Das Potsdamer Museum Barberini präsentiert noch bis Mitte Januar das Werk des französischen Expressionisten und Fauvisten Maurice de Vlaminck.
Das Bild, das Maurice de Vlaminck von sich selbst entworfen hat, wirkt bei genauem Hinsehen der Wirklichkeit verwandt, aber überzeichnet. Vlaminck, erklärt Daniel Zamani, der sich sehr intensiv mit dem französischen Maler auseinandergesetzt hat, „stellt sich selbst als Außenseiter und Rebell dar“. Dabei habe er „aber auf vieles reagiert“. Vincent Van Goghs Arbeit hatte großen Einfluss auf den jungen Franzosen, „er hat aber auch auf Cézanne und Monet reagiert“, sagt Zamani. Um zu verdeutlichen, was ihr Kollege meint, wirft Ortrud Westheider, die Direktorin des Potsdamer Museums Barberini, mit einem Projektor zwei Bilder an die Wand: „Die letzten Heuschober“ von Vlaminck aus dem Jahr 1952 erinnern sehr an die „Getreideschober“, die Claude Monet 1891 gemalt hat.
Für ihre aktuelle Ausstellung in Potsdam folgen Ortrud Westheider und der Kurator Daniel Zamani Vlamincks Sicht auf sich selbst – zumindest im Titel. „Maurice de Vlaminck – Rebell der Moderne“ heißt sie und ist noch bis zum 12. Januar im Museum Barberini zu sehen. Die Schau, an der Zamani vier Jahre lang gearbeitet hat, bevor er im Sommer als künstlerischer Leiter zum Museum Frieder Burda nach Baden-Baden wechselte, ist, wie das Barberini es formuliert, „die erste postume Retrospektive, die dem Fauvisten und prägenden Künstler der französischen Avantgarde an einem deutschen Museum zuteil wird“.
Als „entartete Kunst“ aus Museen entfernt
73 Bilder hat Zamani für die Ausstellung organisiert. Einige davon kommen aus dem Bestand des Museums, den allergrößten Teil hat er aus aller Welt nach Potsdam bringen lassen – 25 davon aus den USA. Viele von Vlamincks Bildern seien in Privatbesitz, viele seien verschollen, sagt der Kurator. Das liege auch daran, erklärt Ortrud Westheider, dass Vlaminck zwar ein in Deutschland durchaus bekannter Maler war, seine Werke aber in „alle Welt verstreut wurden“, als sie von den Nazis als „entartete Kunst“ eingestuft wurden.
Vor diesem Hintergrund wirkt es schräg, dass Vlaminck sich vor der Kulturpolitik der Nazis verneigte. Obwohl seine Bilder aus deutschen Museen entfernt worden waren, trat Vlaminck im November 1941 auf Einladung der deutschen Propagandastaffel eine Reise nach Deutschland an. „Im Anschluss veröffentlichte er zwei Artikel, in denen er die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik unverhohlen anpries. In einem weiteren Text polemisierte er gegen die Avantgarde in Frankreich, wie sie sich in der Malerei Picassos manifestierte“ – auch das habe man in der Ausstellung thematisieren wollen, sagt Ortrud Westheider.

Vlaminck ließ sich darüber hinaus von „Hitlers Lieblingsmaler“ Arno Breker porträtieren und engagierte sich in einem Komitee für dessen Ausstellung 1942 in Paris. „Der frühere Künstler-Rebell, der sich als Anarchist und Revolutionär verstand, wurde zum reaktionären Polemiker, einem Ankläger der Moderne“, stellen die Ausstellungsmacher fest. „Der späte Vlaminck passt da nicht zum frühen“, sagt Daniel Zamani. Was er nach dem Krieg zu spüren bekommen habe: „Nach dem Krieg haben sich die Franzosen für die Künstler interessiert, die dem Widerstand nahestanden“, erzählt der Kurator.
Aber wer war dieser Maurice de Vlaminck? Auf den ersten Blick ein Maler, der gar kein Maler werden wollte. „Er war auf dem Weg, Profi-Radsportler zu werden, und verdiente Geld durch Geigespielen“, erzählt Ortrud Westheider. Außerdem versuchte sich Vlaminck als Autor und Boxer. „Die Idee, Maler zu werden, streifte mich nie. Die Malerei, als Laufbahn betrachtet – ich hätte sehr gelacht, wenn man mir damit gekommen wäre. Maler sein ist kein Beruf, nicht mehr Beruf als Anarchist sein, Liebhaber, Rennfahrer, Träumer oder Boxer. Es ist ein Wagnis der Natur, ein Wagnis“, beschrieb es Vlaminck selbst.
Es sei einer Zufallsbegegnung mit dem Maler André Derain zu verdanken, dass er zur Malerei fand. „Zentrale Inspirationsquelle“ sei dabei das Werk Vincent van Goghs gewesen, dessen farbintensive Arbeiten er 1901 auf einer großen Einzelausstellung in Paris kennengelernt hatte. „Van Goghs Ausbildung als Autodidakt sowie sein heranreifender Mythos als verkanntes Künstlergenie stärkten die Identifikation, die auch für Vlamincks späteres Schaffen prägend sein sollte“, erklären die Ausstellungsmacher. Hatte Vlaminck vor dem Ersten Weltkrieg noch einen Expressionismus entwickelt, der an Werke der Dresdner Künstlergruppe „Die Brücke“ erinnert, weichen die kräftigen, teilweise schrillen Farben ab 1906 dunkleren Tönen. „Paul Cézanne tritt als Inspirationsquelle an die Stelle Van Goghs“, beschreibt Zamani die Entwicklung.
Der Durchbruch kam 1905
Maurice de Vlaminck selbst ist der Durchbruch 1905 gelungen. Im Pariser Salon d’Automne, der jungen Künstlern die Möglichkeit bot, sich zu präsentieren, wähnte sich der Kritiker Louis Vauxcelles angesichts ungewohnt wilder Bilder in einem Käfig voller „fauves“, also Bestien. Da hingen unter anderem Gemälde von Henri Matisse, André Derain, Kees van Dongen – und Maurice de Vlaminck. Der „Fauvismus“ war geboren. Sammler und internationale Museen wurden auf den Franzosen aufmerksam. Auf der wegweisenden Ausstellung des Kölner Sonderbunds von 1912 war er mit sechs Werken prominenter vertreten als französische Kollegen wie Henri Matisse oder André Derain. Bereits 1929 widmete ihm die Galerie Alfred Flechtheim eine umfangreiche Einzelausstellung in Düsseldorf.
Maurice de Vlaminck inszenierte sich als das, was man von ihm erwartete: als wilden Künstler, der mit dem bisher Dagewesenen bricht und die Avantgarde verkörpert. Das hält der Maler aber nicht sein Leben lang durch. Vlaminck, sagt Daniel Zamani, „hat in den 40er-Jahren keinen Kontakt mehr zur Avantgarde, während Picasso immer noch neue Maßstäbe setzt.“ Um Vlaminck wurde es ruhig. Und vermutlich hat er darunter gellitten, dass Picasso auch im Älterwerden als wilder und avantgardistischer Künstler präsent blieb.
Das Museum Barberini zeichnet in seiner Ausstellung dieses vielschichtige, manchmal widersprüchliche Bild von Maurice de Vlaminck, dem Rebellen, der die Rebellion beklagte. Vor allem aber präsentiert es seine wichtigsten Werke in einer nie dagewesenen und vermutlich auch nicht wiederkehrenden Form.