Nicht nur Mauern schotten Inhaftierte von der Außenwelt ab. Oft gehen auch Kontakte in die Welt „da draußen“ verloren. Dabei sind diese in Sachen Resozialisierung von immenser Bedeutung. Lea Stolzenburg leitet seit 2023 das Projekt „Jail Mail“, das Briefkontakte zwischen Personen innerhalb und außerhalb der Vollzugsanstalten vermittelt.
Frau Stolzenburg, was genau steckt hinter „Jail Mail?
Jail Mail ist eine Plattform, bei der wir Briefkontakte vermitteln. Und zwar sehr besondere Briefkontakte: nämlich zwischen Personen, die inhaftiert sind und Personen, die außerhalb von Justizvollzugsanstalten sind. Also – in Anführungszeichen – „draußen“.
Wie kam diese Idee?
Das war nicht meine Idee. Ursprünglich hat das Projekt 2005 begonnen, damals hatte es eine andere Person ins Leben gerufen. 2019 musste das Projekt aber beendet werden (Aufgrund von Datenschutzproblemen; Anm. d. Red.) und wurde 2021 von zwei Frauen neu aufgezogen. Die Grundidee des Projektes wurde dabei etwas verändert: Zuvor war es eine Art Datingplattform, jetzt geht es wirklich um Brieffreundschaften. Hinsichtlich des Datenschutzes wurde auch einiges verändert. Es werden zum Beispiel keine Bilder mehr von inhaftierten Personen hochgeladen und auch keine Kontaktdaten. Im März vergangenen Jahres habe ich dann das Projekt übernommen, da die Gründerinnen aus persönlichen Gründen keine Zeit mehr dafür hatten.
Hatten Sie davor schon Berührungen mit „Jail Mail“ oder wie kamen Sie zur Projektleitung?
Ich hatte davor noch gar nichts mit Gefängnissen und inhaftierten Personen zu tun. Das war für mich ein ganz neues Thema. Es wurde damals über eine Internetplattform eine neue Leitung gesucht. Ich war interessiert, da ich ohnehin ehrenamtlich arbeiten wollte, gerne auch in einem Bereich, der nicht so typisch ist. Trotzdem habe ich lange überlegt: Ein Ehrenamt ist viel Verantwortung. Es verbraucht viel Zeit, und ich studiere und arbeite nebenbei. Wenn man es macht, will man es natürlich richtig machen. Ich wusste aber auch, dass, wenn ich es nicht mache, es vermutlich auch niemand sonst machen wird. So habe ich mich dann im Wissen, dass das Projekt sonst zu Ende geht, dafür entschieden.
Wie Sie bereits sagten: Ein Ehrenamt ist viel Arbeit. Wie viel Zeit investieren Sie etwa in Jail Mail?
Tatsächlich recht viel. Primär natürlich das wöchentliche Abholen der Briefe aus dem Postfach und dann natürlich die Bearbeitung, also die Weiterleitungen. Das geht recht schnell. Was wirklich Zeit kostet, sind die Inserate. Wir machen das im Moment zu zweit und brauchen dafür circa sechs bis acht Stunden die Woche. Dazu kommen dann Tätigkeiten, die nicht jede Woche anfallen, aber dennoch regelmäßig erledigt werden müssen wie beispielsweise das Löschen abgelaufener Inserate oder das Beantworten von E-Mails und Anfragen.
Kommen wir zum eigentlichen Projekt: Warum sind diese Briefkontakte für die Inhaftierten so wichtig?
Das hat mit dem Ziel der Resozialisierung zu tun. Das Ziel ist, dass die Personen, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen werden, wieder in die Gesellschaft integriert werden. Dafür sind soziale Kontakte unheimlich wichtig. Zum Beispiel um zu wissen, wie man sich verständigt, aber auch um zu wissen, welche Veränderungen es in der Welt gibt. Diese Welt in einem Gefängnis ist sehr abgeschottet. Nach einer Inhaftierung gehen auch ganz oft die Kontakte zu Familie und Freunden verloren. Es ist wichtig, nicht nur die bestehenden Kontakte zu pflegen, sondern auch neue zu knüpfen. Vielleicht auch zu Menschen, die andere Gedanken reinbringen, andere Ansichten haben oder sogar aus einer anderen Kultur kommen, damit man sich auch ein Stück weit aus dem alten Umfeld herauslöst, das vielleicht dazu beigetragen hat, dass man straffällig wurde. Wir hatten zum Beispiel den Fall eines Mannes, der über sein Inserat eine feste Freundin gefunden hat. Sie hat ihn besucht und sie haben viel telefoniert. Sie hat ihm nach der Entlassung auch dabei geholfen, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. Das war eine unfassbare Entlastung. Ich hoffe, dass das auch heute noch hält.
