Der Kunstverein Sulzbach organisiert die 18. Internationalen Sulzbacher Glaskunsttage vom 31. Oktober bis 3. November. Die Glasgestalterin Alexandra Geyermann zeigt in der Aula Objekte, die erstmals öffentlich zu sehen sind.

Frau Geyermann, Sie sind Glasgraveurmeisterin, Sie veredeln Glas. Sie arbeiten mit Schliff und Gravur, um aus Glas Kunst werden zu lassen. Wo haben Sie das erlernt? Und: Wie haben Sie Ihre Begeisterung für den Werkstoff entdeckt?
Ausgebildet wurde ich in Rheinbach bei Bonn an der dortigen staatlichen Glasfachschule. Ziemlich blauäugig habe ich mit meiner Gravurlehre begonnen, dann jedoch festgestellt, es ist für mich die perfekte Tätigkeit. Die Begeisterung für das Glas steigerte sich im Laufe der Zeit, als ich begann, meine eigenen Entwürfe zu entwickeln, meine eigene Sprache im Glas zu finden. Die Geschichten, die ich auf dem Glas erzählen möchte, sind unerschöpflich. Daher gibt es immer wieder eine neue Idee, einen neuen Weg – Wiederholungen sind nicht notwendig. Das ist für mich pure Begeisterung.
Sie sind in Cochem an der Mosel geboren, heute arbeiten Sie im eigenen Atelier in Zwiesel. Der Ort in Niederbayern, im Bayerischen Wald, ist bekannt für die Glasindustrie. Lebt Zwiesel vom Mythos? Ist Zwiesel ein inspirierender Ort für Sie, obgleich Sie künstlerisch, nicht im industriellen Bereich, arbeiten?
Geboren in Cochem an der Mosel, aber ich bin in der Eifel aufgewachsen – sozusagen von einem Wald in den anderen. Zwiesel lebt heute tatsächlich von seinem Mythos als Glasstadt. Leider hat auch Zwiesel damit zu kämpfen, dass in den vergangenen Jahren mit der Schließung von wichtigen Glashütten und Studios bedeutsame Betriebsstätten verloren gegangen sind. Im Wald, so sagen die Einheimischen zum Bayerischen Wald, lebe ich mit meiner Familie sehr gut. Inspiration hole ich mir jedoch durch den intensiven Austausch, zum einen mit meinem Ehemann, dem Glaskünstler Hermann Ritterswürden, und zum anderen mit befreundeten Glaskollegen, wie bei den 18. Sulzbacher Glaskunsttagen. Auch der Kunstverein Glasheimat Bayern e. V., dessen dritte Vorsitzende ich seit zehn Jahren bin, trägt mit besonderen Themen-Ausstellungen sehr dazu bei, immer wieder künstlerisch kreativ zu sein. So hieß die kürzlich beendete Ausstellung des Vereins im Kulturschloss Theuern in der Oberpfalz „Kamele, Schach und die Liebe zum Glas – was die Kreuzritter nach Europa brachten“.
„Mein blaues Klavier“, ein Gedicht, das Else Lasker-Schüler 1937 geschrieben hat, regte Ihre Kreativität an. Das Gedicht ist kein Leichtgewicht. Das Foto, das Sie uns vorab zur Verfügung gestellt haben, sagt mir: Sie haben ein feinsinnig-poetisches Kunstwerk erschaffen. Können Sie etwas zum Entstehungsprozess sagen?
Immer wieder lese ich Gedichte, überwiegend von Dichterinnen, so auch von Else Lasker-Schüler. „Mein blaues Klavier“ fing mich sofort ein, und Lasker-Schülers melancholische Sprache ließ sofort Bilder in meinem Kopf entstehen. So wird beispielsweise das blaue Klavier zu einer zerbrochenen Klaviatur am Rande einer blauen Glasscheibe, die ein Frauengesicht verbirgt. Aus den tanzenden Ratten werden Rattenpfoten, die an den kreuz und quer laufenden Klaviersaiten zupfen. Das Gedicht wird in einzelne Fragmente zerlegt. Diese Einzelteile ergeben miteinander wieder ein stimmiges Bild. Erst wenn ich das Bild in meinem Kopf als fertigen Entwurf zu Papier gebracht habe, fange ich an zu gravieren – es sind Illustrationen auf Glas.
