Die Tech-Elite der USA betätigt sich zunehmend politisch, vor allem hinter den Kulissen. Außer Elon Musk. Der wirft sein gesamtes Gewicht in die Waagschale, um Donald Trump zu unterstützen – mit fragwürdigen Methoden.
Technologie als großer Freiheitsgarant – die Idee aus dem Silicon Valley bahnt sich ihren Weg in die Regierungskreise von Washington. In diesem US-Wahlkampf spielt das Silicon Valley eine seiner bisher größten Rollen. Klar mischten Googles Mutterkonzern Alphabet, Amazon, Facebook und Co. als Spender für die Wahlkampfmaschinerien der Super-PACs schon in den Wahlzyklen zuvor mit. Diese Political Action Comitees sind formal von der Wahlkampagne eines Kandidaten unabhängige Werbeplattformen, die im Gegensatz zur Kampagne keine Beschränkung der Spendenhöhe besitzen. In diesem Jahr aber sehen sich auch die lange als Außenseiter in der Politik geltenden Kryptobosse als einflussreiche Größe. Laut „Washington Post“ flossen 160 Millionen US-Dollar bis September aus der US-amerikanischen Krypto-Finanzindustrie in Super-PACs der Republikaner und Demokraten, 13 Kandidaten für den US-Kongress könnten in der kommenden Legislaturperiode enge Verbindungen zur Kryptoindustrie besitzen. Das meiste Geld floss in die Kassen der Republikaner. Besonders reich bedacht wurde Bernie Moreno, selbst ein Ex-Unternehmer der Kryptobranche, der für einen Sitz im Senat für den Bundesstaat Ohio gegen den Demokraten Sherrod Brown kandidiert.
Obskure Techno-Utopisten
Doch nicht nur Geld aus dem Silicon Valley bestimmt künftig einen maßgeblichen Teil der US-amerikanischen Politik. Mit J. D. Vance wurde ein ehemaliger Venture-Capital-Manager designierter Vizepräsident der GOP, der beste Verbindungen ins Valley und zu bekannten Investment-Größen pflegt. Gemeinsam mit anderen investierte er unter anderem in die Videoplattform Rumble, die in rechten Kreisen wegen laxer Moderation beliebt ist. Rumble arbeitet unter anderem mit der Social-Media-Plattform Truth Social von Donald Trump zusammen.
Vance arbeitete einige Jahre für den deutschstämmigen Investor Peter Thiel, ebenfalls ein Geldgeber von Rumble und maßgeblich finanziell für Vances politische Karriere verantwortlich. Der bekennende Libertäre gilt heute als einer der einflussreichsten Finanziers der extremen Rechten in den USA, findet Wettbewerb sei etwas für „Loser“ und interessiert sich nicht nur für die Schriften der libertären Vordenkerin Ayn Rand, sondern auch für Alternativen zu heutigen Regierungs- und Staatsformen. „Seasteading“ – ein Kofferwort aus Sea (See) und homesteading (Besiedlung) – beispielsweise bezeichnet das Schaffen von dauerhaftem Lebens- und Arbeitsraum außerhalb der Grenzen von Nationalstaaten und den geltenden gesetzlichen Normen, etwa auf See. Regulierung, vor allem durch Regierungen, ist Libertären wie Thiel ein Gräuel, etwas Bremsendes. Die Regierung an sich ist für sie eher eine Zwangsjacke der persönlichen unternehmerischen Freiheit, die es zu sprengen gilt. Den Beweis, dass dies positive Auswirkungen hat, will der argentinische Präsident Javier Milei, selbst libertärer Wirtschaftswissenschaftler, gerade in seinem Land antreten.
Mehr Macht für den Präsidenten
Doch die Ideen der „Technolibertären“ gehen noch weiter. Ein ehemaliger Programmierer aus dem Silicon Valley, Curtis Yarvin, gilt als obskurer Prophet einer Bewegung, die eine Art Techno-Autoritarismus propagiert. Yarvin, der laut Recherchen von US-Medien mit Thiel und Vance befreundet ist, sagte 2012 bei einem Vortrag: „Wenn die USA ihre Regierung verändern wollen, müssen sie sich über ihre Angst vor einem Diktator hinwegsetzen.“ Yarvin träumt von einer dystopischen Zukunft, in der eine Autokratie die althergebrachten Demokratien überwunden hat und das Leben von sogenannten Patchworks bestimmt wird. „Die Grundidee von Patchwork ist, dass die beschissenen Regierungen, die wir aus der Geschichte geerbt haben, zerschlagen und durch ein globales Spinnennetz aus Zehn-, ja Hunderttausenden von souveränen und unabhängigen Mini-Ländern ersetzt werden sollten, von denen jedes von seiner eigenen Aktiengesellschaft ohne Rücksicht auf die Meinung der Einwohner regiert wird“, schreibt er in „Patchwork: Ein politisches System für das 21. Jahrhundert.“ Über dem Patchwork thront der „realm“, ein Konzern, der seine Interessen durchsetzen kann, ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können – schließlich ist er kein Staat. Yarvin spricht sich dafür aus, dass der Präsident der USA mehr Macht bekommen sollte, ähnlich einem König oder einem Unternehmenslenker, dies sei auch die Idee der Gründerväter gewesen.
Die sogenannte Alt-Right-Bewegung, rechte Utopisten wie Yarvin und Libertäre eint die Ablehnung demokratischer Staatsformen: keine Kompromisse, kein Minderheitenschutz, keine Solidarität, keine sozialen Auffangnetze, nur eine Elite bestimmt den Diskurs und nicht die Gesellschaft in demokratischen Prozessen wie Debatten oder Wahlen. Eines der gemeinsamen Hassobjekte: freie Medien und ihr Selbstverständnis, frei und unabhängig zu recherchieren und zu berichten. Yarvin spricht von einer Einheit aus akademischer und journalistischer Welt, in der Elitejournalisten und -akademiker die alleinige Weltsicht bestimmen – so, als ob es alleine durch die Existenz von Journalismus und Wissenschaft keine freie Meinungsäußerung mehr geben könnte. Doch ein „monarchistisch“ herrschender Präsident hätte Yarvins Auffassung nach die Gabe, unabhängig von dieser vermeintlich dogmatischen Meinung nach seinem Gutdünken zu regieren. Passend dazu setzte sich im Diskurs der US-amerikanischen Rechtslehre von erzkonservativer Seite eine ähnliche Ansicht durch – der Präsident brauche mehr Rechte und Befugnisse, wie es laut Verfassung sein sollte, es brauche weniger Checks und Balances durch den Kongress. Die rechtsgerichtete Denkfabrik Heritage Foundation hat Grundzüge dieser „imperialen Präsidentschaft“ in seinem Politikpapier „Project 2025“ skizziert. Dazu gehört das Feuern Zehntausender verbeamteter Fachexperten aus Behörden und das Installieren linientreuer politischer Angestellter. „Project 2025“ könnte zur Grundlage einer zweiten Amtszeit Donald Trumps werden.
Elon Musks Kreuzzug
Auftritt Elon Musk: Der als libertär geltende reichste Mensch der Welt brüstet sich häufig damit, dass seine Neuerwerbung Twitter, nun X, viel häufiger im Vergleich mit anderen News-Webseiten wie NBC oder Fox News aufgerufen wird. X steht bei seinen Vergleichen immer auf Platz eins – kein Wunder, X ist keine Nachrichtenseite, sondern ein soziales Medium und damit viel breiter aufgestellt als jene Webseiten. Doch Musk bleibt dabei: Die „althergebrachten Medien“ werden seiner Meinung nach mehr und mehr irrelevant, „Bürgerjournalisten“, die ihre „News“ auf X verbreiten, würden diese ersetzen. Das Problem: Diese „News“ bestehen häufig aus fehlerhaften Informationen, unrecherchierten Quellen oder schlicht aus Desinformation und Falschnachrichten. Alleine die Weltmarktposition von X als sozialem Medium mit wenigen Mitbewerbern mache es anfällig für Desinformation, erklärt das europäische Disinfo-Lab, das für die EU zum Thema Desinformation forscht. Musk „stellte zahlreiche wegen Verstößen gegen die Richtlinien Twitters und wegen Hassrede gesperrte Konten wieder her, retweetete extremistische Verschwörungstheorien zu Migration oder andere, die russische Desinformation zum Ukrainekrieg unterstützen“. Die „Indikatoren für Desinformation stiegen nach seiner Übernahme sprunghaft an“, stellt das Disinfo-Lab fest. Musk selbst teilt immer wieder Tweets mit unbelegten Behauptungen oder gar Falschinformation. Mittlerweile hat sein Super-PAC auf X eine Community angelegt, in der angebliche Wahlfälschungen in den USA gemeldet werden können. X vereint gleich mehrere Superlative: Es ist das weltweit reichweitenstärkste Sprachrohr des einflussreichsten US-Amerikaners, Unternehmers und Unterstützers von Donald Trump. Ein strategischer Glücksfall für Trump.
