Deutschlands Verwaltung soll einfacher und überschaubarer werden. Ende September wurde das Bürokratieentlastungsgesetz IV verabschiedet. Allein die 74 Maßnahmen verraten: Es wird noch lange dauern.
Es war eine schwere Geburt, gesteht Sabine Kuhlmann, und ist froh, dass am Ende doch noch das vierte Bürokratieentlastungsgesetz im Bundestag zustande gekommen ist. Der jüngste Streit entbrannte um die Aufbewahrung von geschäftlichen Kontoauszügen. Die Zeitspanne soll von zehn auf acht Jahre verkürzt werden, doch sofort meldeten sich Kritiker mit der Befürchtung, dass damit die Steuerhinterziehung begünstigt werden könnte.
Für Kuhlmann ein typisches Beispiel für die Hürden beim Bürokratieabbau in Deutschland. „Kaum hat ein Vorschlag das Licht der Öffentlichkeit erblickt, sind die Bedenkenträger auch schon in der Spur und warnen vor möglichen negativen Folgen“. Die Professorin für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Potsdam kennt das zur Genüge. Die 54-Jährige berät seit Jahren Ministerien oder Bundesämter, wie Gesetze und daraus resultierende Verordnungen einfacher ausgestaltet werden können.
Seit drei Jahren ist sie stellvertretene Vorsitzende des Normenkontrollrates, sozusagen der deutschen Bürokratie-Polizei, die nicht nur ein weiteres Ausufern verhindern, sondern auf lange Sicht auch Bürokratie abbauen soll. „Wir sind auf einem guten, auch wenn es noch ein langer Weg sein wird.“ Um diesen zeitlich etwas abzukürzen fordert Kuhlmann vom Bundestag jedes Jahr ein Bürokratieentlastungsgesetz, wie das vierte, das jetzt verabschiedet wurde.
Wer sich willkürlich einige der 74 jetzt auf den Weg gebrachten Entlastungsmaßnahmen bei der Verwaltung raussucht, bekommt einen eindrucksvollen Einblick, wieviel Arbeit da noch vor dem Normenkontrollrat liegt. Erst vor zwei Jahren wurde das „Nachweisgesetz über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen“ von der EU verschärft. Gemeint sind Arbeitsverträge. Dabei ging es darum, dass diese „der Schriftform“ bedurften. Das wurde nun wieder kassiert und die einfachere „Textform“ ist ausreichend. Auf den Punkt gebracht: Arbeitsverträge können zukünftig auch per E-Mail geschlossen werden und sind rechtskräftig.
Einfach mal das Intranet nutzen
Doch keine Entbürokratisierungsmaßnahme ohne Ausnahmen. Wegen des Verdachts der vermehrten Schwarzarbeit sind folgende Branchen ausgenommen: Bau-, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, die Speditions-, Transport- und Logistikbranche sowie die Fleischwirtschaft.
Eine weitere Entbürokratisierungsmaßnahme räumt mit einer Verordnung des beginnenden 20. Jahrhunderts auf, den „Aushangpflichten an Arbeitsstätten“. Da geht es in einem Betrieb darum, dass das „Arbeitszeit- und das Jugendarbeitsschutzgesetz für alle Beschäftigten öffentlich ausgelegt oder ausgehängt“ werden müssen. Nun der „Verordnungs-Quantensprung“: Zukünftig reicht es aus, wie es in vielen Betrieben klammheimlich bereits seit Jahren praktiziert wird, die Vorschriften im betriebseigenen Intranet für alle Mitarbeiter zugänglich zu veröffentlichen. Auch für den deutschen Bürokratieabbau gilt ganz offensichtlich: Großes fängt im ziemlich Kleinen an.
Darauf angesprochen, wie viele Bürokratieentlastungsgesetze es noch bräuchte, um die deutsche Verwaltung tatsächlich effizienter zu gestalten, hält sich Verwaltungs-Professorin Kuhlmann mit einer Prognose vornehm zurück. Der Wille zählt. Für das kommende Jahr hat sie mit ihren Kollegen vom Normenkontrollrat bereits eine neue Forderungsliste erstellt. Ganz oben auf dieser Liste steht das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Allein das Wortungetüm garantiert mehr Bürokratie. Dieses Gesetz soll nun auf die tatsächlichen EU-Vorgaben reduziert werden und nicht den deutschen Verwaltungs-Goldstandard erfüllen. Würde es dazu kommen, also die EU-Vorgabe eins zu eins einfach umgesetzt werden, wäre davon nur noch die Hälfte aller deutschen Unternehmen überhaupt betroffen. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?