Wie hoch ist denn die Nachfrage – sowohl vonseiten der Inhaftierten als auch von draußen?
Die Nachfrage aus den Gefängnissen ist etwas größer als das Angebot an Brieffreunden. Pro Woche, würde ich sagen, haben wir etwa 45 bis 50 Briefe, davon sind etwa zwei Drittel bereits laufende Kontakte, die wir weiterleiten.
Wie erfahren die Inhaftierten überhaupt von „Jail Mail“?
Das spricht sich über den Flurfunk herum – von Inhaftiertem zu Inhaftiertem. Teilweise wird aber auch in den internen Zeitungen der JVAs über uns berichtet.
Wie geht ihr mit der Gefahr durch Fake-Kontakte oder Trolle um, wenn ihr einen Kontakt herstellt?
Das ist natürlich schwierig. Wir können die Briefe ja nicht kontrollieren, es gilt das Briefgeheimnis. Wir weisen immer beide Seiten darauf hin, vorsichtig mit den eigenen Daten umzugehen und sich erst einmal an den Briefkontakt heranzutasten. Das heißt zum Beispiel, erst mal nur mit dem Vornamen zu schreiben. Wir vergeben auch Pseudonyme und lassen den Briefkontakt über unser Postfach laufen, bis da ein Vertrauen entstehen konnte und man überhaupt weiß, ob man auf einer Wellenlänge ist. Vielleicht ist das Projekt dahingehend auch etwas naiv, wir glauben da an den guten Willen der Menschen. Dass man unser Projekt nicht ausnutzt und sich einen üblen Spaß macht.
Was muss denn jemand beachten, der einen Briefkontakt zu einem Inhaftierten aufnehmen will?
Das Justizpersonal kontrolliert die Briefe vorab. Man sollte also generell freundlich und respektvoll schreiben. Keine Beleidigungen gegen das Justizpersonal oder Ähnliches. Generell sollte man einfach die Grenzen seines Gegenübers respektieren. Das bedeutet auch, die Briefe nicht an Dritte weiterzugeben. Auf keinen Fall solle man Geld verschicken! Das gilt für Geschenke jeglicher Art. Das ist in den meisten Fällen nicht erlaubt, aber das wird von JVA zu JVA sehr unterschiedlich gehandhabt. Im Zweifelsfall sollte man da bei der entsprechenden JVA kurz anrufen und nachfragen. Das habe ich auch schon getan, in der Regel sind die Leute dort sehr hilfsbereit und nett. Wichtig ist bei einem solchen Briefkontakt auch ein gewisses Selbstbewusstsein. Hier geht es um Personen, die gerade eine schwierige Phase in ihrem Leben durchmachen. Das ist ein sehr emotionales und ein sehr sensibles Thema. Wir haben auch inhaftierte Personen dabei, die schwere Straftaten begangen haben. Dessen sollte man sich stets bewusst sein. Mir ist es wichtig, dass man einen differenzierten Blick auf das Projekt hat. Man sollte sich der positiven Seiten bewusst sein – dieses Projekt hat eine wichtige Bedeutung für die Resozialisierung – aber eben dabei nie vergessen, dass es auch Personen gibt, die schwere Straftaten begangen haben.
Also sagen Sie: Alle haben die Möglichkeit, bei uns Brieffreundschaften zu knüpfen, egal was sie getan haben?
Es gibt keine Ausschlusskriterien. Das ist zwei Sachen geschuldet. Einmal der Annahme, dass wir auf dem Ziel der Resozialisierung beruhen, und das bedeutet, dass alle Personen irgendwann entlassen werden und wir damit auch alle Personen wieder in die Gesellschaft integrieren wollen. Da Unterschiede zu machen würde ja keinen Sinn ergeben, sonst müsste man die Person für immer und ewig wegsperren. Die zweite Sache ist, dass wir das gar nicht überprüfen können. Wie sollen wir wissen, welche Personen wirklich welche Straftat begangen haben? Wir können nicht in die Akten gucken, das ist alles persönlicher Datenschutz. Sie können uns erzählen, was sie gemacht haben, aber da gibt es keine Gewissheit, ob das der Wahrheit entspricht. Es wäre auch dreist, hier eine wahrheitsgemäße Angabe zu verlangen und dann als Einzelperson darüber zu entscheiden, ob man aufgenommen wird oder nicht. Daher eben auch die Warnung, dass es bei uns auch Sexualstraftäter oder Mörder gibt. Das sind sensible Themen, ja, aber das heißt nicht, dass diese Personen keine Chance verdient haben, wieder in die Gesellschaft zu finden.