Thomas Neu kümmert sich um die Belange der tiefen Geothermie. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Nutzung von Erdwärme. Was man dabei beachten muss, wie es im Saarland damit aussieht und warum der riesige Schatz an Wärme unter unseren Füßen so wenig beachtet wird, verrät der Experte im Interview.

Herr Neu, wie sieht es aus mit der Geothermie im Saarland?
Wir müssen bei der Geothermie vier Arbeitsfelder unterscheiden, die hier im Saarland auch unterschiedlich stark besetzt sind. Das ist einmal die oberflächennahe Geothermie: Darum kümmert sich hier vor allem Professor Edwin Kohl mit seinem Null-plus-null-Konzept. Das hat nach meinem Dafürhalten Vorbildcharakter. Ich kann nur dringend empfehlen, dass viel mehr Menschen da mal näher hingucken, was Kohl hier bei einer intelligenten Kombination vorhandener Technik realisiert. Das ist wirtschaftlich hochinteressant, das ist ökologisch hochinteressant und das ist bekannte Technik.
Sie kümmern sich aber mehr um die tiefe Geothermie.
Ja. Zunächst gibt es dann die mitteltiefe Geothermie, das ist so zwischen 400 und 2.000 Meter.
Wie warm ist es dort unten?
Bis zu 50, 60 Grad. Das ist also schon ein interessantes Temperaturniveau, was da zur Verfügung steht.
Damit kann man schon heizen ...
Oder zumindest eine Wärmepumpe versorgen. Denn je höher die Vorlauftemperatur ist, umso weniger Strom braucht die. Die tiefe Geothermie ist dann ab 2.000 Metern. Ziel ist es, entweder Heißwasser führende Schichten anzubohren, wie man es in Bayern macht oder im Oberrheingraben – das könnte man hier im Saarland nur vielleicht an ausgesuchten Ecken machen; oder man realisiert eben die petrothermale Geothermie, indem man heiße Gesteinsschichten anbohrt und dort künstliche Wärmetauscher erzeugt. Die vierte Möglichkeit ist die Nutzung der Wärme aus Grubenwasser.
Warum wird das nicht gemacht?
Weil wir tief und fest schlafen. Das muss ich ganz klar so brutal formulieren. Wir haben zwei hochinteressante Beispiele hier im Saarland, die sogar schon mal Vorbildcharakter für ganz Deutschland hatten. Erstens: Bergwerk Reden. Dort wird weiterhin Grubenwasser hochgepumpt, das mit über 30 Grad in den Klinkenbach eingeleitet wird. Das ist ökologisch bedenklich, deshalb muss es auch abgekühlt werden. Man kam 2005 auf die gute Idee, dort den gesamten Gebäudekomplex des ehemaligen Bergwerks und das Gewerbegebiet Klinkenthal mit Wärme daraus zu versorgen. Die Anlage ist ungefähr fünf Jahre gelaufen. Und dann ist sie eingemottet worden. Weil man bei der Realisierung einen Fehler gemacht hat. Die Plattenwärmetauscher haben sich durch die Schwebstoffe und Mineralien regelmäßig zugesetzt und mussten aufwendig gereinigt werden.
Was hätte man stattdessen tun müssen?
Einfach die Plattenwärmetauscher durch Rohrbündelwärmetauscher mit automatischem Reinigungssystem ersetzen. Das ist Stand der Technik. So tief und fest schlafen wir im Saarland! Das interessiert nur keine Sau, obwohl ständig von der Energiewende die Rede ist. Ich renne gegen Windmühlen und fühle mich wie Don Quichotte.
Und das andere Beispiel?
Das ist eine Anlage, die jetzt von Iqony und der RAG in Camphausen realisiert wird. Mit Röhrenwärmetauschern und automatischem Reinigungskonzept. Das ist hochinteressant.
Warum denken Sie, dass Sie gegen Windmühlen rennen?