Sie bringen ein Glasobjekt mit dem etwas ominösen Titel „Wir waren mit dir bei Rigoletto“ mit. Aber ich glaube, der Titel führt in die Irre, weil es etwas mit Film zu tun hat, oder?
Das ist richtig, diese Arbeit ist inspiriert von Billy Wilders 1959 gedrehter Filmkomödie „Some like it hot – Manche mögen’s heiß“. Mein Titel ist ein Filmzitat. Allerdings gehen mein Mann und ich seit geraumer Zeit mit Glaskolleginnen und deren Partnern in die Oper. Bei „Rigoletto“ waren wir 2022 in der Wiener Staatsoper. Das Objekt ist zur Ausstellung „Glas von Freunden der italienischen Oper“ (ohne „Glas“ auch ein Filmzitat) in der Galerie Ritterswürden in Zwiesel entstanden.
Ihre Werkreihe „Box of“ ist auch neu. Was verbirgt sich hinter dieser Idee?

In der Serie „Box of“ sind bisher fünf Objekte entstanden. Mit der Idee, Kästchen, Schachteln, Schubladen oder ähnliches zu befüllen, beschäftigte ich mich aber schon länger, seit über drei Jahren. Vielleicht deshalb, da mein Zugang zu diesen kleinformatigen Objekten, anders als meine sonstige Herangehensweise mit geschichtlichem Hintergrund, im Objekt und den verwendeten Fundstücken selbst liegt. So ergibt sich der Titel immer durch ein beschriftetes Teil in der Box, sei es ein Parfumflakon, eine Zündholzschachtel oder eine Zeile in einer herausgerissenen Duden-Seite. Die Tiefschnittgravur befindet sich manchmal in der Box, aber immer auf der Scheibe, die sie verschließt, und nimmt Bezug auf den Titel oder das Innenleben. Die Fundstücke sind vergessene Einzelteile, entdeckt in meiner Schublade oder auf der Straße. Wiederverwendet werden sie lebendig, zu einer neuen Erinnerung. Auf diese Weise möchte ich die Vergänglichkeit sichtbar machen. Die verlorenen/gefundenen Dinge bekommen wieder Berechtigung und unterbrechen die Durchsicht, die Klarheit des Glases. Sie werden Teil eines neuen Projektes, erzählen aber auch ihre eigene Geschichte. Die „Box of“ bewahrt alles auf, vor dem Vergessen, dem Verschwinden, dem achtlosen Weggeworfen-werden. Sie ist eine Zeitkapsel.
Zittern Sie, wenn Besucher Ihren Werken sehr nahekommen?
Nein, ich freue mich, wenn die Menschen sich nah an meine Objekte wagen. Nur aus der Nähe sind die Gravuren wirklich zu sehen.
Kann man mit eigenen Ideen zu Ihnen kommen und Sie setzen diese in Glas um?
Tatsächlich habe ich seit einigen Jahren immer wieder auch Aufträge. Das ist ein wunderbares Arbeiten, besonders da mir meine Kunden alle Freiheiten beim Entwurf gelassen haben. Bisher war es so, dass mir ein Thema gestellt wurde, eine Frauenfigur, ein Gedicht oder auch schon mal ein Foto. Kürzlich habe ich für eine Badezimmertür ein Fenster fertiggestellt, ganz ohne eine Vorgabe. Das liebe ich! Letztlich ist es die Begeisterung des Kunden bei der Übergabe des fertigen Stückes, die mich trägt. Die gezeigte Wertschätzung meiner Arbeit erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit.