Drei Jungspunde rocken die aktuelle Formel 1. Die Namen Franco Colapinto (21/Williams), Liam Lawson (22/Racing Bulls) und Oliver Bearman (19/Haas) sind noch gewöhnungsbedürftig. Eins aber hat das Trio gemeinsam: Sie werden als „Wunderkinder“ bezeichnet.

Die Formel 1-Rekordsaison mit 24 Rennen ist auf die Zielgerade eingebogen. Am Sonntag (21 Uhr/Sky) startet mit dem Großen Preis von Mexiko der fünftletzte WM-Lauf. Die letzten drei Jahre (2021, 2022, 2023) hieß der Sieger im Autodromo Hermanos Rodriguez in Mexiko-Stadt Max Verstappen im Red Bull. Der GP Mexiko ist gleichzeitig das Heimrennen von Lokalheld Sergio Perez. „Dieses Rennen ist für mich das Highlight des Jahres. Vor 160.000 Landsleuten zu fahren, ist das Größte für mich. Leider konnte ich ihnen noch keinen Sieg schenken. Aber ich werde alles dafür geben, dass es dieses Jahr klappt“, so der zweite Bulle in einer Presseaussendung. Ein Rennen zuvor bildete der GP der USA in Austin den Auftakt des letzten Saisonviertels. Über ein Ergebnis können wir an dieser Stelle leider nicht berichten, da das Rennen erst um 21 Uhr unserer Zeit startete und bei Redaktionsschluss noch nicht beendet war. Sieger der letzten drei Rennen in Austin war ebenfalls Bullen-Chefpilot Verstappen.
Kommen wir zu der jungen Garde. Er hat erst drei Auftritte in der Königsklasse hinter sich und überzeugte dabei die gesamte F1-Welt: Franco Colapinto. Ja, Argentinien hat nach 23 Jahren (!) wieder einen Formel 1-Fahrer. Gaston Mazzacane war 2001 als Prost-Pilot der letzte Fahrer, der für sein Land eine F1-WM bestritten hat. Nach seinem Landsmann Carlos Reutemann, ehemaliger Jesuitenschüler, Gouverneur seiner Heimatprovinz Santa Fe, als F1-Fahrer die charismatische Lichtgestalt und Vize-Weltmeister 1981 (verstorben am 7. Juli 2021 mit 79 Jahren) ist Colapinto erst der zweite Argentinier, der in einem Williams-Cockpit einen Grand Prix bestreitet. Als letzter Argentinier gewann „El Lole“, wie seine Landsleute ihren Nationalhelden Reutemann nannten, 1981 im Williams seinen letzten und zwölften Grand Prix (GP Belgien).
Seitdem war das Land kaum mehr in der Königsklasse erfolgreich vertreten. Bis Colapinto beim britischen Traditionsteam Williams andockte – und wie Reutemann einem einschlagenden Blitz in der Königsklasse gleichkam.
Keine Cockpit-Chance für Mick Schumacher

