Herbstzeit ist Pilzzeit. Wer sich auf die Suche nach schmackhaften Exemplaren begibt, sollte Experte sein oder einen Experten hinzuziehen. Bei einer Pilzexkursion können Laien viel dazulernen.
Der Oktober ist die beste Zeit, um in die Wälder zu gehen und Pilze zu sammeln. Die Waldfrüchte gibt es zwar fast das ganze Jahr über. Im Herbst ist jedoch die Chance am größten, einen der beliebten Speisepilze zu finden. Dazu muss es natürlich geregnet haben – was in diesem Jahr im Gegensatz zu anderen der Fall war.
Steinpilze, Maronenröhrlinge und Pfifferlinge wachsen derzeit in großen Mengen aus dem Boden. Sie sicher zu erkennen, ist eigentlich nicht besonders schwer. Wer sich darüber hinaus weiterbilden möchte, um sein Wissen über das faszinierende Reich der Pilze zu vergrößern, der ist bei Thomas Brandt an der richtigen Adresse. Der geprüfte Pilz-Sachverständige ist Vorsitzender des einzigen saarländischen Pilze-Vereins, der Pilzfreunde Saar-Pfalz mit Sitz in Bexbach.
Pilze sind Fruchtkörper des Myzels
Auf einer Exkursion in der Nähe von Ottweiler stellt Brandt zunächst die grundlegenden Sachverhalte dar. So ist das, was wir als Pilz sehen und bezeichnen, nur der Fruchtkörper des weit verzweigten Geflechts im Boden, das sich Myzel nennt. Die Frage, ob man es mit dem Herausziehen eines Pilzes beschädigt, ist vergleichbar damit, ob ein Apfelbaum abstirbt, wenn man mit dem Apfel einen kleinen Zweig abbricht. Brandt empfiehlt, am Pilz zu wackeln und ihn rauszudrehen. Wenn man ihn sicher erkannt hat, könne man ihn auch abschneiden. Apropos Bäume: Viele Myzelien bilden eine Symbiose mit bestimmen Baumarten. „Der Baum schenkt dem Pilz Nährstoffe und der Pilz dem Baum“, erklärt Brandt. Das sei der Grund, warum manche Pilzarten immer bei bestimmten Bäumen stehen, etwa der Goldröhrling nur bei Lärchen. Andere sind da flexibler, zum Beispiel der bekannte Fliegenpilz mit seinem roten Hut und den weißen Punkten darauf. Er steht zwar gern bei Birken, kooperiert aber auch mit anderen Baumarten.
Die Fruchtkörper sind für das Myzel notwendig, weil es sich ja schließlich vermehren möchte. Das geschieht über die mikroskopisch kleinen Sporen, die jeder Pilz in oder an sich trägt. Brandt erklärt die raffinierten Methoden, die verschiedene Arten verwenden, um diesen Pilz-Samen zu verbreiten. Da gibt es beispielsweise den weit verbreiteten Kartoffelbovist. Jeder, der im Herbst in den Wald geht, dürfte ihn schon mal gesehen haben. Tatsächlich wirkt er wie eine auf dem Boden liegende Kartoffel. Er trägt seine Sporen unter einer Hülle, die irgendwann platzt und ihren Inhalt als Staub in die Luft abgibt. Brandt weiß aber noch mehr: Er schält einen jungen Kartoffelbovist und zeigt ihn den Teilnehmern. „Er schmeckt und riecht nicht wie ein Trüffel, aber er sieht tatsächlich aus wie einer. Es gab schon Scharlatane, die das als Trüffel verkaufen.“ Das ist besonders perfide, weil der Verzehr des Kartoffelbovists nicht nur Magen-Darm-Probleme hervorruft, sondern sogar zur Erblindung führen kann.
Zurück zu den Methoden der Sporenverteilung: Die meisten Pilze besitzen einen Hut, die Sporen sitzen auf dessen Unterseite. Die besteht am häufigsten aus sogenannten Lamellen – Fliegenpilze oder Riesenschirmlinge sind bekannte Vertreter dieser Familie. Danach kommen die Röhrlinge, deren Hutunterseite einem Schwamm gleicht – daher auch der bayerische Begriff „Schwammerl“. Steinpilze und Maronenröhrlinge gehören zu dieser Gruppe. „Bei den Röhrlingen gibt es zumindest keine tödlich giftigen. Die wenigen giftigen sind ‚nur‘ Magen-Darm-giftig“, erklärt Brandt. Der einzige giftige Vertreter, der Satans-Röhrling, wurde auch im Saarland schon gefunden. Allerdings bereitet auch ein anderer Pilz dieser Gruppe Probleme: Wer den Gallenröhrling im Pilzgericht hat, kann dieses wegwerfen, so bitter ist dessen Geschmack. Um diesen sicher zu erkennen, sollte man ein kleines Stück probieren. Der Pfifferling besitzt weder Lamellen noch einen Schwamm. Seine Sporen sitzen an sogenannten Leisten. Der Semmelstoppelpilz wiederum ähnelt dem Pfifferling von oben betrachtet. Auf der Unterseite besitzt er jedoch kleine Noppen wie ein Tischtennisschläger. „Wegen der Stoppeln kann er viel mehr Sporen tragen, als wenn das eine glatte Fläche wäre“, erklärt Brandt.