Technologie als Freiheitsgarant – in diesem Falle Freiheit von der etablierten, aus Musks Sicht gelegentlich „woken“ Meinung etablierter Berichterstattung. Auch wenn sie falsch oder frei erfunden ist. Der Besitzer von Tesla, X, SpaceX, Starlink und Neuralink glaubt augenscheinlich vieles von dem, was auf seiner eigenen Plattform verbreitet wird, ohne es groß zu prüfen. Entgegen seiner Versprechen, keinen der Kandidaten unterstützen zu wollen, unterstützt er nun mit der Reichweite seines eigenen Accounts und denen vieler rechter Gleichgesinnter wie Libs of Tiktok oder Kanekoa The Great vorbehaltlos Donald Trump als Kandidaten, zahlte 75 Millionen US-Dollar in ein PAC und verschenkte täglich eine Million an registrierte Wähler in Swing States, die eine Petition für freie Rede und Waffenbesitz unterzeichnen und als Sprachrohr für das Super-PAC fungieren. Technisch gesehen handelt es sich dabei nicht direkt um Stimmenkauf, und ob es deswegen eine offizielle Untersuchung geben wird, ist noch unklar. Zumindest eine Warnung, dass diese Aktion womöglich illegal sei, hat das US-Justizministerium bereits an Musks PAC übermittelt.
Abgesehen davon zündelt der Multimilliardär selbst gerne sprachlich, unter dem Deckmantel von Witzen – natürlich. Niemand mache sich die Mühe, Kamala Harris umzubringen, sagte Musk lachend bei einem Wahlkampfauftritt für Trump in einer Kirche, mit Bezug auf die mehrfachen Versuche während des Wahlkampfes, Donald Trump zu erschießen. Warum auch, sie sei eh nur eine Marionette, sagt Musk. Trump will seinen prominentesten Gönner bei einer möglichen Regierungsübernahme als Berater ins Weiße Haus einladen, ein „Department of Government Efficiency“, also ein Ministerium für Regierungseffizienz, ist für den Unternehmer im Gespräch. Es gehe darum, staatliche Regulierungen, das Staatsdefizit und damit die Ausgaben zu verringern. Regeln, die aus Musks Sicht seine eigenen Firmen behindern. Musk könnte also selbst die Hürden aus dem Weg räumen, die seinen Geschäften im Wege stehen.
Weniger Staat gleich weniger Ausgaben, weniger Schulden. Eine Win-win-Situation für Libertäre und den Staat, könnte man meinen, die Befürchtungen, dass vor allem die wenigen sozialen Sicherungssysteme in den USA und ein professioneller Beamtenapparat darunter leiden könnten, sind jedoch hoch. Musks Fans, die ihn für einen brillanten Tech-Genius halten, feiern ihn trotzdem. Der reichste Mann der Welt, der unbestreitbar zahlreiche unternehmerische Erfolge vorweisen kann, wirft auf den letzten Metern sein gesamtes gesellschaftliches, unternehmerisches und finanzielles Gewicht in die Waagschale. Das Silicon Valley, seine Kinder und ihre Ideen bestimmen künftig in immer deutlicherem Umfang das politische Schicksal der USA. Ausgang ungewiss.