Zu verdanken hat der 21jährige Argentinier mit italienischen Wurzeln seinen Überraschungscoup dem Unvermögen von Logan Sargeant. Der US-Amerikaner kam in seinem F1-Debüt-Jahr 2023 nur zu einem WM-Punkt (10. Platz GP USA) und blieb selbst in seinem zweiten Williams-Jahr bis zu seinem Rauswurf punktlos. Anstatt Punkte lieferte der Erfolglose viel Schrott ab. Die Teamleitung zog die Reißleine und gab ihrem „Schrottfahrer“ vor dem Italien-GP kurzerhand den Laufpass. Dass Williams ihren gefeuerten Fahrer dann für Monza durch Colapinto ersetzte, und nicht wie viele hofften durch Mick Schumacher, war naheliegend. Der Argentinier wurde Anfang 2023 von Williams in das teameigene Juniorprogramm, die Williams Racing Driver Academy, aufgenommen.
Zu Erklärung: Eine Driver Academy ist ein Ausbildungs-Rennstall für angehende Formel 1-Studenten. Seitdem ist Colapinto als Test- und Ersatzfahrer für das Team aus Grove im Einsatz. In Silverstone konnte er vor dem GP-Großbritannien 2024 beim Freitags-Training im Wagen von Sargeant Erfahrung sammeln. Seinen ersten Grand Prix bestritt der Akademiefahrer dann beim 16. Saison-GP in Monza. Aus dem Nichts wurde der Williams-Nachwuchspilot in die Königsklasse des Motorsports katapultiert. Der Formel 2-Pilot kam wie „Kai aus der Kiste“ zu seinem offiziellen F1-Debüt. Mit einem starken zwölften Platz überzeugte Colapinto auf Anhieb.
Noch stärker war sein Ergebnis beim nächsten GP von Aserbaidschan. In Baku fuhr Colapinto als Achter (vier WM-Zähler) seine ersten WM-Punkte für Williams ein. „Hier meine ersten Punkte in der Formel 1 zu holen, das ist ein fantastisches Gefühl“, so die erste Reaktion des Rookies. Für diese Leistung wurde der Rennfahrer aus Buenos Aires von seinem Teamchef James Vowles (gesprochen: „Wauls“) über den grünen Klee gelobt, auch wenn er im Training seinen Williams in der Wand versenkte. Der frühere Chefstratege und Strategiedirektor von Mercedes, seit Januar 2023 Williams-Boss beim Mercedes-Kundenteam: „Wir wussten, dass Franco schnell war, deshalb haben wir ihn ins Auto gesetzt. Aber wir erwarteten, dass er mehr Zeit benötigen würde, ehe er in Schwung kommt. Dass er schon in seinem zweiten Grand Prix Punkte sammelte, ist außergewöhnlich.
Junge Fahrer brauchen Geduld

Der 45 Jahre alte Ingenieur Vowles nannte als besondere Qualität Colapintos dessen Fähigkeit, unter dem immensem F1-Druck seine Ruhe zu bewahren. Vowles: „Franco ist einfach unglaublich ruhig und besonnen. Das ist ein Zeichen einer Person, die in der Lage ist mit dem umzugehen, was um sie herum passiert.“ Bei Colapintos drittem F1-Einsatz beim Nachtspektakel in Singapur schrammte der Südamerikaner als Elfter knapp am nächsten WM-Punkt vorbei (bis Platz zehn). Colapintos Teamkollege Axel Albon war ebenfalls voll des Lobes über seinen neuen Gefährten. Der Thai-Brite: „Franco ist für uns als Team genau das, was wir brauchen. Wir müssen Punkte sammeln, für unseren Kampf in der Meisterschaft. Und dazu hat Franco bisher massiv beigetragen.“
Doch die Rolle des Seargant-Ersatzpiloten nimmt Colapinto nur bis zum Saisonende

ein. Der Argentinier steht dann ohne F1-Cockpit da. Ferrari-Pilot Carlos Sainz, wegen der Ankunft von Mercedes-Star Lewis Hamilton bei den Roten ausgebootet, ist für die nächste Saison neben Albon bei Williams gesetzt. Das einzige noch zu vergebende Cockpit ist beim Schweizer Sauber-Rennstall, der 2026 komplett in das Audi-Werksteam übergeht. Nico Hülkenberg, der sich zum Saisonende als Haas-Pilot verabschiedet und ab 2015 Aufbauarbeit für Audi leistet, ist eine feste Größe.
Angesichts seiner jüngsten Leistungen soll Colapinto neben dem Noch-Sauber-Piloten Valtteri Bottas für 2025 auf der Liste von Sauber für das zweite Cockpit neben Hülkenberg stehen.
Verzückt und entzückt hat der junge Franco Colapinto jedenfalls schon nach drei Grand Prix eine ganze Nation. Genau wie die argentinischen Nationalhelden Messi, Maradona, NBA-Star Manu Ginobili und Tennisspielerin Gabriela Sabatini, mit denen Colapinto bereits auf einer Welle surft. Um mit dem fünfmaligen F1-Weltmeister Juan Manuel Fangio in dessen Liga „mitzusurfen“, braucht der Rookie zunächst mal ein F1-Cockpit.
Lawson ist kein Unbekannter

