Baltimore in den 60er-Jahren. Eine jüdische Reporterin und eine schwarze Barfrau versuchen sich von den Fesseln zu befreien, die ihnen eine repressive Gesellschaft angelegt hat. Natalie Portman und Moses Ingram erzählen in „Lady in the Lake“ ihre tragische Geschichte mit viel Leidenschaft.

Maddie Schwartz (Natalie Portman) rastet aus. Voller Wut knallt sie einen Teller auf den Küchenboden, der daraufhin in tausend Stücke zerbirst. Für ihren verständnislosen Ehemann Milton (Brett Gelman) ist das alles andere als komisch. Und auch ihr nassforsches Söhnchen Seth (Noah Jupe) findet den hysterischen Anfall seiner Mutter eher peinlich. Aber Maddie ist stinksauer und frustriert. 20 Jahre lang hat sie als brave jüdische Hausfrau nichts anderes getan, als ihren Mann hinten und vorne zu bedienen. Und dabei seine gönnerhaften Belehrungen und Gängeleien wortlos erduldet. Doch jetzt ist ihr der Kragen geplatzt. Milton hat gerade das Brisket, das sie für ein Thanksgiving-Dinner zubereitet hatte, in den Abfalleimer gekippt. Angeblich, weil sie zum Servieren keinen koscheren Teller benutzt hat. Außerdem nimmt sich Maddie – anscheinend als Einzige – die Ermordung der kleinen Tessie aus der jüdischen Gemeinde so sehr zu Herzen, dass es sie fast aus der Bahn kippt. Maddie packt also ihre Koffer und zieht aus einem Haus in der privilegierten Vorstadt Baltimores in das heruntergekommene Schwarzenviertel The Bottom.
Emanzipation hat einen hohen Preis

Cleo Johnson (Moses Ingram) hat afroamerikanische Wurzeln und ist die Mutter zweier Kinder. Sie hat ihre Karriere als Sängerin zugunsten von Jobs aufgegeben, die sie und ihre Kinder gerade mal so über die Runden bringen. Tagsüber steht sie als Model im Schaufenster eines Nobelkaufhauses, abends kellnert sie als Barfrau in einem Club, in dem ihr Ehemann als Stand-up-Comedian Witze reißt. Außerdem arbeitet sie als Buchhalterin für den afroamerikanischen Paten Shell Gordon (Wood Harris), der ein illegales Wettbüro im Bottom-Viertel betreibt. Eines Nachts heuert ein Handlanger von Gordon sie an, um das Auto zu fahren, in dem sich Auftragskiller auf den Weg machen, um eine Lokalpolitikerin aus dem Weg zu räumen. Der Mordanschlag misslingt. Aber das ist erst der Anfang von Cleos Untergang.

Nach Motiven aus Laura Lippmans gleichnamigem Roman erzählt „Lady in the Lake“ die tragische Geschichte zweier Frauen, die sich – jede auf ihre Art– emanzipieren und ihr eigenes Leben selbst in die Hand nehmen wollen.
Maddie versucht ihren Traum als Journalistin zu verwirklichen und kommt nach vielen Kämpfen tatsächlich als Reporterin beim „Baltimore Star“ unter. Cleo probiert durch einen mehr oder weniger geschickt eingefädelten Wettbetrug an das nötige Geld zu kommen, das ihr und ihren Kids den Absprung in ein besseres Leben ermöglichen soll. Doch dann wird Cleo tot in einem Brunnen gefunden. Ermordet. Maddie ist abgestoßen von der Gleichgültigkeit, mit der die (weißen) Medien den Mord an einer Schwarzen ignorieren, und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.
Den Zeitgeist genau eingefangen

Der israelischen Filmemacherin Alama Har’el („Honey Boy“) gelingt es, in dichten und stimmigen Bildern den damaligen Zeitgeist einzufangen und eine bedrückend-bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, durch die wir als Zuschauer den schwierigen gesellschaftlichen Umbruch der 60er-Jahre in Amerika nachempfinden können. Als Stilmittel setzt sie auch Rückblenden und Traumsequenzen ein, die in ihren magischen Überhöhungen mitunter eine starke emotionale Wirkung erzielen. Der besondere Clou: Von Anfang an gibt die bereits tote Cleo aus dem Off rätselhafte Hinweise auf den Verlauf der Story. Und die Parallelführung der Geschichten von Maddie und Cleo – die sich im Film nur einmal zufällig begegnen – ist ein weiterer Kunstgriff, der zeigt, wie die Schicksale einer weißen und einer schwarzen Frau, die doch beide nur in Freiheit leben wollen, damals unvereinbar waren.
Vor allem auch durch die ästhetische Opulenz und das hervorragende Spiel von Natalie Portman und Moses Ingram ist die siebenteilige Serie „Lady in the Lake“ (auf Apple TV+) ein Höhepunkt im täglichen Streaming-Allerlei. Und wir wollen nicht vergessen, was Cleo zu Beginn der Geschichte sagt: „Bis der Löwe die Geschichte erzählt, ist der Jäger der Held.“