Wie die Piep-piep-piep-wir-haben-uns-lieb-Idylle leise zu bröckeln beginnt
Und dann stehen diese vier Typen mit ihren Instrumenten auf der Bühne, und alles ist gut. Der Weg nach Köln in die rund 1.500 Zuschauer fassende Halle zuvor ist stressig. Ein Projekt muss mit letzten Änderungen kurz vor Toresschluss abgeschlossen werden. Die Katzen im heimischen Saarbrücken jammern, weil ich die beiden Freigänger in meiner Abwesenheit in der Wohnung lasse. Dann zickt auch noch Google Maps herum und schickt mich einmal quer durch die Eifel.
Doch dann – ein makelloses Konzert der schottischen Band Travis. Rampensau und Songschreiber an Gitarre und Mikro. Prinz Coolness am Bass. Der Taktgeber legt mit dem Schlagzeug ein vorwärts preschendes Sound-Fundament. Und an Tasten und weiteren Gitarren hetzt der Vierte im Bunde hin und her. Alles sitzt, alles passt, nichts wackelt. Außer vielleicht dem Hallenboden, da die Besucherinnen und Besucher auf und ab hüpfen.
Auf bizarre Art macht es Spaß zu raten, wer gerade welches Aroma absondert. Denn auch der Duft von frischem und schon länger in der Luft hängendem Schweiß gehört dazu. An diesem Abend ist es unsäglich heiß in der Halle. Mehrfach spottet der Sänger – selbst schweißgebadet – darüber und alle danken es ihm applaudierend. Verschiedene Bier-Aromen gesellen sich dazu – außer dem von Kölsch, da an diesem Abend die Zapfanlage defekt ist.
Einziges Manko ist wohl, dass nach nur 90 Minuten der Auftritt der Rockband bereits wieder vorbei ist. Trotzdem: In diesen anderthalb Stunden wird dir wieder einmal klar, wieso du Musik liebst und wieso ein Live-vor-Ort-Sein durch nichts zu ersetzen ist. Während dieser Zeit ist die Welt draußen kurz vergessen. Kein Krieg, keine Krise. Kein Dauer-Schlechtreden von ganz rechts, keine moralische Überhöhung von ganz links. Es zählen die vier Schotten, ein paar Instrumente, ein paar Roadies und unschlagbare Melodien, die dich seit 30 Jahren durchs Leben begleiten.
Und an jenem Abend sind wir 1.000 bis 1.500 Leute alle gleich. Der Mittdreißiger, der aussieht wie Mark Forster. Die Um-die-40-Besucherin, die jedes Wort expressiv mitsingt und ihre Arme kreisen lässt, als möchte sie einen Braunbären verscheuchen. Die Ü20-Muslimin, die am Merch-Stand Ausschau nach den Shirts hält. Der Mittfünfziger, der im Außenbereich noch mal in die Pommes stechen will, bevor endgültig Feierabend ist. Und der freiberufliche Journalist mit Halbtagsjob in der Verwaltung, der mit neuem Travis-Shirt und McDonald’s-Kaffee durch Köln zurück zum Auto schlendert.
Wäre das Leben nicht deutlich entspannter für alle, wenn es ein großes Rockkonzert wäre? Wobei sich wegen immens hoher Ticketpreis für Open-Air-Granden immer weniger Menschen mittelgroße und kleine Künstlerinnen und Künstler anschauen, wie Travis-Sänger Fran Healy durchaus berechtigt beklagt. Aber das ist ein anderes Thema. In diesem Fall jedenfalls war es Travis. In anderen Fällen waren es Depeche Mode, Muse oder die Editors. Es können aber auch Adele, Beyoncé, Justin Bieber oder Gentleman sein.
Das Leben also als kleines/mittleres/großes (Rock-)Konzert? Wo alle einhellig im Takt schwingen, sich liebhaben und sich auf Augenhöhe begegnen? Der Schweiß als demokratischste aller Körperflüssigkeiten? So einfach könnte das doch manchmal sein.
Das Konzert dürfte aber selbstverständlich nie enden. Denn am Urinal herrscht ja noch eine ganz gute Disziplin. Hier kann ich selbstverständlich nur für die Herrentoiletten sprechen. Doch erste Risse an der Piep-piep-piep-wir-haben-uns-lieb-Idylle gibt es bereits am Merchandising-Stand, wo nur zählt, dass man selbst und ganz allein sein Erinnerungs-Shirt in der passenden Größe bekommt.
Auf dem Weg nach draußen stören die Schubser plötzlich, die man während des Konzerts noch als Zeichen der Solidarität wahrgenommen hat. Und auf dem Weg zum Parkplatz brechen letztlich alle Dämme. Man ist ja schließlich der Einzige, der noch nach Hause möchte. Da kann man sich gern mal querstellen oder auch überkreuz. Viele gute Seelen wurden bereits gebrochen, wenn sie zu lange am Ticketschalter des Parkautomaten zur Bezahlung warteten.