Ebenfalls auf sich aufmerksam gemacht hat ein weiterer F1-Jungspund. Der unrühmliche Rauswurf von Daniel Ricciardo wegen nicht erfüllter Erwartungen bei den Bull Racings (zuvor die Namensgebung AlphaTauri und Toro Rosso) offiziell vier Tage nach dem GP von Singapur, waren gute Nachrichten für Liam Lawson (FORUM berichtete ausführlich über Ricciardos Rausschmiss in seiner Ausgabe Nr. 41 vom 4.10. unter dem Titel „Die neue Macht“). Nachzutragen bei Ricciardos vorzeitiger Trennung sind noch die eher hämisch lobenden Worte seines Bullen Racing-Teamchefs Laurent Mekies zum Abschied des 35-jährigen Australiers: „Daniel hat viel Erfahrung, Talent und eine fantastische Einstellung in das Team eingebracht. Das hat allen geholfen, sich weiterzuentwickeln und den engen Teamgeist zu stärken.“ Auto Motor und Sport-Redakteur gegenüber dem FORUM-Kollegen: „Daniel hätte es verdient gehabt, sich gebührend aus der Formel 1 zu verabschieden.“ Nachfolger des australischen „Honeybadger“ (deutsch: Honigdachs“), so sein Spitzname, und des allseits beliebten Spaßvogels und Strahlemanns aus Perth ist der bisherige Test- und Ersatzfahrer von Red Bull, Liam Lawson. „Der Neuseeländer ersetzt mit sofortiger Wirkung Ricciardo als Stammfahrer und wird die restlichen sechs Grand Prix der laufenden Saison bestreiten“, hieß es in einer Mitteilung, die den Titel „Danke Daniel“ trug.

Liam Lawson ist Insidern kein Unbekannter. Der 22-jährige Neuseeländer ist bereits seit 2019 Red Bull-Junior. 2021 fuhr er neben der Formel 2 noch in der DTM und wurde überraschend Vizemeister. Kurios seine jetzige Situation: Lawson ersetzt schon zum zweiten Mal Daniel Ricciardo. Im vergangenen Jahr 2023 sprang Lawson für fünf Grand Prix für den Australier ein, der sich beim Training in Zandvoort ein gebrochenes Handgelenk zugezogen hatte. Sein Einsatz war durchaus überzeugend. Highlight war ein neunter Platz und zwei WM-Punkte in Singapur. Lawson ist vorerst nur für die restliche F1-Saison 2024 bestätigt. Bleibt abzuwarten, ob er dann 2025 Teamkollege des gesetzten Japaners Tsunoda bei Rull Racings wird. Er kann aber auch noch auf das letzte zu vergebende Cockpit bei Sauber/Audi wie Colapinto spekulieren.

Der dritte im Bunde der Rookies ist Oliver Bearman. Der 19-jährige Brite ersetzte Haas-Pilot Kevin Magnussen in Aserbaidschan, der sich mit seinem zwölften Strafpunkt in Monza eine Sperre für Baku eingebrockt hatte. Erneut als Haas-Notnagel holte Bearman vor seinem Teamkollegen Nico Hülkenberg als Zehnter einen WM-Punkt. Bearman ist der erste Fahrer in der Formel 1, der in seinen ersten beiden Rennen für zwei verschiedene Hersteller punktete. In Jedda/Saudi-Arabien ersetzte der Ferrari-Akademiefahrer dieses Jahr den am Blinddarm operierten Ferrari-Piloten Carlos Sainz und wurde Siebter. Bei diesem seinem F1-Debüt mit Ferrari holte er bereits sechs Zähler und hielt unter anderem Lewis Hamilton (Mercedes) und Lando Norris (McLaren) auf Distanz.
In diesem Jahr hat Bearman bereits mit vier freien Trainings im Haas-Cockpit weitere F1-Erfahrung gesammelt. 2025 wird der britische Rookie zum Stammpiloten beim US-Rennstall (mit Ferrari-Motoren) befördert und ist Teamkollege des Franzosen Esteban Ocon.
Fazit: Die Jugend sorgt für eine Blutauffrischung, für eine Frischzellenkur, zumindest aber für eine Verjüngungskur, wenn auch als Lückenfüller an vielen Fronten. Einige dieser Notnägel haben gestandene Haudegen in Rente geschickt. Andere talentierte Jungspunde wie Jack Doohan (21) nächstes Jahr bei Alpine und das Mercedes-Supertalent Kimi Antonelli (18), das Lewis Hamilton beerbt hat, werden in der nächsten Saison von der Startrampe aus wie ihre Rookies die Formel 1 (zusätzlich) rocken.