An Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein mangelte es dem „Dobermann“ noch nie. Erst recht nicht nach dem Gewinn des Weltmeistertitels im Supermittelgewicht.

Jürgen Doberstein hat sich Ende September in der Saarbrücker Joachim-Deckarm-Halle einen großen Traum erfüllt: Mit 35 Jahren wurde der Boxprofi aus Kleinblittersdorf erstmals Weltmeister im Supermittelgewicht. In einem temporeichen, absolut WM-würdigen Kampf des Verbandes Global Boxing Council (GBC) hatte er sich nach Punkten klar gegen Twaha Kassim aus Tansania durchgesetzt.
„Der Kampf war Hammer. Der Kerl war gut vorbereitet – aber ich war noch besser vorbereitet“, stellt Jürgen Doberstein fest und erklärt: „Er ist schon pfiffig, sehr listig und auf jeden Fall klüger als ich es erwartet hatte. Das habe ich im Ring erkannt und mich dann darauf eingestellt.“ Von Anfang an agierte der Lokalmatador dominant, war klar aktiver und beweglicher. Der 32-jährige Kontrahent aus Ostafrika, vor dem Kampf noch in der Weltrangliste vor Doberstein gelistet, verhielt sich taktisch klug zurückhaltend und parierte Dobermanns Vorgehen bis Mitte des zwölf Runden dauernden Kampfes. Doberstein änderte seine Taktik, lockte Kassim, der darauf einging und in der Folge mehr Schläge austeilte. „Die musste ich nur blockieren oder auslassen und dann umso härter zurückschlagen Also genau das, was er mit mir machen wollte, habe ich einfach mit ihm gemacht“, fasst Doberstein zusammen und erklärt so, wie er Kassims stärkste Phase im Kampf jäh beendete. Der Dobermann biss immer wieder zu und streckte Kassim am Ende der neunten Runde sogar zu Boden. Ein starker linker Haken direkt auf’s Kinn zeigte Wirkung, und mit einer nachgeschobenen rechten Geraden schickte er seinen Gegner auf die Bretter. Der Gong rettete Kassim vor einem möglichen K.o. Die Halle kochte, und allen war schon jetzt klar: Es kann nur einen Sieger geben.
Mit dieser Gewissheit zeigte Jürgen Doberstein in der letzten Runde noch einmal sein „altes Gesicht“. Nach Punkten klar führend trommelte er nicht nur in hohem Tempo auf den Kopf seines Gegners, sondern zwischendurch auch auf seinen eigenen Brustkorb ein, um seine körperliche Fitness und Überlegenheit zu zelebrieren. Auch ein paar – sicher nett gemeinte – Worte flogen Twaha Kassim dabei um die Ohren. „Ein bisschen Quatsch habe ich gemacht, aber Liegestützte wollte ich dieses Mal nicht machen“, sagt Doberstein in Anspielung auf frühere Tage, als er seinen Gegner mit Liegestützen im Ring verhöhnte. Doch diese Zeiten sind vorbei, der „neue Doberstein“ strotzte zwar vor Selbstbewusstsein, blieb aber wie sein Kontrahent zu jeder Zeit sportlich fair. Bis der Schlussgong ertönte und sich nach 25 Jahren als Profi endlich der große Traum vom Weltmeistertitel erfüllte. „Ein Konditionswunder“, staunte Axel Schulz, der den „tollen Kampf“ im Rahmen der dritten „Ursapharm Fight Night“ mitkommentierte. Direkt nach dem Kampf sagte der neue GBC-Champion im Supermittelgewicht, der bis auf eine Rippenprellung keine Blessuren davongetragen hat: „Heute habe ich es allen gezeigt, aber für mich, innerlich, war ich schon lange Weltmeister.“
Tatsächlich war Doberstein, der 1989 in Kasachstan geboren wurde und 1998 mit seiner Familie ins Saarland zog, dies zuletzt 2012, als IBF-Junioren-Weltmeister. Seit seinem 18. Lebensjahr steigt er als Profi in den Ring. Nach den Titeln WBF-Intercontinental-Champion, IBF-Mediterranean-Champion und WBA-Intercontinental-Champion ist der GBC-Weltmeistertitel sein mit Abstand größter. Aber: Was kommt als nächstes? „Darüber mache ich mir im Moment noch keine Gedanken. Natürlich habe ich nach dem Kampf einige Anrufe bekommen, aber ich muss mir das erst selbst gut überlegen. Es gibt unterschiedliche Optionen, aber jetzt und in den nächsten Wochen werde ich noch keine Entscheidung treffen“, sagt der neue Weltmeister.
Aufhören ist keine Option
Nur eines steht für ihn fest: Aufhören ist keine Option. „Überhaupt nicht“, sagt er und lacht: „Ich habe im Alter von 35 Jahren gerade den besten Kampf meiner Karriere gehabt. Körperlich, intellektuell, taktisch – wenn ich bis 35 in allen Bereichen besser geworden bin, dann kann ich bis 40 noch viel besser sein. Den Anspruch habe ich einfach.“ Gerecht werden will er dem eigenen Anspruch vor allem dadurch, nichts an seiner seit drei Jahren praktizierten autodidaktischen Trainingsmethode zu ändern. Er sei zwar „durch die Hölle gegangen“ – aber eben mit Erfolg: „Ich wäre ein Idiot, daran jetzt etwas zu ändern. Ich bin im Moment so fit wie nie“, stellt Doberstein klar und ist sicher: „Die Eigenständigkeit und Freiheit hat mich dahin geführt, immer besser zu werden. Das hat der Kampf bestätigt, und wenn ich so bestätigt werde, mache ich natürlich genauso weiter.“ Zwar hatte er auch im Vorfeld des Kampfes mit unterschiedlichen Trainern zusammengearbeitet. Im Vergleich zur Zeit davor aber inhaltlich stets selbst die Oberhand behalten (wir berichteten). Bis zu seinem nächsten Kampf, der spätestens in einem halben Jahr stattfinden soll, wird er Ideen für neue Impulse und Trainingsinhalte sammeln. „Für mich ist es wichtig, außergewöhnliche, verrückte Sachen auszuprobieren – ohne dass jemand davon erfahren muss. Erst im Ring will ich den Leuten in der Halle zeigen, was ich draufhabe“, sagt er und schiebt nach: „Vorher darüber zu labern, macht mir keinen Spaß.“

Bevor er sich wieder intensiv seinem neuen Ziel widmet, ist allerdings erst einmal Erholung angesagt. Körperlich– wenngleich er keine echte Trainingspause einlegt ‒ und vor allem mental: Nach drei Tagen in Österreich folgt ein Holland-Urlaub mit der ganzen Familie. „Nachdem man sich so sehr auf dieses eine Ereignis fokussiert hat, braucht man einfach etwas Zeit, um runterzukommen. Auch noch Wochen nach dem Kampf. Das ist schon extrem“, verrät Doberstein und erklärt: „Man ist erst monatelang im freaky-Modus und bereitet sich so vor, als würde man in den Krieg ziehen. Das ist Kampfsport, was wir hier machen und keine Spaßveranstaltung. Der Gegner will einen zerstören. Man ist auf alles gefasst.“ Dann solle man am Tag nach dem Kampf morgens aufstehen „und alles ist wieder easy und locker? Das funktioniert so nicht. Aber das ist genau meine Welt: Die ist halt verrückt und cool. Und ich fange jetzt erst richtig an.“