Drei Fragen
„Energiewende braucht neue Stromnetze“
Die Energiewende ist von der Zielsetzungs- mittlerweile in der Umsetzungsphase und damit auch bei den Verbrauchern angekommen. Das ist für diese nicht immer einfach, sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor des Umwelt-Thinktanks Agora Energiewende.
Herr Müller, in gut fünf Jahren will Deutschland auf den Gebieten der Energiewende viele Ziele erreicht haben, wie ist der aktuelle Stand aus Agora-Sicht?
Bei der Stromversorgung haben wir in den letzten Jahren einen Riesenschritt geschafft, die CO2-Emissionen sind um über 40 Prozent gesunken und so wie es aussieht, können wir die Klimaziele in diesem Bereich schaffen. Dagegen stehen wir bei Gebäuden, Verkehr und Industrie vor großen Herausforderungen. Im Bereich Gebäude und Verkehr kommen die Maßnahmen bei den Menschen an und das kann auch Widerstände auslösen. Man darf die Aufgabe nicht unterschätzen: Wir wollen das Sachkapital der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt in den kommenden 20 Jahren einmal komplett runderneuern.
Aber das wird gegen den Willen der Bevölkerung, sprich der Konsumenten, die auch Wähler sind, nicht so einfach funktionieren, Beispiel Elektromobilität.
Da hatte man am Anfang regulatorisch den richtigen Ansatz mit diversen Fördermaßnahmen. Doch dann sind die plötzlich weggebrochen und das hat bei den Verbrauchern eine sehr große Verunsicherung ausgelöst, wie wir das bei den Absatzzahlen erleben mussten. Schaut man sich das international an, dann boomen Elektrofahrzeuge. Dazu kommt: In Deutschland, statt klar auf Elektroantriebe zu setzen, wird plötzlich wieder über E-Fuels debattiert, die Verbraucher wissen nicht, wohin die Mobilitäts-Reise geht, und da muss die Politik dringend klarer handeln.
Argument vieler Verbraucher: Was nützt mir ein bezahlbares Elektroauto, wenn die Ladeinfrastruktur mehr als unzureichend ist. Können Sie das nicht verstehen?
Das verstehe ich, und der Netzausbau ist eine der größten Herausforderungen der kommenden fünf Jahre. Das sieht man schon bei den Szenarien: Die Kosten für den Ausbau der Stromnetze wird bis 2030 doppelt so hoch sein wie dann in den folgenden Jahren. Es wird also sehr viel Geld gebraucht, um die Stromversorgung fit für die Energiewende zu machen. Es braucht hier auch massive staatliche Hilfen. Dazu gehört dann natürlich auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur, ansonsten wird auch die E-Mobilität keine Akzeptanz finden. Interview: Sven Bargel
Alter Begriff ist Jugendwort des Jahres
Für Überraschung hat die Auswahl des Jugendwortes des Jahres gesorgt. „Aura“ ist das Jugendwort 2024 und lag ganz knapp vor dem Netz-Kunstbegriff „Talahon“, abgeschlagen auf dem dritten Platz landete „Schere“, allerdings in einer Neuinterpretation der Deutung des Wortes. Der alte deutsche Begriff „Aura“ werde in der Jugendsprache häufig scherzhaft verwendet, wenn es um die Ausstrahlung einer Person geht, so der den Titel auslobende Langenscheidt-Verlag. „Aura“ kann positiv und negativ verwendet werden. Ein Beispiel zur neudeutschen Verwendung des Jugendwortes 2024: „Ich dachte, es gibt keine Stufe mehr und bin gestolpert – minus 50 Aura.“ Zu einem geflügelten Wort im Sport ist laut Langenscheidt-Verlag „Aura“ geworden, nachdem die „New York Times“ vor vier Jahren über einen Fußballer und in Anspielung auf eine Werbung geschrieben hatte: „Solutions Are Expensive. An Aura Is Priceless“, auf Deutsch: „Lösungen sind teuer. Eine Aura ist unbezahlbar“. „Aura“ stammt ursprünglich aus dem Altgriechischen und wurde zu Zeiten Martin Luthers vor 500 Jahren noch mit Lufthauch übersetzt.
