Drei Fragen
„Eine Gesellschaftsstütze“
Es muss ein Recht für junge Menschen geben, sich nach der Schule beruflich ein Jahr lang zu orientieren, fordert Alexandra Hoorn von der Arbeiterwohlfahrt Berlin, stellvertretend für ein bundesweit breites Bündnis „Recht auf Freiwilligendienst“.
Frau Hoorn, bislang wird in Deutschland über eine Pflicht für ein Gesellschaftsjahr diskutiert, was ist der Unterschied zum „Recht auf Freiwilligendienst“?
Mit einer Pflicht kommen wir bei den jungen Menschen heute nicht weiter, die Motivation dürfte sich in Grenzen halten. Abgesehen davon, dass diese Pflicht vom Aufwand derzeit gar nicht umsetzbar wäre. Ein Recht auf einen Freiwilligendienst bedeutet, nach der Schule „können“ es die jungen Menschen machen. Das geht jetzt auch schon, aber es ist kompliziert. Ein Interessent hat eine Einrichtung gefunden, diese möchte ihm die Berufsorientierung ermöglichen. Gibt es ein Recht auf das Freiwilligenjahr, wäre diese Stelle mit einer Bundesförderung hinterlegt, die Tätigkeit damit als Berufsbildungsmaßnahme anerkannt, das ist derzeit nicht so.
Ein Problem für viele Eltern dürfte die Finanzierung eines solchen Jahres sein, die Leute im Freiwilligendienst müssen von irgendwas leben. Wie stellen Sie sich das vor?
Gibt es erst mal ein Recht auf den Freiwilligendienst, dann ist die logische Konsequenz, dass die Tätigkeit auch Anerkennung erfährt. Darum fordern wir ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf Bafög-Ebene, allerdings sollte das dann für alle gelten, damit die „freiwilligen Dienstleister“ an der Gesellschaft, dann auch unabhängig von ihrem Elternhaus sind. Bislang gibt es beim Freiwilligendienst ein Taschengeld, zwischen 300 und 600 Euro, aber das muss natürlich höher sein.
Wie wollen Sie die potenziellen Adressaten über ihr Recht auf den Freiwilligendienst informieren, die Schülerinnen und Schüler müssen Sie ja erreichen?
Das dürfte nicht so schwierig sein, wir könnten zum Beispiel direkt über die Schulen gehen, oder aber Anschreiben an die Elternhäuser schicken. Bei Interesse könnten dann sofort Beratungstermine vereinbart und dort dann den Jugendlichen die Vorteile des Freiwilligendienstes nähergebracht werden. Nun muss dieses Jahr nicht ausschließlich im sozialen Bereich stattfinden, sondern das kann auch im sogenannten Blaulichtbereich, also beim DAK, ASB oder aber DLRG stattfinden. Dazu kommen dann noch Aufgaben in der Kultur oder dem Sport. Wir sind als Bündnis Freiwilligendienst denkbar breit aufgestellt. Interview: Sven Bargel

Neue Schwerpunkte des Bundesrats
Traditionell wird bei den Feierlichkeiten am Tag zur Deutschen Einheit symbolisch der hölzerne Staffelstab zur Präsidentschaft der Länderkammer übergeben. Ab dem 1. November übernimmt diese das Saarland von Mecklenburg-Vorpommern. Motto in den vergangenen zwölf Monaten für die Präsidentschaft im äußersten Nordosten der Republik: „Vereint Segel setzen“. Die politische Stoßrichtung ab dem 1. November bleibt unter saarländischer Führung zwar ähnlich, doch wenn das südwestliche Bundesland die Präsidentschaft des Bundesrats übernimmt, ändert sich auch der politische Schwerpunkt, kündigte Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) an. Ihr Motto: „Zukunft durch Wandel“. Ihre erste Reise soll sie daher nach Frankreich führen, um die in den letzten Jahren in Teilen schwierigen Beziehungen zu unserem westlichen Nachbarn zu glätten. Ein weiteres Projekt ist die Intensivierung der Konsultationen des sogenannten Weimarer Dreiecks, Regierungsgespräche zwischen Frankreich, Polen und Deutschland.
Fahrplan für mögliches AfD-Verbotsverfahren
Seit Jahren setzt sich der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz für ein Verbot der AfD ein, nun ist er einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Für den fraktionsübergreifenden Gruppenantrag im Bundestag hat er die nötigen 37 Parlamentarier zusammen. Der 48-jährige sächsische CDU-Abgeordnete hat Mitstreiter bei der SPD, Grünen, der FDP und der Linkspartei gefunden. Im knapp achtseitigen Antragstext heißt es: „Im Lichte der deutschen Geschichte, den bisher bekannten Erkenntnissen der Verfassungsschutzämter sowie der obergerichtlichen Rechtsprechung gebietet es die Verantwortung des Deutschen Bundestags für unsere freiheitliche Demokratie, ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten.“ Allerdings ist ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ein mehr als aufwendiges Unterfangen. Nach einem Mehrheitsbeschluss des Bundestages muss der Bundesrat oder die Bundesregierung entscheiden und den Antrag stellen. Kommt es dazu, würde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vermutlich erst in drei bis fünf Jahren fallen.
Grüne verlieren vor allem junge Mitglieder

