noch vielmehr als regelrechte Agenda zur Verhinderung eines IOC-Präsidenten Coe. Denn, kurz und knapp zusammengefasst, ist der Lord und zweimalige 1500-m-Olympiasieger im IOC-Kosmos schlicht der Anti-Bach.
Mit Coe an der IOC-Spitze sähe die Sportwelt mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits seit geraumer Zeit anders, viele glauben sogar freundlicher und vor allem glaubwürdiger aus. Seit seinem Amtsantritt bei World Athletics vor neun Jahren jedenfalls positionierte sich Coe stets gegen Bachs spürbar von persönlichen Machtinteressen gesteuerte Politik.
Alleine durch den Ausschluss von russischen Aktiven in der Leichtathletik– erst wegen des von Moskau angeordneten Staatsdopings und später aufgrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – gewann der Brite im gleichen Maße an Format wie Bach wegen seiner unerträglichen Milde im Umgang mit der Russland-Thematik bei Doping und Krieg an Ansehen verlor.
Coe könnte etwas ändern
Coe, 2012 erfolgreicher Organisationschef der Sommerspiele in London, traf auch in anderen Bereichen den richtigen Nerv. Durch eine Reform der Dopingbekämpfung in der Leichtathletik setzte Coe neue Standards und ließ zugleich die von Bachs IOC gegängelte und durch zahlreiche Skandale gebeutelte Welt-Anti-Doping-Agentur wiederholt alt aussehen. Zuletzt in Paris erntete Coe zudem weltweit Applaus für die erstmalige Ausschüttung von Olympia-Prämien an erfolgreiche Leichtathleten aus der Kasse seines Verbandes und brüskierte damit Bach auf offener Bühne, denn der Ex-Athlet lehnte stets – wie auch die ehemalige IOC-Athletensprecherin Coventry (!) – finanzielle Anreize für Wettkämpfe unter den Ringen kategorisch ab.
Auch konnte Bach im Vergleich mit Coe bei der Transparenz seiner Amtsführung nicht annähernd bestehen: Wo der frühere Mittelstreckler offene Debatten und Entscheidungen forcierte, ist Bach durch seine geheime Hinterzimmerpolitik maßgeblich für das schlechte Image des IOC verantwortlich.

Vor diesen Hintergründen muss der Wahlkampf um die IOC-Präsidentschaft geradezu als finaler Schlagabtausch der rivalisierenden Alphatiere Bach und Coe angesehen werden. Ex-Fechter Bach sorgte dabei zunächst mit feiner Klinge dafür, dass Coes Kandidatur unter Vorbehalt steht: Um das IOC anführen zu dürfen, müsste er im Augenblick seiner Wahl als World-Athletics-Chef abtreten, was aber seine IOC-Mitgliedschaft erlöschen lassen würde, die aber wiederum Voraussetzung für das Präsidentenamt ist. Eine persönliche Mitgliedschaft für Coe wäre eine theoretische Möglichkeit, hätte Bach nicht in Paris Großbritanniens letzten freien Platz schon an NOK-Chef Hugh Robertson vergeben. Zudem müssten für Coes Präsidentschaft die Altersregularien des IOC per Ausnahmedekret verändert werden.
Tatsächlich, das lässt Bachs IOC auch treuherzig wiederholt verlauten, entsprechen alle Kriterien der nun als dogmenähnlich dargestellten Vorgaben der IOC-Charta. Die IOC-Propaganda unterschlägt dabei allerdings ebenso immer wieder, dass die Vorschriften der Charta für eine dritte Amtszeit Bachs problemlos hätten angepasst werden sollen.
Dennoch haben Coe und auch Samaranch, der von Bachs Ränkespielen mit der Altersgrenze betroffene Sohn des einstigen IOC-Chefs, ihre Hüte zunächst einmal in den Ring geworfen. Beide gewieften Funktionäre sehen sich demnach offenbar in der Lage, trotz ihrer schwierigen Ausgangslagen noch endgültig für die Wahl Mitte März in Athen zugelassen zu werden.
Unerwartet hohe Bewerberzahl
Doch damit wäre noch gar nichts gewonnen. Seit seinem Amtsantritt 2013 hat Bach das IOC durch die Berufung neuer Mitglieder auf sich zugeschnitten und persönliche Abhängigkeiten geschaffen. 70 Prozent aller IOC-Mitglieder erhielten ihren privilegierten Status unter dem deutschen „Sonnenkönig“. Die Vorstellung, wie Bach die Zeit der verbotenen Kandidatenwerbung bis zur einzigen Vorstellungsrunde im Januar für seine Interessen nutzen könnte, fällt nur allzu leicht.

Unberechenbar wird die Wahl nicht zuletzt auch durch die unerwartet hohe Zahl von Bewerbern. Besonders Eliasch und Watanabe wird jedoch bereits nachgesagt, lediglich taktische Kandidaturen eingereicht zu haben, um auf der Zielgeraden ihre Stimmenpakete auf andere Mitbewerber zu übertragen. Prinz Faisals Kandidatur gilt unterdessen als umstritten, nachdem der Einfluss arabischer Länder wie Katar oder Saudi-Arabien bereits in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen ist und schon für viele Negativschlagzeilen gesorgt hat.
Wie auch immer die Wahl in Olympias Stammland ausgehen mag: Der neue IOC-Präsident wird einer der wichtigsten Ansprechpartner des DOSB bei seinen Bemühungen um die Ausrichtung von Sommerspielen ab 2036 sein. Insider mutmaßen schon, dass ein von Bach emanzipierter „Herr der Ringe“ Olympia-Wettbewerben in Deutschland gegenüber positiver stehen könnte als der derzeitige IOC-Boss.