Eines können die Exkursionsteilnehmer jetzt schon feststellen: Das Reich der Pilze ist unglaublich vielfältig. Laut dem Bundesamt für Naturschutz gibt es in Deutschland etwa 14.000 verschiedene Arten. Weltweit sind es zehnmal so viele. Gar nicht wie ein Pilz sieht zum Beispiel die Krause Glucke aus, die am Fuß von Kiefern aus dem Boden wächst. Sie ähnelt ganz einfach einem Badeschwamm. Im Gegensatz zu den baumfreundlichen Arten, die in Symbiose leben, ist die Krause Glucke ein Parasit, der seinen Wirt, die Kiefer, nach und nach zerstört. Oftmals ist dieser Pilz etwas schwierig zu säubern– er schmeckt aber hervorragend. Auch der Geruch ist bei der Pilzbestimmung extrem wichtig. Unter anderem deshalb darf ein Sachverständiger einen Pilz nur dann zum Essen freigeben, wenn er ihn selbst in der Hand gehalten hat – Fotos und Videos reichen oftmals nicht aus. „Pilze können unglaubliche Gerüche haben: Nach Anis, Bittermandel, Aas, Stinkmorchel, Stachelbeerkompott oder Chlor“, so Brandt.
Farben- und Formenvielfalt
Bei der Exkursion finden wir auch den Saitenstieligen Knoblauchschwindling, der ebenso nach seinem Geruch benannt wurde wie der Rettichhelmling. Geradezu widerlich sind die Ausdünstungen des Schwefelritterlings. Unbedingt nach Schwefel riecht dieser nicht, sondern irgendwie stechend unangenehm. „In der Literatur steht, er riecht nach Leuchtgas– wie auch immer das riechen soll“, sagt Brandt. Eine Unterscheidung, bei der es sehr auf den Geruch ankommt, ist die zwischen dem giftigen Karbolchampignon und essbaren Champignons. Ersterer riecht nämlich unangenehm nach Phenol, einer chemischen Substanz, die früher zur Desinfektion in Krankenhäusern verwendet wurde. Gekocht soll der Karbolchampignon ebenfalls einen schlimmen Geruch verbreiten. Aber, so weiß Brandt: „Es gibt Leute, die den auch gnadenlos verspeisen. Mit viel Speck, Knoblauch und Maggi.“ Erkennen kann man den Giftpilz auch daran, dass sich die Stielbasis chromgelb verfärbt, wenn man sie reibt.
Allerdings kennt Brandt eine schlechte Neuigkeit aus der Welt der Champignons: „Es ist in letzter Zeit des Öfteren ein falscher Wiesenchampignon aufgetaucht, der dem echten sehr ähnlich ist und selbst von einem geschulten Pilzsammler nur schwer unterschieden werden kann. Der ist Magen-Darm-giftig.“ Auch sei es generell so, dass man möglichst keine draußen gesammelten Champignons mehr verzehren sollte. „Weil die auch Cadmium sammeln und Schwermetalle.“ Der häufig zu findende Violette Lacktrichterling sammelt wiederum Arsen und wird laut Brandt gar nicht mehr empfohlen. Überhaupt gelte für alle Wildpilze, dass sie nicht häufiger als zwei- bis dreimal im Monat verzehrt werden sollten.
Wer aber nicht unbedingt auf eine Mahlzeit aus ist, kann sich an der unglaublichen Farben- und Formenvielfalt aus der Welt der Pilze erfreuen. Manche besitzen eine schleimige Hut-Oberfläche wie der Buchen-Schleimrübling oder leuchten intensiv türkisfarben wie der Grünspanträuschling. Auf Wiesen findet man Parasole mit Hüten, die bis zu 30 Zentimeter Durchmesser haben können, oder den Riesenbovist, der wie ein weißer Fußball aussieht. Bei der Stinkmorchel muss man nicht zweimal hinschauen, um zu wissen, warum die Römer sie Phallus impudicus („unzüchtiger Penis“) benannten. Manche Pilze wie das Stockschwämmchen wachsen in großen Mengen dicht nebeneinander auf einem Baumstumpf, andere bilden auf dem Waldboden einen Kreis, den sogenannten Hexenring. Und manche sind eben leider tödlich giftig. Der Klimawandel führt sicherlich dazu, dass sich hier neue Arten aus dem Süden ansiedeln. Deshalb gilt: Auch bei der kleinsten Unsicherheit sollten sich Pilzesammler an einen Sachverständigen wenden.