Die Negativspirale hat offensichtlich die Grüne Jugend voll erwischt. Kurz nach dem Rücktritt des Grünen-Bundesvorstands um Ricarda Lang und Omid Nouripour zog auch der zehnköpfige Vorstand der Grünen Jugend radikal seine Konsequenzen, trat nicht nur geschlossen zurück, sondern gleich aus der Partei aus. Nun hat der Nachwuchs in den Landesverbänden nachgezogen: Die Landesvorstände aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz haben nicht nur ihre Rück- sondern ebenfalls gleich ihre Parteiaustritte erklärt. Auch Teile des Brandenburger Vorstands schlossen sich an. An der Basis sorgt dies in den betroffenen Landesverbänden offenbar für viele Nachahmer, aktuelle Austrittszahlen liegen allerdings nicht vor. Die Pläne, eine junge eigene „sozialistische Umweltpartei“ zu gründen, scheinen dagegen vom Tisch zu sein. „Es gibt schon genügend Parteien in diesem Spektrum“, so die ehemalige Bundesvorsitzende Katharina Stolla.

Demonstration
Frieden um jeden Preis
Laut Angaben der Veranstalter war es die größte Friedensdemonstration seit Jahrzehnten in Deutschland, die am Tag der Deutschen Einheit an der Berliner Siegessäule stattgefunden hat: Über 40.000 Menschen sollen es gewesen sein, die Polizei spricht von 10.000, die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Das Besondere: Auf der Bühne standen Vertreter von BSW, CSU, SPD, Linken und verschiedenen kleineren Friedensgruppen. Etwas irritiert reagierten die Friedensbewegten, als der ehemalige Rechtsaußen der CSU, Peter Gauweiler, mit der Namensgeberin des Bündnis Sahra Wagenknecht gemeinsam auftrat. Der 75-Jährige begründet gegenüber FORUM seinen Auftritt mit der „späten Einsicht des Alters in das Wesentliche des Lebens und das sei nun mal der Frieden“. Neben Gauweiler sorgte auch der Außenpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion Ralf Stegner für Aufsehen, sichtlich bemüht, nicht mit Wagenknecht und Gauweiler gemeinsam abgelichtet zu werden. Stegner verteidigte vor den Friedensdemonstranten die Waffenlieferungen an die Ukraine sowie ihr Recht auf Selbstverteidigung und erntete daraufhin ein gellendes Pfeifkonzert. Die ausgerufene „neue Friedensbewegung“ wäre danach zu urteilen bereit, die Ukraine für Frieden zu opfern und positioniert sich kaum zu Russland und Putin, während die SPD-Linke Putin als Aggressor benennt. Auf der Demonstration wurden ebenfalls ein Stopp der Waffenlieferung an Israel und ein Ende des Krieges in Nahost gefordert.
Versicherungen für Autos werden teurer
Auto-Ersatzteile steigen im Preis, daher müssen Halterinnen und Halter von Autos wahrscheinlich mit steigenden Versicherungsprämien rechnen. Zwischen August 2023 und August 2024 seien die Preise für Ersatzteile im Schnitt um 6,2 Prozent gestiegen, teilte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, mit. Das führe auch für die Versicherer zu höheren Kosten. „Im vergangenen Jahr betrug der durchschnittliche Sachschaden in der Kfz-Haftpflichtversicherung eines Pkw rund 4.000 Euro, 2013 waren es noch 2.500 Euro“, so Asmussen. Im vergangenen Jahr fuhren die Kfz-Versicherer deshalb einen Verlust von rund drei Milliarden Euro ein und rechnen für 2024 mit einem Minus von rund zwei Milliarden Euro. Steigende Preise bei Ersatzteilen sind außerdem dem GDV zufolge eine langfristige Entwicklung. Auch künftig könnten die Preise also weiter steigen.
Frankreich muss sparen
Frankreichs neue Mitte-Rechts-Regierung will französischen Medienberichten zufolge erheblich sparen. Die öffentlichen Ausgaben sollen um insgesamt 40 Milliarden Euro sinken, wie französische Medien übereinstimmend berichten. Als eine Maßnahme sollen demnach die Renten statt zum Jahreswechsel erst zum Juli an die Inflation angepasst werden. Renten sind in Frankreich ein sensibles Thema. Wegen der Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron hatte es im vergangenen Jahr monatelang Streiks und Proteste gegeben. Ein weiterer Sparpunkt bei den Ausgaben sind dem Sender France Info zufolge die Ministerien. Ihnen sollen im kommenden Jahr insgesamt 20 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen. Weitere 20 Milliarden Euro möchte Premier Michel Barnier durch Steuererhöhungen erwirtschaften. Barnier hatte angekündigt, große Konzerne mit hohen Profiten und besonders reiche Bürgerinnen und Bürger stärker zur Kasse zu bitten.
Immer mehr Balkonkraftwerke