„Misstrauen gegenüber der Wirtschaft“
Der neu gewählte Präsident des Verbandes Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Bertram Kawlath, hat seine Antrittsrede für eine klare Ansage genutzt: „Wir sehen ein riesiges Misstrauen gegenüber der Wirtschaft und daraus folgend ein Absicherungsbedürfnis. Uns wird von so manchen Politikern und NGOs grundsätzlich Böses unterstellt“, so Kawlath unmissverständlich. Folgen dieses fortgesetzten Misstrauens gegenüber den Unternehmen seien ausufernde Regulierung und Bürokratie, so der neue Präsident des Verbandes. „Früher musste ein Unternehmer darauf achten, dass er gute Produkte entwickelt und anbietet, dass seine Firma wächst und dass es den Mitarbeitern gut geht. Heute beschäftigt er sich mit komischen Anträgen, mit dem Ausfüllen von Formularen und mit dem Nachprüfen von Berichtspflichten.“
FDP pocht auf Zumutbarkeit beim Bürgergeld
Im Vorfeld der abschließenden Haushaltsberatungen für das kommende Jahr im Bundestag hat FDP-Fraktionschef Christian Dürr nochmals klargemacht, für weitere soziale Forderungen sei kein Raum, ganz im Gegenteil. „Wir haben kein Einnahme-, wir haben ein Ausgabenproblem. Es gibt einen längerfristigen Trend, dass der Sozialstaat immer größer geworden ist. Das hat aber nicht zu mehr Wohlstand geführt. Mit der Wachstumsinitiative machen wir das Bürgergeld treffsicherer. Die Sanktionen für diejenigen, die nicht arbeiten wollen, werden noch einmal härter. Das gilt auch für die Zumutbarkeitsregeln, welcher Job übernommen werden muss. Auch lange Arbeitswege dürfen kein Hindernis sein. Wer arbeiten kann, muss es auch tun“, so Dürr. Damit droht auch bei den Haushaltsberatungen innerhalb der Ampelregierung erneuter Streit, da gerade der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion Widerstand gegen die Reformen beim Bürgergeld angekündigt hat.
Grüne Jugend und Linke
Führungswechsel abgeschlossen
Die in den letzten Monaten schwer gebeutelte Links-Partei will jetzt mit neuem Elan in den Bundestagswahlkampf durchstarten. Auf ihrem Bundesparteitag in Halle wurde ein neuer Bundesvorstand gewählt. Neue Vorsitzende ist Ines Schwerdtner, die erst seit einem halben Jahr überhaupt Parteimitglied bei der Linken ist. Zum Co-Vorsitzenden wurde Jan van Aken gewählt, er gilt als der politisch Erfahrene in dem Duo, immerhin war van Aken von 2009 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die Linke. Kernaussage der neuen Linken-Führung: „Kampf gegen die unanständig Reichen“.
Überraschenden Besuch bekam der Parteikonvent der Linken in Halle von der gerade erst im September zurückgetretenen Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrichs. Sie stellte der Linken in Aussicht, dass sie und weitere ehemalige Vorstandsmitglieder der Grünen Jugend bei der Linken zukünftig politisch mitwirken könnten, in welcher Form auch immer. Zeitgleich zur Linken traf sich die Grüne Jugend zu ihrem Parteitag in Leipzig, um sich nach dem Rücktritt ihrer gesamten Führungsspitze neu zu sortieren. Neue Vorsitzende der Grünen Jugend ist die Flüchtlingsaktivistin Jette Nietzard aus Berlin. Zu ihrem Co-Vorsitzenden wurde Jakob Blasel gewählt. Der Mitbegründer von Fridays for Future Deutschland sorgte für Schlagzeilen, als er Haustiere als CO2-Luxus bezeichnete und deren Verbot forderte. Die neue Führungsspitze der Grünen Jugend will ihre Parteiorganisation zukünftig wieder sehr viel linker und ökologischer ausrichten. Darum klare Kampfansage der Grünen Jugend an den Kanzlerkandidaten ihrer Mutterpartei Robert Habeck: Ihm werde man nichts mehr durchgehen lassen, was sich gegen Klimaschutz richtet, heißt es seitens der Parteijugend.
Netzentgelte sinken in einigen Regionen
Wo viel Ökostrom produziert wird, können Stromkunden im kommenden Jahr mit Entlastungen rechnen. Gerade in Flächenländern mit starkem Zubau von Wind- oder Sonnenenergie sinken die Netzentgelte spürbar, wie die Bundesnetzagentur mitteilte. „Jetzt sind die Lieferanten am Zug, diese Vorteile auch an die Kunden weiterzugeben“, sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller. Ein durchschnittlicher Haushalt in einer der Entlastungsregionen könnte demnach im kommenden Jahr teilweise bis zu 200 Euro weniger bezahlen als noch 2024. Besonders stark profitieren unter anderem Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Teile von Bayern. In anderen Bundesländern wie dem Saarland oder Rheinland-Pfalz bleiben die Preise mehr oder weniger gleich. Hintergrund der geänderten Entgelte ist eine Vorschrift der Bundesnetzagentur, die die finanziellen Lasten des milliardenschweren Umbaus der Energienetze auf andere Art verteilt als zuvor.