Das ist eine schwierige Frage, die ich mir natürlich schon oft gestellt habe. Ich rede ja mit verschiedenen Stadtwerken, auch mit vielen Politikern: Das Wissen über die Geothermie ist meistens nicht vorhanden. Viele Vorurteile dagegen schon. Wenn Wissen da ist, ist das häufig von anno dunnemals. Wir haben weit verbreitet viel zu wenig Bereitschaft, uns mit naturkundlichen oder ingenieurmäßigen Herausforderungen zu beschäftigen. Und wir glauben immer, das müsse sich innerhalb von drei, vier Jahren amortisieren. So ist das aber nicht. Man muss auch bereit sein, ein gewisses Risiko einzugehen. Aber es ist auch so: Wenn eine hoch verschuldete Gemeinde dafür Geld in die Hand nimmt, läuft das außerhalb der Verschuldung, weil es eine Zukunftsinvestition ist.
Was sagt denn das saarländische Wirtschaftsministerium, wenn Sie dort vorsprechen?

Geothermie steht nicht auf unserer Tagesordnung, wir haben eine Studie aus 2011, da steht drin, Geothermie geht im Saarland nicht. Ich kenne diese Studie, die ist von der damaligen Umweltministerin Simone Peter gemacht worden, heute Präsidentin vom Bundesverband erneuerbare Energien. Die Studie ist in ihrem Analyseteil gut, aber in ihren Schlussfolgerungen total überholt. Die heute zu zitieren zeigt nur, dass man sich überhaupt nicht weitergebildet hat.
Ging es darin auch ums Grubenwasser?
Nein, es ging im Wesentlichen um die Frage, ob wir hier hydrothermale oder petrothermale Geothermieprojekte realisieren können. Das Thema Grubenwasser kam da nicht vor. Man könnte es aber überall dort nutzen, wo es Steinkohlebergbau gab. Man darf sich von der Diskussion um die Flutung nicht kirre machen lassen. Nach der Flutung der Phase eins, die ja wahrscheinlich kommen wird, haben wir dann plötzlich 25, 30 Grad warmes Wasser unter unseren Füßen stehen. Diesen Schatz sollten wir uns doch mal näher angucken!
Und die Gefahr der Bergschäden an Gebäuden und Häusern?
Das aufsteigende Wasser kann in geringem Umfang Spannungen lösen – muss es aber nicht. Ja, es ist eine theoretische Gefahr, aber ich wollte eigentlich noch nicht mal das Wort Gefahr verwenden in dem Zusammenhang.
Hat man nicht im Saarland den Vorteil, dass der Untergrund durch den Bergbau recht gut bekannt ist?
Genau. Wir haben hier im Saarland hochinteressante Grundlagen aus dem Steinkohlebergbau, also bis in 2.000 Meter Tiefe. Wir haben außerdem auf der Spieser Höhe die Bohrung Saar eins gehabt. 1965, 1966 ging man dort 5.800 Meter tief. Das wurde komplett geothermisch untersucht. Ja, wer hat denn schon mal so eine Information? Das ist nicht häufig in Deutschland.
Wie lange braucht es, bis so eine Anlage sich amortisiert hat?
Deutlich weniger als zehn Jahre. Das sind überschaubare Zeiträume. Ich wundere mich, warum so was nicht vernünftig angegangen und vorbereitet wird. Ich sage nicht, dass das überall möglich ist. Aber man muss das erst ordentlich untersuchen, um sagen zu können, dass es nicht geht.
In Landau hat mal die Erde gebebt wegen einer Geothermie-Bohrung – das hat sicher das Vertrauen erschüttert.
Klar. Aber da hat man sehr viel daraus gelernt. Wie das damals realisiert wurde, würde man heute in keinster Weise mehr so machen. Im Oberrheingraben ist man in einem latent erdbebengefährdeten Gebiet. Wenn Sie da noch unvorsichtig reinbohren und dann noch richtig mit Druck, da brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn der Untergrund reagiert.