Die Zahl der Balkonkraftwerke in Deutschland steigt weiter rasant. Inzwischen zählt das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur 708.590 steckerfertige Solaranlagen in Betrieb. Das sind doppelt so viele wie zu Jahresbeginn. Wahrscheinlich ist die Zahl sogar noch höher, da es eine Frist von einem Monat für Nachmeldungen gibt und manche Anlagen– trotz Pflicht – schlicht nicht gemeldet werden. Die installierte Maximalleistung liegt inzwischen bei gut 600 Megawatt. Zum Vergleich: Das saarländische Kraftwerk Fenne liefert zirka 450 Megawatt an elektrischem Strom aus Erd- und Grubengas. Die Leistung der Balkonkraftwerke hat sich seit Jahresbeginn sogar mehr als verdoppelt, was auch daran liegen dürfte, dass inzwischen etwas leistungsfähigere Anlagen installiert werden dürfen.

Zweites Rezessionsjahr in Folge
Die Bundesregierung musste ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr erneut nach unten korrigieren. Ursprünglich gingen die Experten im Bundeswirtschaftsministerium von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Jahr von 0,3 Prozent aus. Doch Mitte Oktober musste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Prognose korrigieren. Aus den extrem geringen Wirtschaftswachstumserwartungen ist nun ein Minus geworden. Die Wirtschaft wird in diesem Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen. Es ist damit das zweite Rezessionsjahr in Folge, 2023 schrumpfte die Wirtschaft um 0,3 Prozent. Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ist für die Steuerschätzung und die Einnahmeplanungen von Bund und Ländern im kommenden Jahr wichtig. Trotz der aktuellen Negativzahlen ist Wirtschaftsminister Habeck optimistisch, dass die derzeitige konjunkturelle Schwäche im kommenden Jahr überwunden und die Wirtschaft sich wieder dynamischer entwickeln wird.
CDU
Union im Schlingerkurs

Ein Jahr vor der regulären Bundestagswahl hat die Union immer noch keinen einheitlichen Kurs für den Umgang mit den Grünen gefunden. CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz würde auf eine mögliche Koalition mit den Grünen eher verzichten, er hält die Grünen „derzeit“ nicht für regierungsfähig. Das kann sich aber ändern, so Merz. CSU-Chef Markus Söder dagegen fährt gegen eine mögliche schwarz-grüne Regierungskoalition im Bund scharfe Geschütze auf. Sollte es dazu kommen, droht er mit einem Veto. Die Landesverbände der CDU spielen da jedoch nicht mit. Immerhin können sich die CDU-Vorsitzenden in zwölf Bundesländern eine politische Zusammenarbeit mit den Grünen vorstellen, so eine Umfrage unter den Landesverbänden Mitte Oktober. Lediglich Brandenburg, Thüringen und Sachsen wollten sich zu einer grünen Koalitionsoption nicht äußern. Kein Wunder, in den drei Ost-Ländern finden derzeit Koalitionsverhandlungen statt. In Brandenburg und Thüringen stellt sich die Frage ohnehin nicht, dort sind die Grünen bei den jüngsten Landtagswahlen aus dem Parlament geflogen.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Kostengünstig in den eigenen vier Wänden wohnen – für viele Menschen nur ein Traum. In fast ganz Europa sind die Wohnkosten extrem hoch, Österreich und Deutschland gehören zum Hochpreissegment. Relativ günstig ist es nur noch in Dänemark und Italien.
Erstmals in der EU-Geschichte will sich nun Brüssel darum kümmern. Dazu hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Dänemarks Klima- und Energieminister Dan Jørgensen auserkoren. Nun soll der 49-jährige Sozialdemokrat europäischen Wohnraum günstiger machen. Im November soll er vom EU-Parlament im Amt bestätigt werden. Durchgesickert ist bereits, dass der Wohnungskommissar mehr Fördergelder generieren möchte. Dazu könnte er einen Teil des Kohäsionsfonds nutzen, der 392 Milliarden Euro umfasst.
Ein Problem Jørgensens ist, dass die EU beim Wohnungswesen wenig Kompetenzen hat. Deshalb wird er im Konsens mit den Regierungen geltende Regeln überarbeiten müssen, ohne nationale Brille. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum bedeutet auch, dass Menschen überall vernünftig sesshaft werden können. Preise und Mieten sind jedoch in die Höhe geschnellt und zugleich gibt es immer weniger Bautätigkeit und Renovierungen. Besonders prekär ist das für junge Städter. Das drückt auf den Arbeitsmarkt. Gegenden, in denen anständiges Wohnen unerreichbar ist, hält Fachkräfte vom Zuzug ab.
Viel Zeit hat Jørgensen nicht. Seine Chefin hat versprochen, den Plan zur Kostensenkung im EU-Wohnungsbau innerhalb der ersten 100 Tage der Kommissionsamtszeit vorzulegen.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.