Letzte Castoren rollen bald
Die strahlenden Reste des deutschen Atomausstieges kommen ins Land zurück: Bis Ende des Jahres sollen die letzten hochradioaktiven Abfälle deutscher Atomkraftwerke aus dem französischen La Hague in das Atommülllager Philippsburg gebracht werden. Der Atommüll blieb nach der Wiederaufbereitung der letzten Kernkraftelemente aus den nunmehr abgeschalteten deutschen Atomkraftwerken übrig und wird laut Völkerrecht im Land des Verursachers gelagert. Es wird der letzte Castor-Transport Deutschlands. Strecke und genauer Termin der mit der Bahn transportierten vier Behälter bleiben vorerst aus Sicherheitsgründen geheim, heißt es. Verantwortlich ist die Kraftwerkssparte des Energieversorgers EnBW.
Neue Präsidentin des Bundesrates
Die höchste Vertretung der Länder beim Bund hat einstimmig die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) zur neuen Präsidentin des Bundesrates gewählt. Turnusgemäß wird alle zwölf Monate eine neue Präsidentschaft bestimmt, um auf diese Weise alle 16 Bundesländer innerhalb der Föderation gleichberechtigt zu präsentieren. Die letzten Monate hatte Mecklenburg-Vorpommern unter Landeschefin Manuel Schwesig (SPD) den Vorsitz inne, bis Ende Oktober kommenden Jahres führt nun das Saarland. Ministerpräsidentin Rehlinger will ihre Präsidentschaft nutzen und die Kontakte nach Frankreich intensivieren. Ihre Antrittsreise wird sie aus diesem Grund nach Paris führen. Weiterer außenpolitischer Schwerpunkt unter saarländischer Führung soll die Wiederbelebung des sogenannten Weimarer Dreiecks, die regelmäßigen Konsultationen zwischen Frankreich, Polen und Deutschland, sein. Rehlinger ist in der 75-jährigen Geschichte des Bundesrates erst die vierte Frau, die zur Ratspräsidentin gewählt wurde.
Krankenhausreform
„Wir sind fassungslos“
Mit der Regierungsmehrheit ist die umstrittene Krankenhausreform zwar vom Bundestag verabschiedet worden, doch nun muss noch der Bundesrat zustimmen. Doch diese Zustimmung ist keineswegs sicher, da viele Ministerpräsidenten parteiübergreifend ein Kliniksterben gerade in den ländlichen Räumen befürchten. Auch der Präsident des Deutschen Landkreistages, Achim Brötel, kritisiert den im Bundestag verabschiedeten Umbau des Kliniksystems in Deutschland. „Die Reform ist eine Black Box, es gibt nach wie vor keine Auswirkungsanalyse. Deshalb sind wir fassungslos, dass der Bundestag auf einer derart unsicheren Sachgrundlage überhaupt einen Beschluss gefasst hat“, so Achim Brötel. Geht es nach ihm, dürfen die Länder dem Gesetzentwurf im Bundesrat ohne einen auch rückwirkenden Tarif- und Inflationsausgleich nicht zustimmen: „In den letzten zwei Jahren mussten bereits 48 Kliniken Insolvenz anmelden. Weitere werden jetzt mit Sicherheit folgen“, befürchtet Brötel.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Die Europäische Union diskriminiert die Atomkraft. Das sagt die Nukleare Allianz; die Gruppe von 14 EU-Staaten fordert, Kernenergie als saubere Form der Stromerzeugung gutzuheißen. Die EU solle die Spalttechnologie ebenso wie grüne Brennstoffe fördern, um „die Dekarbonisierung kosteneffizient zu beschleunigen“. Frankreich ist der Hauptmotor dieser Pro-Atomkraft-Bewegung. Es erzeugt rund 65 Prozent seines Stroms aus Atomkraft. Ihm zur Seite stehen skandinavische und osteuropäische Staaten, aber auch die Niederlande.
Atomkraftgegner widersprechen. Laut ihnen sind Wind- und Solarenergie sicherer und günstiger. Deshalb sollten keine öffentlichen Gelder in Atomkraft investiert werden. Die bis 2050 angestrebte CO2-Neutralität sei auch ohne Atomkraft erreichbar. Doch die ablehnende Haltung gegenüber Atomenergie wird schwächer. „Kernenergie ist kein Tabu mehr, auch nicht in der Europäischen Kommission“, erklärte der frühere Binnenmarktkommissar Thierry Breton.
Schon plant die pro-nukleare Allianz mittelfristig den Bau von „30 bis 45 neuen großen Reaktoren“. Zudem entwickelt Energiekommissarin Kadri Simson ein Konzept für kleine modulare Reaktoren (SMRs). Die könnten vorgefertigt und kostengünstig montiert genügend CO2-freie Energie für kleinere Gemeinden und für Betriebe liefern.
Der Wind in der europäischen Energiepolitik hat sich gedreht. Er kommt aus Richtung der gerade installierten konservativen Regierung in Paris. Von dort bläst die alte und neue Energieministerin Agnès Pannier-Runacher unermüdlich für Atomkraft – den Widerstand aus Deutschland pustet sie einfach um.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.