Was ist jetzt Ihr Vorschlag fürs Saarland?
Ich will es mal so formulieren: Es gibt ja jetzt das Wärmeplanungsgesetz seit dem 1. Januar 2024. Das verpflichtet die Kommunen dazu, zu untersuchen, wo sie ihre Fernwärme ausbauen können. Gerade bei diesem Thema hat die Geothermie eine Schlüsselfunktion. Man will ja Fernwärme nicht mit dem Tauchsieder und Strom aus Cattenom erzeugen oder weiterhin irgendwelche fossilen Brennstoffe dafür nutzen. Das heißt dort, wo man Fernwärme betreiben oder ein Fernwärmenetz umstellen will, da muss man auf geothermische Fernwärme umschwenken – und das muss eben untersucht werden.
Wo gibt es denn Förderung dafür?
Die gäbe es vom Bund, sei es für die Machbarkeitsstudie, für die Investition oder für die Wärmepumpe.
Erfordert die mitteltiefe Geothermie ebenfalls hohe Investitionskosten?
Das ist überschaubar. Wenn man Bohrungen so in 500, 600, 700 Meter macht, ist man zwar auch mit einem niedrigen Millionenbetrag drin, aber das ist hoch wirtschaftlich.
Ist man dabei auch abhängig davon, ob da unten die richtige Gesteinsschicht ist?
Gerade im Saarland ist das gut bekannt. Da sind tonige Sandsteine, die von der Wärmeleitfähigkeit ganz brauchbar sind. Da könnte man reines Wasser zirkulieren lassen.
Fördert die EU auch?
Der Bund fördert, die EU aber auch, sogar im großen Stil. Bayerische Gemeinden haben zusammen mit österreichischen Gelder beantragt und genehmigt bekommen für ein grenzüberschreitendes Fernwärmeprojekt. Die kriegen das hin, und wir als Saarländer, die wir uns doch ach so gut mit unseren luxemburgischen und lothringischen Kollegen verstehen, schaffen das nicht!
Wo gibt es sonst noch Modellprojekte, wo das Saarland mal genau hinschauen könnte?
Gucken Sie mal in den Oberrheingraben, gar nicht so weit entfernt.

Trotz der Sache in Landau?
Man darf ja lernbereit sein. Dort gibt es zwei Interessengruppen, das eine sind die Stadtwerke, das andere sind die Lithium-Hersteller. Ein Vorbildprojekt ist zum Beispiel ganz aktuell Speyer-Schifferstadt. Die beiden Städte haben eine gemeinsame Geothermie-Gesellschaft gegründet. Die wollen den Großraum Speyer-Schifferstadt mit geothermischer Fernwärme versorgen.
Und das Lithium?
Das steckt in dem Wasser aus den hydrothermalen Schichten, aber auch im Grubenwasser. Das weckt Begehrlichkeiten bei den Lithium-Unternehmen.
Gibt es anderswo auch schon die Wärmegewinnung aus Grubenwasser?
Das ist ein alter Hut. Da fallen mir mehrere Projekte im Raum Aachen oder im Ruhrgebiet ein. In den Niederlanden läuft eine Anlage schon seit 30 Jahren.
Wenn die Politik nicht so richtig mitzieht, wie ist es mit großen Unternehmen?
Anderswo machen ja BP oder die OMV schon Geothermie. Wenn wir uns jetzt nicht bald positionieren, holen sich andere den Braten. Ich bin aber mit vielen im Gespräch, es tun sich einige Türen auf. Übrigens: Wenn ich in Stadträten zum Thema Geothermie vortrage und daran erinnere, dass man als Bergmann in den saarländischen Steinkohlengruben früher gut geschwitzt hat – dann sind jene, die das noch am eigenen Leib verspürt haben, sofort Freunde der Geothermie.