Auch die letzte Ausstellung, die Ralph Gleis, der Direktor der Alten Nationalgalerie, kuratiert hat, ist hochkarätig: „Monet und die impressionistische Stadt“.

Es ist ein ganz besonderes Jahr für Paris: Fast 10 Millionen Menschen kommen 1867 zur Weltausstellung in die französische Hauptstadt. Sie staunen nicht nur über Erfindungen wie Stahlbeton, das motorbetriebene U-Boot und das Fahrrad mit Pedalkurbelantrieb sowie die ersten Bateaux Mouches, mit denen der öffentliche Fahrgastverkehr auf der Seine seinen Auftakt nimmt, sondern auch über das neue Erscheinungsbild der Metropole. Im Auftrag von Napoleon III. und nach den Plänen von Georges-Eugène Haussmann wurden neue Straßen, Bahnhöfe, Markthallen, Plätze und großzügige Grünflächen gebaut. Sichtachsen setzen alte Monumente nun gekonnt in Szene. Die breiten Boulevards und langen Avenuen sind zu Bühnen der Bourgeoisie, des aufstrebenden Bürgertums geworden, Flaneure, Touristen, Kutschen und Droschken bestimmen das Straßenleben.
Ist es die mondäne Atmosphäre, die den damals noch wenig bekannten Claude Monet so fasziniert? So sehr, dass er nicht wie die anderen Maler im Louvre studiert und kopiert, um von den alten Meistern zu lernen, sondern um Genehmigung bittet, vom Balkon des Museums – sozusagen mit dem Rücken zur Geschichte – das neue Paris zu malen? Von dort sieht er auf eine reizvolle Gegend mit dem umgestalteten Place de Louvre, Kastanienbäumen und modisch gekleideten Passanten. Der erhöhte Standpunkt bietet zudem Blick auf die modernen Wohnhäuser sowie die Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois mitsamt ihrer detailreichen spätgotischen Fassade: die große Fensterrose, das kunstvolle Strebewerk, die Kreuzblumen und Dachfiguren.
Das alles verarbeitet der 26-Jährige zu einem Bild, das sich seit 1906 im Besitz der Alten Nationalgalerie in Berlin befindet und noch bis 26. Januar 2025 mit zwei weiteren Werken im Zentrum einer beeindruckenden Ausstellung steht: „Monet und die impressionistische Stadt“.

Kuratiert wurde sie von Dr. Ralph Gleis, Direktor der Alten Nationalgalerie, unterstützt durch Josephine Hein als kuratorische Assistenz. Zu den Talenten des renommierten Kunsthistorikers zählt ganz offensichtlich die Vernetzung. In der Ausstellung stammt nur das bereits erwähnte Gemälde „Saint Germain l’Auxerrois“ aus eigenem Bestand, der Rest sind Leihgaben unter anderem aus der Sammlung Hasso Plattner, dem Museum der schönen Künste in Lyon, dem Musée d’Orsay in Paris und dem Kunstmuseum Den Haag. Von letzterem stammt „Quai du Louvre“, der zweite Star der Ausstellung. Auch hier: frühlingshafte Leichtigkeit und lebendiges Treiben. Auf der Uferstraße und der im Hintergrund zu sehenden Pont Neuf herrscht reger Verkehr. Das Sonnenlicht setzt das Wasser der Seine in Szene, lässt die hellgrünen Blätter der Bäume erstrahlen und sorgt augenscheinlich für vergnügliche Stimmung bei den Damen mit Sonnenschirm und Herren mit Zylinder, die bei näherer Betrachtung nur aus Farbtupfen bestehen. Gaslaternen, eine Litfaßsäule, ein Verkaufskiosk und ein großes Werbeplakat erzählen vom urbanen Großstadtleben im Jahr 1867. In der Ferne erhebt sich die markante Kuppel des Panthéon, das historische Wahrzeichen, als Reminiszenz an die Vergangenheit.
Ähnliches gilt für „Le Jardin de l’Infante“: Im Prinzessinnengarten, wie der Titel übersetzt lautet, ist die Stimmung heiter. Der lebendigen Straßenszene mit ihren flüchtig gemalten Menschen hat Monet nur einen schmalen Streifen in der Bildmitte gewährt, darüber blühende Bäume, das Häusermeer der Stadt mit dem Panthéon und der Himmel, darunter die gepflegten Grünanlagen. Auffallend bei der Leihgabe des Allen Memorial Museum in Ohio ist das Hochformat – unüblich für eine Landschaftsdarstellung und vermutlich vom japanischen Holzschnitt beeinflusst, der zu dieser Zeit in Paris en vogue war.
Entscheidender Moment in der Kunstgeschichte

Als „entschiedene Hinwendung zur Gegenwart und Abwendung von der Tradition“ bezeichnet Gleis die Entscheidung Monets für diese profanen, wie zufällig gewählten Motive. Im Gegensatz zu den barocken Veduten-Malern, die Orte möglichst detailgetreu dokumentieren, fängt der Künstler Augenblicke und Stimmungen ein. Er verwendet kräftige Farben und einen spontanen, schnellen Pinselstrich, um die lebendige Wirkung des Lichts und Stimmungen darzustellen. Diese neue Art zu malen kann als ein entscheidender Moment in der Kunstgeschichte bezeichnet werden – das Ende der alten akademischen Malerei, vielleicht sogar die Geburtsstunde des Impressionismus, also sieben Jahre vor der Gruppenausstellung, die als Beginn der neuen Ära gilt. Es ist heute kaum vorstellbar, dass die drei Werke 1869, zwei Jahre nach ihrer Entstehung, beim Pariser Salon, der etablierten Kunstmesse, ohne Erfolg eingereicht und sogar als „Scheußlichkeit“ bezeichnet wurden. Die betonte Schnelligkeit im Farbauftrag, die neuen Perspektiven auf die Stadt sowie die strahlende Helligkeit und Intensität der Farben sorgten für Irritationen. Kurz: Monets atmosphärische Stadtlandschaften waren zu modern für ihre Zeit.
Die Zweifel sind Vergangenheit. „Dieses Bildertrio im direkten Vergleich sehen zu können, ist eine Jahrhundertchance und ein Muss für alle Liebhaber der Kunstgeschichte“, schreibt Christian Korhorst, der Vorsitzende der „Freunde der Nationalgalerie“, in seinem Grußwort im Ausstellungskatalog. Für „Monet und die impressionistische Stadt“ haben Ralph Gleis und sein Team einen kleineren Saal mit Kabinett gewählt. Grüne Metallstühle, bekannt aus den Pariser Parks, nehmen Bezug zu den Motiven. Zu „Saint Germain l’Auxerrois“, „Jardin de l’Infante“ und „Quai du Louvre“ gesellen sich mehr als 20 Werke von französischen Meistern wie Maximilien Luce, Gustave Caillebotte, Camille Pissarro, Henri Matisse und Auguste Renoir. Mit Johan Barthold Jongkind ist zudem ein großer Niederländer dabei.
Ralph Gleis hat mit der hochkarätigen Schau nicht nur sich selbst einen langgehegten Traum erfüllt, sondern dem Publikum auch ein Abschiedsgeschenk gemacht: Nach sieben Jahren und mehr als 20 Ausstellungen wechselt er Anfang 2025 nach Wien, wo er als Generaldirektor die Albertina leiten wird.